Städtetrip mit Weinlese
Dieses Elite-Unternehmen beschäftigt sich nur mit den Besten der Besten, und in dieser Abteilung im Besonderen gastieren sozusagen ausschließlich die Trockenbeerenauslesen eines Jahrgangs. In unserer modernen Gesellschaft sind die allermeisten Standart, um im Bild zu bleiben, Tafelweine. Einige bekommen das Prädikat „Qualität“, wenige gehören zu einer Auslese; aber alles nichts für hier. Selbst eine Beerenauslese kann den strengen Qualitätsanforderungen dieses hohen Hauses nicht genügen. Hier, wie gesagt, findet nur die Trockenbeerenauslese Einlass.
Im Alltag bleibt einem dies alles verborgen. Erst eine putzmuntere, aufgeweckte Neuaufnahme mit badischem Akzent bringt es einem wieder ins Bewusstsein.
Hier seien kurz die Umrisse unserer Trockenbeerenauslese skizziert: In einem als besonders liberal geltenden EU-Land als unerwünschte Person deklariert zu werden, ist eine reife Leistung. Wenn man dann aus diesem Land hier in Begleitung angeliefert wird, nennt man das nicht Abschiebung, auch wenn es so anmutet. Sie betont auch immer wieder, dass es völlig normal sei mit einem richterlichen Beschluss hierher zu kommen, wenn man gerade auf der Durchreise von Amsterdam sei. Das sei nun wirklich nichts Ungewöhnliches, schließlich sei sie ja nicht freiwillig hier. In Holland (sie meint die Niederlande) sei alles besser, und Geld für Zigaretten habe sie auch keines mehr.
Ihre badische Art sich zu artikulieren mutet hier wie eine Fremdsprache an. Wenn man ihren Erzählungen von der niederländischen Metropole aufmerksam zuhört kommt man sehr bald zu der Erkenntnis, dass man ihr dort wohl am Morgen das falsche Zäpfchen gegeben hat. Über Risiken und Nebenwirkungen hat man sie offensichtlich klar und deutlich und in aller Ausführlichkeit in Niederländisch informiert – „…vraag uw dealer.“ stand auf der Packung. Die deutschen Pillen hier möchte sie jetzt auf keinen Fall nehmen. Scheinbar schätzt sie nach wie vor die therapeutische Wirksamkeit der holländischen für höher ein.
Und sie ist ein heller Kopf. So hat sie bereits nach wenigen Minuten festgestellt, dass das Servicepersonal ausschließlich dazu da ist, die anderen in den Wahnsinn zu treiben. Dass das noch nicht bei allen passiert ist, hat man ihrem selbstbewussten Auftreten zu verdanken. Schnell hat sie den R-Raum zum Hörsaal erklärt und sich gegenüber dem Fernseher eine Rednerecke mit eigenem Aschenbecher eingerichtet. Hier doziert sie, und keiner im Raum sitzt noch dem Fernseher zugewandt. Ihr Kredo: „Die Realität an ihre Ideen anpassen“, nur so kommen wir gemeinsam weiter. Zugegeben, dafür benötigt man schon ein starkes Zäpfchen.
Beim obligatorischen Begrüßungsgespräch war man sich wohl nicht ganz einig. Einige fundamentale Dinge wurden eher diametral erörtert. Um mal Dr. Eckart von Hirschhausen zu zitieren: „Der Wunsch, recht zu behalten, ist beim Menschen tragischerweise viel intensiver ausgeprägt, als das Interesse zu prüfen, ob man überhaupt recht hat.
Unterm Strich, wenn man ihr nicht hemmungslos zustimmt, ist sie – wie Herr Krömer sich ausdrücken würde – eine echte badische Kackbratze.
Aufschlussreich ist das Telefongespräch, dass sie mit ihrem Partner beziehungsweise Expartner führt, auch wenn man nur die Argumentation an diesem Ende der Leitung hört:
„… du sollst mich hier abholen. Das ist hier so besprochen.“
„…“
„Das kann doch nicht so schwer sein, ein Auto zu bekommen.“
„…“
„Du musst mich hier abholen. Das ist so abgesprochen.“
„…“
„Ich hab kein Geld. Die Krankenkasse bezahlt nicht mehr. Das Konto ist leer, ich kann die Miete nicht bezahlen. Komm mich hier abholen.“
„…“
„Ich besorg mir Geld und dann bezahle ich meine Schulden bei dir, und dann kannst du mich...“
„…“
„Willst du, dass ich auf der Straße lebe, mit einem Schlafsack auf der Straße, willst du das?“ … „Hol mich hier ab, sofort!“
„…“
„Dann waren wir die längste Zeit Freunde“ … „Du hast ja keine Ahnung wie toll es in Amsterdam war … und die Leute … hier sind alle bekloppt.“
„…“
„Du sollst mich abholen. … Ich will Hartz IV … Ich muss da am Montag hin, ich hab’ kein Geld mehr, nicht mal für Zigaretten. Die Wohnung kann ich nicht bezahlen, ich hab’ keine Familie…“
Alles in allem also ein harmonisches Gespräch in dem offen und ehrlich das Wesentliche angesprochen wurde. Wie schön kann Liebe sein.
Wenn man genauer hinhört, haben wir es also mit einer mittelmäßig verschuldeten Obdachlosen zu tun, die in den Niederlanden eine unerwünschte Person ist und weder Freunde noch Familie hat, aber allen, die es hören wollen oder nicht, das Heil predigt und alles besser weiß.
Zum Abschied gibt es noch eine Vorlesung zum Thema „Moderne Psychotherapie in der aristotelischen Scholastik“, in der weder die Begriffe „Aristoteles“ noch „Scholastik“ Erwähnung finden, aber dafür um so mehr die Begriffe „modern“, „Psycho“, „Therapie“ und „alles Quatsch“.
Dem einladenden Arzt wird ohne Umschweife erklärt, dass er keine Ahnung aber auch gar keine Ahnung habe. Bei irgendeinem Guru im Internet solle er sich mal kundig machen, und alle anderen sollten das auch.
Hier endet der Beitrag zum Horror-Szenario – Gott sei ihrem Geist und Körper in heimatnaher Unterbringung gnädig.
Der Winzer am badischen Kaiserstuhl sagte seinen Söhnen auf dem Sterbebett: „Wein kann man auch aus Trauben machen“, was die Söhne nachdenklich machte.
Autor:Rainer Ise aus Weeze |
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