Dr. Kurt Simon (68) versorgt die Schwächsten
Sprechstunde für die Straße
Dr. Kurt Simon (68) betreibt ehrenamtlich eine medizinische Sprechstunde für wohnungslose Menschen Dr. Kurt Simon kann es nicht lassen. Nachdem der praktische Arzt seine Praxis 2021 geschlossen hat, versorgt er ehrenamtlich obdachlose Patienten im Tagestreff der Caritas-Wohnungslosenhilfe Mettmann.
An jedem zweiten und vierten Mittwoch im Monat steht dieses Angebot den Gästen der Tagesstätte kostenfrei zur Verfügung. Gleich nach dem Mittagessen können sie sich mit ihren medizinischen Problemen an Dr. Simon wenden. An diesem Tag sind es drei Männer.
In Notunterkunft verletzt
Der erste Patient klagt auf Englisch über Schmerzen in der Schulter. Er ist EU-Bürger, spricht kein Deutsch und lebt, seit er seine Wohnung verloren hat, in einer Notunterkunft. Dort hatte es eine körperliche Auseinandersetzung gegeben, der Mann wurde dabei an der Schulter verletzt. Er ist deswegen bereits zum zweiten Mal in Dr. Simons Sprechstunde. Da sich seit dem ersten Besuch nicht viel verbessert hat, vermittelt der Arzt ihn an eine niedergelassene Kollegin. "Der Patient benötigt ein MRT", sagt Simon. Zum Glück ist der Mann krankenversichert.
90 Prozent sind versichert
Das sind übrigens die allermeisten der wohnungslosen Patienten, etwa 90 Prozent hätten eine Versicherung, schätzt der Mediziner. Ungeklärt sei der Versicherungsstatus häufig bei Menschen, die früher privat versichert waren, da diese nicht einfach zurück in die gesetzliche Versicherung könnten. Auch Menschen ohne Krankenversicherung kann Dr. Simon helfen.
Impfpass? Fehlanzeige!
Als nächstes steht eine Impfung auf dem Programm. Der Patient kann sich nicht erinnern, wann er die letzte Auffrischungsimpfung gegen Tetanus erhalten hat. Dr. Simon fackelt nicht lange und greift zur Spritze. "Das ist unerlässlich bei Menschen auf der Platte. Schon kleinste Wunden reichen aus, um sich zu infizieren." Angst, seinen Patienten zu "überimpfen", hat er nicht, auch wenn der Impfpass, in dem die letzte Impfung vermerkt ist, fehlt. "Nach fünf Jahren ist eine Auffrischung möglich, auch wenn sie erst nach zehn Jahren empfohlen wird", so Dr. Simon. Er selbst hat während seiner Ausbildung an Tetanus Erkrankte gesehen. "Glauben Sie mir, das wollen Sie nicht", sagt er.
Sprechstunde zu Corona-Zeiten gegründet
Mit Impfungen hatte die Arztsprechstunde 2021 ihren Anfang genommen. Damals war das Ziel, möglichst viele Wohnungslose gegen Corona zu impfen, erinnert sich der Mediziner. Das sei gut angenommen worden. Aber auch alle anderen empfohlenen Impfungen wie Diphtherie, Polio, Keuchhusten, Masern-Mumps-Röteln, Grippe werden nach Absprache in der Sprechstunde durchgeführt. Der Arzt konnte Kindern einer Migrantenfamilie, die zu diesem Zeitpunkt nicht krankenversichert war, den Besuch einer Kita ermöglichen, indem er bei einem Kind die Masernimpfung ergänzte und bei dem Geschwisterkind aufgrund des vorliegenden Impfpasses die Vollständigkeit des Impfschutzes bescheinigte. Diese Familie war in der Sprechstunde der Caritas eher die Ausnahme.
90 Prozent der Patienten sind abhängig
Etwa 90 Prozent seiner Patienten seien abhängig, wobei neben harten Drogen auch Alkohol, Substitution durch beispielsweise Methadon oder Abhängigkeit von legalen Medikamenten eine Rolle spielen. In seiner Praxis hatte Dr. Simon in den vergangenen 20 Jahren einen Schwerpunkt auf Suchtmedizin gelegt. Deshalb liegt ihm das Thema nahe. "Ich habe aufgrund meiner Tätigkeit gute Kontakte zu Beratungsstellen, außerdem viel Erfahrung, auch im sozialrechtlichen Bereich. Auch wenn ich kein christliches Weltbild habe, finde ich es richtig, etwas für die Menschen zu tun, die sich zu Recht allein gelassen fühlen."
