Fahreignungstests für Senioren
Was Experten zum "Führerschein auf ewig" sagen

Bei dem Unfall in Hamminkeln-Dingden fuhr ein 78-Jähriger durch die Schaufensterscheibe in eine Bäckerei.  | Foto: Foto: Sascha Schmidt
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  • Bei dem Unfall in Hamminkeln-Dingden fuhr ein 78-Jähriger durch die Schaufensterscheibe in eine Bäckerei.
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Ende Januar hat es in Hamminkeln-Dingden gekracht: Ein 78-Jähriger ist mit seinem Auto durch die Schaufensterscheibe einer Bäckerei gefahren.

Zum Glück befanden sich keine Kunden im Geschäft, so dass nur Sachschaden und ein gewaltiger Schreck bei den Beteiligten entstand. Die Polizei Wesel erkärt auf Anfrage, es stehe die Vermutung im Raum, dass der Senior Gas und Bremse verwechselt habe.

Politik will keine Fahreignungstests

Regelmäßig gibt es Berichte und Bilder von Unfällen dieser Art, die zumeist durch ältere Autofahrer verursacht werden. Nicht nur in Sozialen Medien werden dann Rufe nach Fahreignungsprüfungen für Senioren laut. Während es die in anderen europäischen Ländern schon gibt, verhallen die Forderungen bislang ungehört in der deutschen Politik.

Kein Problem!?

Das hängt nach Meinung von Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, damit zusammen, dass das Verkehrsministerium, und auch der ADAC, gar kein Problem und damit keinen Handlungsbedarf sehen. Denn je nach Auswertung kommen Erhebungen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Unfallzahlen von Menschen ab 75 Jahren betrifft.

ADAC hält Tests für "nicht verhältnismäßig"

Tatsächlich heißt es auf Anfrage beim ADAC Nordrhein: "Der ADAC hält eine gesetzliche Pflicht für ältere Menschen zu Fahreignungsprüfungen für nicht verhältnismäßig." Entscheidend für eine unfallfreie Teilnahme am Straßenverkehr sei nicht das Lebensalter, sondern neben dem Gesundheitszustand auch die Fahrerfahrung, heißt es weiter. Ältere Fahrer zeichneten sich in der Regel durch einen situationsangepassten Fahrstil sowie vorausschauendes Fahren aus und mieden riskante Manöver.

Kognitive Defizite als Auslöser für Unfälle

Dem pflichtet Brockmann grundsätzlich bei, sieht aber auch Grenzen der Kompensation. "Unfälle wie der beschriebene passieren aufgrund kognitiver Defizite. Das heißt, ältere Menschen brauchen oft länger, um die Situation gedanklich zu erfassen und dann zu reagieren."
Verpflichtende Fahreignungsprüfungen sieht aber auch er nicht als probates Mittel an, um solche Defizite aufzudecken.

Rückmelde-Gespräch unter vier Augen

Vielmehr setzt Brockmann auf "obligatorische Rückmeldefahrten". Das sind ca. 45-minütige Fahrten im eigenen Fahrzeug mit einem Experten (speziell weitergebildete Fahrlehrer, Verkehrspsychologen oder Führerscheinprüfer), der im Anschluss im Vier-Augen-Gespräch und ohne drohende Konsequenzen wie den Verlust des Führerscheins eine Rückmeldung zur Fahrleistung und möglichen Defiziten gibt.

Senioren zeigen Lernfähigkeit

Eine Untersuchung mit 100 Probanden habe positive Effekte gezeigt: "Die Senioren wurden signifikant besser", so Brockmann. Fehler, die sie zuvor gemacht hatten, hätten sich nicht wiederholt.
Aus Sicht des Unfallforschers ist dies - neben medizinischen Check-Ups, das Mittel der Wahl, um "sichere Mobilität" bei Senioren zu erhalten. Der Entzug des Führerscheins hingegen kann die Verkehrssicherheit sogar schwächen. Denn Senioren auf dem Rad oder zu Fuß sind gefährdeter als im Auto und nach ADAC-Statistik 2017 überproportional bei den im Straßenverkehr getöteten Personen vertreten.

Landesregierung setzt auf Freiwilligkeit

Bislang möchte die Politik bei dem Thema nicht regulierend eingreifen: "Die Landesregierung setzt vornehmlich auf Information, Freiwilligkeit und die Stärkung der Eigenverantwortung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Fahreignung bei älteren Verkehrsteilnehmern", heißt es in einer Antwort auf eine AfD-Anfrage im NRW-Landtag. Im Jahr 2021 haben in NRW nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes 3.762 Männer und Frauen über 60 Jahre freiwillig den Führerschein abgegeben. 

Auffällig geworden

Fallen Senioren im Straßenverkehr beispielsweise durch einen Unfall auf, der den Verdacht erregt, dass altersbedingte Defizite der Grund gewesen sein könnten, kann die Fahrerlaubnisbehörde informiert werden und ggfs. eingreifen.
Im Kreis Mettmann mit knapp 486.000 Einwohnern gingen 2022 rund 250 solcher Hinweise ein, in rund 80 Prozent kamen sie von der Polizei, sonst von besorgten Angehörigen, Bekannten oder Nachbarn.

115 Senioren reagierten einsichtig

In ca. 115 Fällen haben die Senioren freiwillig auf ihre Fahrerlaubnis verzichtet. In ca. 135 Fällen wurden Maßnahmen ergriffen. "In einigen Fällen konnten hierbei bei den Fahrerlaubnisinhabern festgestellte Schwächen zum Beispiel durch Erfahrung kompensiert werden. In anderen Fällen wurden, in Abhängigkeit von der Ausgangslage, sogenannte Fahrproben bzw. Fahrverhaltensbeobachtungen angeordnet, in denen der Fahrerlaubnisinhaber durch einen Fahrlehrer und einen TÜV-Sachverständigen (Prüfer) begleitet wird oder auch (fach-)ärztliche Bescheinigungen bzw. Gutachten angefordert. In 26 Fällen musste die Fahrerlaubnis aufgrund festgestellter eignungsrelevanter Mängel entzogen werden", sagt Niklas Schlösser von der Pressestelle des Kreises Mettmann. 

Mitdiskutieren und abstimmen!

Seid ihr für oder gegen verpflichtende Fahreignungsprüfungen für Senioren? Was haltet ihr von den vorgestellten "obligatorischen Rückmeldefahrten"? Oder besteht kein Handlungsbedarf, genügt die Freiwilligkeit aus? Sagt uns eure Meinung zum Thema!

Bist du für die Einführung regelmäßiger Fahrtauglichkeitstests für Senioren?
Bei dem Unfall in Hamminkeln-Dingden fuhr ein 78-Jähriger durch die Schaufensterscheibe in eine Bäckerei.  | Foto: Foto: Sascha Schmidt
Autor:

Miriam Dabitsch aus Velbert

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