30 Jahre hat Richard Brox auf der Straße gelebt
Vom Leben gezeichnet

Richard Brox erlebte eine schwierige Kindheit, wurde drogenabhängig und obdachlos. Heute ist er Bestseller-Autor und kümmert sich um die Schwachen der Gesellschaft.  | Foto: Tim Ilskens
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  • Richard Brox erlebte eine schwierige Kindheit, wurde drogenabhängig und obdachlos. Heute ist er Bestseller-Autor und kümmert sich um die Schwachen der Gesellschaft.
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Richard Brox lebte 30 Jahre lang auf der Straße. Aus seinen Erfahrungen schrieb er ein Buch - und wurde zum Bestseller-Autor. Jetzt ist sein neues Buch "Deutschland ohne Dach. Die neue Obdachlosigkeit" erschienen. Mit uns sprach er über sein Leben.

Wie haben Sie es geschafft, 30 Jahre auf der Straße zu überleben?
Indem ich mich nach außen abgeschottet habe. Ich habe versucht, nichts an mich rankommen zu lassen und anderen zu helfen. Das war mein Kraftspender. Beispielsweise habe ich Frischlingen Tipps gegeben, wie sie den Winter überstehen. Ich habe gelernt, als Minimalist und Einsiedler zu leben - und mich damit arrangiert, in der Gesellschaft nicht erwünscht zu sein.

Der schlimmste Moment war?
Mitte der 2000er in einer Schlafstätte für Obdachlose: Wir hatten in einem Acht-Bett-Zimmer übernachtet, damals waren es sogar zwölf Betten. Ein junger Russland-Deutscher, ich meine, er hieß Victor, stand morgens nicht mit uns auf. Als er mittags immer noch reglos im Bett lag, schlugen wir Alarm. Dann wurde die Decke angehoben und die Nadel steckte noch, mit der er sich den Goldenen Schuss verabreicht hatte. Einige Stunden später wurde einem neu angekommenen Obdachlosen dieses Bett zugewiesen - ohne, dass es frisch bezogen worden war.

Und der schönste Moment?
Das war, als ich Günter Wallraff und den Musiker Manuel Götsching kennengelernt habe. Beide sind mir vorurteilsfrei begegnet und haben mir immer wieder geholfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Sie haben mich beherbergt, bedient, an ihrem Familienleben teilhaben lassen. Ihnen verdanke ich, dass ich den Absprung geschafft habe.

Wie kam es denn zu diesen Begegnungen?
Günter nahm 2008 über meinen Blog (Anmerkung der Redaktion: https://ohnewohnung-wasnun.blogspot.com/) Kontakt zu mir auf, weil er eine Doku über Obdachlose drehen wollte. Er lud mich zu sich nach Hause ein, schickte mir 500 Euro, damit ich die Fahrt von Braunschweig nach Köln bezahlen konnte - ohne Sicherheiten, ich hätte das Geld einfach nehmen können.
Manuel Götsching und seine Frau lernte ich in Frankfurt/Main kennen, als sie mich auf der Straße sitzend ansprachen und zum Essen einluden. Die Hilfe kam von Herzen!

Richard Brox mit Enthüllungsjournalist Günter Wallraff.  | Foto: Privat
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Wem geben Sie im Rückblick die Schuld dafür, wie sich Ihre Kindheit und Jugend entwickelt hat?

Der Stadt Mannheim! Die Jugendfürsorge hat sich nicht um mich gekümmert, hat mich in Kinderheime gesteckt, wo ich Schlafentzug, Hunger, Prügel und sexuellen Missbrauch erlebt habe. Dann die Zwangsräumung wegen 1500 DM. Meine Eltern waren Musiker. Sämtliche Instrumente, Akkordeon, Trompete und Klavier sowie ein Schlagzeug wurden mitgenommen und ich habe nie wieder etwas davon gesehen oder gehört. Die Instrumente, eine Uhr und Schmuck hatten bestimmt einen Wert von 8000 DM. Mich haben sie einfach durchs Raster fallen lassen. Bis heute gab es dafür keine Entschuldigung.