Patient benötigt ein Psychopharmakon
Ihm dankt es sein dritter Patient an diesem Tag, schon ein alter Bekannter. Der junge Mann ist opiatabhängig (Heroin), wird aber substituiert. Das bedeutet, er kauft seine Drogen nicht illegal auf der Straße, sondern bezieht Opioide auf Rezept. "Leider bleibt in großen Suchtpraxen die hausärztliche Betreuung manchmal auf der Strecke", weiß Dr. Simon. So erhält der junge Mann, der neben seiner Suchterkrankung auch eine psychiatrische Erkrankung hat, das Rezept für sein benötigtes Psychopharmakon alle drei Monate in der Sprechstunde von Dr. Simon.
Dr. Simon hilft auch bei sozialrechtlichen Fragen
Bei diesem Patienten hilft der Arzt auch in sozialrechtlichen Fragen. Bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises hatte das Amt einen Schweregrad anerkannt, der unter dem Grad liegt, der Suchterkrankten zusteht. Also kopiert der 68-Jährige die entsprechende Stelle in der Tabelle und sichert zu, ein Widerspruchsschreiben zu verfassen.
Oft Verletzungen nach Auseinandersetzungen
Oftmals sind es diese eher kleinen Sorgen, mit denen die Wohnungslosen die Arztsprechstunde aufsuchen. "Wirklich häufig sind Verletzungen aus Auseinandersetzungen der Grund", sagt der Arzt. Die passierten aber eher selten auf der Platte als vielmehr in den Notunterkünften.
Übrigens stellt der 68-Jährige bei seinen Patienten nur wenige hygienebedingte Erkrankungen fest. "Mal die Krätze, das kommt schon vor." Oder eitrige Wunden, die schlecht verheilen und übel riechen. "Aber dass Patienten total verwahrlost sind, das ist wirklich selten."
Auch Zahnschmerzen werden behandelt
Bevor er seine Patienten zu Fachkollegen schickt, versucht Dr. Simon selbst zu helfen. "Ich bin da nicht sehr ängstlich, was andere Fachrichtungen betrifft", sagt er und lacht. So kommt es hin und wieder vor, dass sich Menschen mit Zahnschmerzen bei ihm vorstellen. Simon empfiehlt dann zwar dringend, einen Zahnarzt aufzusuchen. Seine Erste Hilfe kann aber nach eingängiger Untersuchung durchaus darin bestehen, dem Patienten ein gängiges Antibiotikum an die Hand zu geben.
20 Prozent weibliche Patienten
Einmal, erinnert sich der Mediziner, kam eine Frau mit beginnender Frühgeburt in die Sprechstunde. Da blieb dem Suchtmediziner nichts anderes übrig, als schnell den Rettungswagen zu verständigen, damit der Patientin in einer Klinik geholfen werden konnte. Etwa 20 Prozent seiner Patienten, schätzt er, sind weiblich.
Lebensrettendes Notfallspray
Dr. Simon schult im Mettmanner Tagestreff auch Abhängige im Umgang mit Naloxon. Dies ist ein Notfallmedikament, das Süchtigen das Leben retten kann. "Immer wieder kommt es bei Opiatabhängigen zu einer Überdosierung", erklärt der erfahrene Arzt. Dann besteht die Gefahr, dass die Atmung gelähmt wird. Das Medikament, das als Spray verabreicht wird, hebt die Atemlähmung auf, der Mensch überlebt. Deshalb ist es Dr. Simon wichtig, seine Patienten auf den Ernstfall vorzubereiten und ihnen das Medikament an die Hand zu geben.
Gemäß des Genfer (Ärzte-)Gelöbnis, das in den 80er Jahren den Hippokratischen Eid abgelöst hat: "Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen."
Der Treff in Mettmann
-> Caritas-Wohnungslosenhilfe Mettmann, Lutterbecker Straße 31, 40822 Mettmann, Tel. 02104/8075-64, E-Mail wohnungslosenhilfe@caritas-mettmann.de.
-> Angebote: Tagestreff: Montag bis Donnerstag 9.30 bis 13.30 Uhr; Mittagessen: 12 bis 13.30 Uhr; Frauenfrühstück: Mittwoch 9 bis 10.30 Uhr; Arztsprechstunde: jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat 13.30 bis 14.30 Uhr, Postausgabe: 9.30 bis 12 Uhr.
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