Sinkende Impfquote gegen HPV
"Gebärmutterhalskrebs ist vermeidbar!"
Seit 2007 gibt es mit der HPV-Impfung die erste Impfung gegen verschiedene Krebsarten - aber die Impfquote sinkt Seit 2007 wird gegen verschiedene Arten von Krebs, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden, geimpft. Der deutsche Mediziner Prof. Dr. Harald zur Hausen erhielt für seine Forschung in diesem Bereich 2008 sogar den Medizin-Nobelpreis. Dennoch ist die Impfquote gering. Warum eigentlich?
Das möchte ich von Michael Achenbach, Kinderarzt mit Praxis in Plettenberg und Pressesprecher des Landesverbands NRW im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) wissen.
Laut einer Analyse des Kinder- und Jugendreports der DAK-Gesundheit gingen die Impfungen gegen HPV 2022 um 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Woran liegt das?
Das hat mehrere Gründe. Während der Corona-Pandemie gab es weniger Kontakte zwischen Arzt und Patienten. Zudem hat die Pandemie eine Impfmüdigkeit erzeugt, die wir auch aus vorherigen Pandemien schon kennen. Insbesondere im Jugendalter wird nicht mehr so oft geimpft, da fallen mir immer wieder Impflücken auf.
Eine Krebserkrankung ist doch DAS Schreckgespenst, das keiner haben will. Warum überzeugt das nicht mehr Eltern von der Impfung?
Viele Eltern sind nicht gut aufgeklärt, was die HPV-Impfung betrifft. Zudem hängt ihr an, dass sie eng mit dem Thema "erster Geschlechtsverkehr" verknüpft ist. Ich habe das Gefühl, Eltern zögern diese Impfung heraus, weil sie als eine Art Freibrief für Sex ihrer Kinder gesehen wird. Dazu hat auch die STIKO beigetragen, die die Impfung zunächst und als einziges Land weltweit ab zwölf Jahren empfohlen hat. Erst vor einigen Jahren wurde die Empfehlung auf neun Jahre runtergesetzt, erst seit 2018 wird die Impfung auch für Jungen empfohlen.
Wovor schützt die Impfung denn genau?
Die HPV-Impfung bietet die Chance, Infektionen mit verschiedenen HPV-Typen, darunter den Hoch-Risikotypen 16 und 18, zu verhindern. Viele Infektionen verlaufen harmlos, aber es kann eben passieren, dass sich das Virus einnistet und es zu Zellveränderungen kommt, ein Tumor entsteht. Gebärmutterhalskrebs etwa wird zu circa 95 Prozent durch HP-Viren ausgelöst.
Über wie viele Fälle neuer Gebärmutterhalskrebserkrankungen pro Jahr sprechen wir?
In Deutschland gibt es pro Jahr zwischen 6000 und 6500 Neuerkrankungen, allerdings muss man auch die 100.000 Verdachtsfälle mit einbeziehen, in denen Patientinnen und deren Familien in Stress und Sorge geraten. Das sind fast 100.000 Operationen, nach denen der Verlust der Gebärfähigkeit droht sowie das Frühgeburtenrisiko für werdende Mütter steigt.
Wie profitieren Jungen von der Impfung?
Sie sind nicht nur über Geschlechtsverkehr Überträger der Viren, sondern können auch betroffen sein - in Form von Peniskrebs, Analkrebs oder Mundhöhlenkrebs sowie Genitalwarzen. Mit der aktuellen Impfung können neun von zehn Erkrankungen verhindert werden.
Ist eine Übertragung nur über sexuelle Kontakte möglich?
Das ist die häufigste Form, ja. Aber es ist nicht auszuschließen, dass es auch zu Infektionen in Schwimmbädern oder Saunen kommen kann. Ich habe schon Feigwarzen bei Säuglingen gesehen, da genügte das gemeinsame Bad mit einem erkrankten Elternteil in der Badewanne.
Wie verträglich ist die Impfung?
Die Impfung ist sehr gut verträglich. In meiner Praxis habe ich in den Jahren keine Hinweise auf eine schlechte Verträglichkeit feststellen können, wobei die Impfzahlen einer einzigen Praxis auch nicht ausreichen, um sehr seltene Nebenwirkungen zu erleben. Ist dies der Fall, melden die Ärzte diese Beobachtung an das Paul-Ehrlich-Institut.
Bei Einführung der Impfung kam es hin und wieder vor, dass Mädchen nach der Injektion in Ohnmacht fielen. Untersuchungen haben ergeben, dass dies rein psychische Auslöser hatte. Seit wir das wissen, reagieren wir, indem wir zum Beispiel angespannte Patienten bitten, ein paar Minuten auf der Liege liegen zu bleiben.
Welche Nebenwirkungen treten häufig auf?
Ich kann bei der HPV-Impfung keine Schmerzfreiheit versprechen. Das liegt an einem Impfverstärker, einem so genannten Adjuvans, der bei dieser Impfung nötig ist, um das Immunsystem ausreichend anzusprechen. Der sorgt dafür, dass die Impfung schmerzt. Die Einstichstelle ist in vielen Fällen gerötet oder geschwollen, es können Müdigkeit, Fieber und Kopfschmerzen auftreten. Nicht selten treten auch Magenschmerzen auf.
Warum ist es eigentlich so schwierig, konkrete Zahlen in Bezug auf Impfnebenwirkungen oder -schäden zu finden?
Bei selten auftretenden Ereignissen würden Zahlenangaben eine Genauigkeit vorgaukeln, die es nicht gibt. Aufgrund des seltenen Auftretens verändert eine Person mehr oder weniger die Rate scheinbar schon stark. Daher arbeiten wir lieber mit Begriffen wie "sehr selten".
Warum bekommt man keine unabhängigen Impfbroschüren, beispielsweise vom Staat? Mir liegt eine Broschüre vor, die von einem Pharmahersteller herausgegeben wird. Das wirkt doch eher wie Werbung als wie eine seriöse Information.
Ich sehe hier auch den Staat in der Verantwortung. Allerdings sind die Vorgaben für Werbung inzwischen so streng, dass man sicher sein kann, dass auch Hersteller von Impfstoffen nur wissenschaftlich belegte Informationen in ihren Broschüren veröffentlichen. Wem das nicht reicht, dem empfehle ich die Website des Deutschen Grünen Kreuzes, dort wird unabhängig von wirtschaftlichen Interessen informiert.
Sind Ihre Kinder gegen HPV geimpft?
Ja, Tochter und Sohn.
Empfehlen Sie die Impfung uneingeschränkt und falls ja, für welches Alter?
Ich empfehle die HPV-Impfung uneingeschränkt für Jungen und Mädchen im jungen Alter, vor der Pubertät. Studien haben gezeigt, dass die Impfung in jüngerem Alter bessere Wirkung zeigt als bei Jugendlichen. Deshalb müssen Kinder unter 15 Jahren nur zweimal geimpft, ältere Jugendliche dreimal geimpft werden.
Wie kann die Impfquote verbessert werden?
Natürlich durch Aufklärung. Aber man sollte auch mal schauen, wie Länder mit einer höheren Impfquote das geschafft haben. Da ist man schnell beim Thema "freiwillige Impfangebote in Schulen". Darüber sollten wir in Deutschland zumindest mal nachdenken. Ich habe den Eindruck, die Politik in Deutschland agiert in Sachen Impfen eher planlos.
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