Fragen Sie sich manchmal, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie eine andere Kindheit gehabt hätten?
Ich habe mir immer mal gewünscht. dass ich regelmäßig zur Schule gegangen und einen Abschluss gemacht hätte. Ich wäre gerne Mediziner geworden.

Woher kommt der Wunsch in Ihnen, anderen zu helfen? (Anmerkung der Redaktion: Neben dem Blog für Obdachlose begleitet Brox schwerkranke Obdachlose und verfolgt das Ziel, ein Hospiz für obdachlose Menschen zu gründen).
Da gab es ein Schlüsselerlebnis 2000 in Niedersachsen, als ich Gerd täglich besucht habe. Ihm ging es richtig schlecht und bei meinen Besuchen schmiedeten wir Pläne - doch dann starb Gerd. Da merkte ich: Das ist meine Berufung. Seitdem habe ich circa 100 schwerkranke Obdachlose begleitet, in vielen Kliniken ist meine Nummer hinterlegt und sie rufen mich an, wenn sie einen Patienten haben, der meinen Zuspruch benötigt. Für mich ist diese Aufgabe Segen und Glück zugleich.

Und wie kamen Sie zum Schreiben?
Ich habe schon immer Tagebuch geführt. Das macht mir, wie Schach spielen, den Kopf frei. Ich habe immer Block und Stift dabei. Durch das Schreiben sortiere ich meine Gedanken.

Sind Sie jetzt glücklich?
Ich bin zufrieden. Glücklich eher nicht. Diesen Begriff habe ich aus meinem Leben gestrichen.

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie über die dramatische Entwicklung der Obdachlosigkeit in deutschen Städten. Beschreiben Sie die mal bitte.
Seit den 1950er Jahren habe ich nicht mehr so viele Obdachlose auf der Straße gesehen wie heute. In Essen, Duisburg, Dortmund und Köln ist die Lage besonders dramatisch. Es gibt zehntausende Tagelöhner und Saisonarbeiter ohne Pass, die obdachlos geworden sind. Die tauchen in keiner Statistik auf. Es ist eine Schande, und niemand soll sagen, wir seien sozial in diesem Land. Wenn sich nichts ändert, sterben uns die Menschen unter den Händen weg. Wohnungslosen- und Suchthilfe sind total überfordert, da wurden Stellen gestrichen und gespart. Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz und Würde. Aber wir helfen ihnen nicht.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Gerade ist mein Buch erschienen. Mein nächstes Ziel ist die Gründung eines Hospizes für Obdachlose. Darüber hinaus bin ich als Berater bei vielen Einrichtungen tätig. Es gibt jeden Tag einen neuen Grund aufzustehen.

Richard Brox Kindheit

-> Richard Brox ist Sohn eines Paares, die beide Opfer des Nationalsozialismus wurden. Sie wurden verschleppt, mussten Zwangsarbeit verrichten, wurden gefoltert und für menschliche Versuche missbraucht. "Sie waren seelisch verkümmert", weiß Brox heute. Schon als kleiner Junge fehlte ihm Herzlichkeit und Liebe. Er kam in Heime und Pflegefamilien, erlebte dort physische und psychische Gewalt, verweigerte die Schule. "Ich galt als schwer erziehbar", sagt er.
-> Als Jugendlicher griff er zu Drogen, wurde unter anderem kokainabhängig. Seine Eltern starben, Richard war inzwischen volljährig und lebte in der elterlichen Wohnung. Mit 21 Jahren hatte er 1500 DM Mietschulden und wurde zwangsgeräumt. Es folgte ein stationärer Drogenentzug und von da aus begann die 30-jährige Obdachlosigkeit. Brox ist nie rückfällig geworden, hat die Jahrzehnte auf der Straße ohne Drogen, Alkohol oder Nikotin verbracht.
Heute ist er 58 Jahre alt und lebt in Köln.

Richard Brox erlebte eine schwierige Kindheit, wurde drogenabhängig und obdachlos. Heute ist er Bestseller-Autor und kümmert sich um die Schwachen der Gesellschaft.  | Foto: Tim Ilskens
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Autor:

Miriam Dabitsch aus Velbert

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