Presserklärung der DITIB Gemeinden zu dem NSU Terror
Ein Jahr danach immer noch viele ungeklärte Fragen
Gedenken für die Opfer rechtsextremistischen Terrors
Aufklärung durch Untersuchungsausschuss zur Neonazi-Mordserie
Köln, 15.02.2013: Die Türkisch-Islamische Union stellt auf der Grundlage öffentlich-medialer Berichte fest, dass seit der Einsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses die unverzichtbare Aufklärungsarbeit unnötig erschwert, durch mangelhafte Kopperationsbereitschaft von Ministerien oder Amtsinhabern torpediert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird.
Nachrichten über unwiederbringlich vernichtete Akten und geschredderte Aktenordner, sowie Berichte über einzelne Anhörungen, Äußerungen und Eklats vor dem Untersuchungsausschuss sind zahlreich und geben wenig Hoffnung auf die versprochene umfassende, zügige und nachhaltige Aufklärung. Die Gemengelage wird zunehmend undurchsichtiger, verworrener und komplexer. So unerklärlich die Auslassungen, Fehler und Versäumnisse vor der Aufdeckung waren, so unverständlich und beklemmend sind weiterhin anhaltende Entwicklungen und Enthüllungen. Der “Blindheit auf dem rechten Auge“ folgte ein nicht nachvollziehbarer Aktionismus und eine Abwehrhaltung einzelner Sicherheitsbehörden, Verantwortlicher in Bundes- und Landesbehörden und Ministerien.
Bekir Alboga, Sprecher und stellv. Generalsekretär des DITIB-Bundesvorstandes: „Diese rechtsterroristischen Schandtaten sind an den Opfern und deren Angehörigen nicht wieder gutzumachen. Man kann aber sehr wohl daran, wie diese terroristischen, menschenverachtenden Übergriffe gegenwärtig und zukünftig wahrgenommen werden, noch etwas ändern. Daran, wie der Mordserie, den amtlichen Versäumnissen, dem behördlichen Versagen und den Aufklärungsversuchen des NSU-Untersuchungsausschusses begegnet wurde und wird, wird sich Deutschland messen lassen müssen.
Insbesondere in diesem Jahr, 80 Jahre nachdem der Rechtsterrorismus ab 1933 schrittweise demokratische Mechanismen und Institutionen aushöhlte und so zunehmend ungehindert agieren konnte, ist die Aufgabe und Verantwortung des NSU-Untersuchungsausschusses nicht hoch genug einzuordnen.
Der staatliche Gedenkakt, aber auch die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses suchen die öffentliche und nachhaltige Versöhnung zwischen Opfern, Betroffenen und Institutionen. In diesem Zusammenhang wollen wir an das Versprechen der Bundeskanzlerin anlässlich der Gedenkveranstaltung erinnern.“
Vor annähernd einem Jahr fand am 23.02.2012 die zentrale Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt statt. Die Gedenkveranstaltung begann um 12:00 Uhr mit einer bundesweiten Schweigeminute. An verschiedenen Orten, getragen von unterschiedlichsten Akteuren, war dies Ausdruck tiefempfundener Anteilnahme und der Fassungslosigkeit über das Geschehene.
In ihrer Rede zur Gedenkveranstaltung formulierte Frau Bundeskanzlerin Merkel: “Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck.“
Einen Tag nach der zentralen Gedenkveranstaltung hatte der Deutsche Bundestag am 24. Februar 2012 zum 26. Februar 2012 einen Untersuchungsausschuss zur Neonazi-Mordserie unter Vorsitz des Abgeordneten Sebastian Edathy eingesetzt. Der Untersuchungsausschuss sollte laut Auftrag “einen Beitrag zur gründlichen und zügigen Aufklärung der Taten der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" leisten. Zudem sollten Schlussfolgerungen für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisse und Qualifizierung der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus gezogen und Empfehlungen ausgesprochen werden.“
Weder das Gedenken an die Opfer, noch die Aufklärung die rechtsterroristische Mordserie dürfen in den Hintergrund geraten. Auf Anfrage verschiedener DITIB-Gemeinden aus dem Bundesgebiet wollen wir daher öffentlich dazu aufrufen, am 23. Februar in den Moscheen religiöse Andachten für die Verstorbenen zu halten. In der religiösen Hinwendung fällt es Gläubigen leichter, das emotionale, höchst menschliche Bedürfnis nach Trauer in der Gemeinschaft zu verarbeiten und die Opfer, Ängste und Hoffnungen in die Gebete einzuschließen.
Aus aktuellem Anlass wollen wir ebenfalls daran erinnern, dass rechtes Gedankengut nicht einfach vom Himmel fällt, sondern eingebettet und eng verwoben ist mit einem bedenklichen soziopolitischen Klima.
Rechte Gesinnungen sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dies belegen Studien immer wieder. Der Prozess der “Entmenschlichung“ der Opfer der NSU-Terrors, in dem die Sprache zu einer manipulativen Keule wurde, spiegelt sich im Unwort des Jahres 2011 „Dönermorde“ wieder. Die stete „Entmenschlichung“ von Individuen, die auch sprachlich in äußerst fragwürdigen Aussage, Überschriften oder Traktaten zu einem Kollektivismus führen, sind Ausdruck dessen.
Wenn, wie unlängst von TV-Pfarrer Jürgen Fliege in einer Sendung (ARD, 12.02.2013, 22:45 Uhr) formuliert, „türkenfreie“ Kindergärten oder Zonen erklärt werden, dann zeigt uns dies, wie kurz der Weg der „Entmenschlichung“ wirklich ist, wie weit der Prozess der „Entmenschlichung“ bereits fortgeschritten und wie tief er unabhängig von Bildungsniveaus und der Milieuzugehörigkeit bereits in der Gesellschaft verankert ist.
Stärker denn je sind Bündnisse gegen jegliche Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen Xenophobie gefordert. Breit angelegte kommunale Initiativen, die Stadt- und Bürgergesellschaft, möglichst viele Gruppen, Vereine, Schulen und Glaubensgemeinschaften sind gefordert, um gemeinsam dahin zu wirken, dass sich dies nie wiederholen kann. Auch wenn viele Entwicklungen in erster Linie ein Problem des Bildungsniveaus und der Milieuzugehörigkeit abzubilden scheinen, entlässt uns dies nicht aus unserer gegenseitigen Verantwortung, stets wachsam und immer wieder sensibel zu sein.
Pressestelle
DITIB-Dachverband
Autor:Dieter Wirdeier aus Waltrop |
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