Personalmangel in NRW-Kitas
Erzieherin hat mit 25 schon die Nase voll
Lange hat Carina* (Name durch die Redaktion geändert) es nicht ausgehalten bei ihrem letzten Arbeitgeber. In der Kita, in der sie als Erzieherin gearbeitet hat, war sie zu Corona-Zeiten schon mal mit mehr als 30 Kindern alleine in ihrer Gruppe, berichtet sie.
Auch wenn das die Spitze des Eisbergs war, allein mit 23 Kindern, das kam sehr oft vor, erzählt die junge Frau. Als Gründe gibt sie einen hohen Krankenstand unter den Erziehern, den Personalmangel und einen zu schlechten Personalschlüssel in öffentlichen Einrichtungen an. "Wenn dann ein Kind in die Hose macht, bin ich circa fünf Minuten aus der Gruppe raus. Eine lange Zeit für 22 unbeaufsichtigte Kinder!"
"So kann ich nicht arbeiten, bis ich alt bin"
Passiert ist zum Glück nichts - aber dennoch war es eine für Carina untragbare Situation. Körperliche und psychische Belastungen, ein sehr hohes Stresslevel und eine latente Unzufriedenheit, weil man dem Bildungsanspruch nicht gerecht werden kann, führten dazu, dass die junge Frau schon kurz nach Ende der Ausbildung den Schlussstrich zog. "So kann ich nicht arbeiten, bis ich alt bin", sagt die 25-Jährige und hat eine Weiterbildung im Bereich Heilpädagogik absolviert. In wenigen Monaten wird sie dem Kita-Betrieb ganz den Rücken kehren.
In NRW fehlen 65.100 Fachkräfte
Kein Einzelfall, weiß Maren Kremer, Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands NRW. "Die aktuelle Situation ist zermürbend", sagt sie. Immer mehr Kollegen stiegen aus, aus Angst vor Burn Out oder schon mittendrin. Schon heute führe der Personalmangel dazu, dass der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem ersten Lebensjahr in NRW nicht erfüllt werden könne. Tatsächlich fehlen laut einer Bertelsmann-Studie allein in Nordrhein-Westfalen 65.100 Fachkräfte. "Durch die im bundesweiten Vergleich eher ungünstigen Personalschlüssel in Nordrhein-Westfalen werden immer noch nicht alle Kinder in Gruppen mit einer kindgerechten Personalausstattung betreut", heißt es in der Studie.
1300 Kitas von Schließungen betroffen
Nach Angaben der SPD-Fraktion im Landtag waren zuletzt mehr als 1300 Kitas von personalbedingten Schließungen betroffen. Stephan Jentgens, Sprecher der Themenkonferenz Kinder, Jugend und Familienhilfe bei der Caritas in NRW, erklärt: "Die Situation ist sehr angespannt. Fast alle Träger berichten über hohe und längere Krankenstände. Um eine Betreuung dennoch zu gewährleisten, berechnen viele Einrichtungen täglich die tatsächliche Kinderanzahl und hoffen, dass das tatsächlich vorgehaltene Personal entsprechend der rechtlichen Mindestbesetzung ausreichend ist." Für die Eltern bedeutet dies: Heute nicht wissen, ob das Kind morgen betreut ist, verkürzte Betreuungszeiten von 35 statt 45 Stunden oder erst gar keinen Kitaplatz ergattern.
Mangelverwaltung kann keine Dauerlösung sein
Dass diese Form der Mangelverwaltung weder das Personal noch die Eltern oder die Kinder zufriedenstellt, steht außer Frage. "Dies führt dazu, dass man nicht so mit den Kindern umgeht, wie man sollte", sagt Carina. Als Beispiel nennt sie das Anziehen von Schuhen und Jacke. "Normalerweise würde ich das mit den Kindern gerne üben, aber wenn ich alleine mit 23 Kindern bin, bleibt dafür keine Zeit. Dann müssen alle nur funktionieren."
Landesregierung legt "Sofortprogramm Kita" auf
Jetzt hat die schwarz-grüne Landesregierung reagiert und will der Entwicklung mit dem "Sofortprogramm Kita" entgegenwirken. Im ersten Schritt sollen mehr Plätze im Freiwilligen Sozialen Jahr in Kitas bereitgestellt werden, die bezahlte praxisintegrierte Ausbildung zum Kinderpfleger weiter gefördert werden, der Quereinstieg soll erleichtert und die Ausweitung von Integrationsbegleiterinnen erfolgen. Nicht zuletzt will das Land mit einer Image- und Personalgewinnungskampagne Männer und Menschen mit Einwanderungsgeschichte für die Arbeit in Kitas begeistern. Für die Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands kommen die Ankündigungen zu spät: "Es ist schon zehn nach zwölf."
Haben Sie selbst Erfahrungen mit Personalmangel in Kitas gemacht? Wie beurteilen Sie die Kinderbetreuung in Nordrhein-Westfalen? Glauben Sie, dass das neue Sofortprogramm für Entlastung sorgen kann? Schreiben Sie Ihre Erfahrungen in die Kommentare.
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