Wendepunkt schließt stationäre Reha-Einrichtung
Neues Bundesteilhabegesetz zwingt „Wendepunkt“ zum Handeln
Der „Wendepunkt“. Ein christliches Therapiezentrum für Menschen mit psychischen Störungen und Erkrankungen. Seit rund 40 Jahren ist dieses Zentrum in Langenberg beheimatet. Ein Team von 60 Mitarbeitenden, darunter Theologen, Psychologen, Krankenpfleger und Arbeitstherapeuten, bietet Menschen mit einer seelischen Erkrankung seine Hilfe an. Dabei umfasste das Angebot bisher vier Einrichtungsformen: Das Ambulant Betreute Wohnen in verschiedenen Häusern der Stadt, die Mutter-Kind-Einrichtung „Wendepünktchen“, die Wohngruppe für psychisch kranke Jugendliche im Hordthof und die stationäre Rehabilitations- oder Eingliederungshilfe in der Hordtherberge und der Hordtvilla. Letzteres, und damit sind 32 stationäre Plätze gemeint, kann der gemeinnützige Verein „Wendepunkt“ nun in Zukunft nicht mehr anbieten. Zu den Gründen und den Folgen dieses Schrittes führte Redakteurin Astrid von Lauff ein Gespräch mit Wendepunkt-Geschäftsführer Michael Offermann und der Bereichsleiterin für Kinder- und Jugendhilfe, Katja Schreyer.
Herr Offermann, Sie sehen sich gezwungen eine wichtige Einrichtungsform aus Ihrem Hilfsangebot für psychisch erkrankte Menschen zu streichen. Wie kam es dazu?
Das Bundesteilhabegesetz wurde eingeführt. Es trägt in erster Linie dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ Rechnung. Dadurch erreichten uns deutlich weniger Genehmigungen zur stationären Belegung psychisch erkrankter Menschen. Zuletzt waren von den 32 Plätzen nur noch 17 belegt. Damit waren die laufenden Personal- und Betriebskosten nicht mehr zu decken. Das Schicksal dieser Einrichtungsform, die sich über Jahrzehnte bewährt hat, war somit besiegelt.
„Ambulant vor stationär“ – das hört sich erstmal nicht so verkehrt an. Worin sehen Sie das Hauptproblem?
Auf diesem Weg können keine individuellen Lösungen für unsere Klienten angeboten werden. Natürlich gibt es psychisch erkrankte Menschen, die mit der ambulanten Versorgung gut zurecht kommen. Aber was ist mit denen, die zu Hause unterversorgt sind und eine intensivere Betreuung benötigen? Über ein in Stufen angelegtes Konzept war es bei uns möglich, jedem Betroffenen einen individuell abgestimmten Therapieverlauf in verschiedenen Bereichen zu ermöglichen.
Wie sah das konkret aus?
Die Klienten wohnten in Wohngruppen. Ein wichtiger Faktor bei der Wiedereingliederung psychisch Erkrankter. Unser Fachpersonal ist meist über Jahre eingearbeitet und mit den jeweiligen Umständen vertraut. Die Klienten haben dementsprechend Bezugstherapeuten für Einzelgespräche und die Gruppentherapie. Auch das ist auf dem Weg der Eingliederung ein wichtiger Faktor, der dem Klienten Halt, Vertrauen und Verlässlichkeit gibt. Das Gleiche gilt für die Arbeitstherapie. Die Arbeitstherapeuten aus den Bereichen Hauswirtschaft, Handwerk und Landwirtschaft arbeiteten eng und dauerhaft mit den Bewohnern der stationären Reha zusammen und wurden durch Praktikanten und FSJ-ler bei ihrer täglichen Arbeit ergänzt. Wichtiges Ziel hierbei war das Erlernen oder auch Wiedererlernen von Struktur im Alltag und im Arbeitsleben. Da es sich um eine Langzeit-Rehabilitations-Maßnahme handelt, konnte der Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr oder auch länger dauern.
Und was passiert nun mit diesen Menschen?
Da sie ja nun nicht mehr alles in einem Paket angeboten bekommen, haben sie einige Hürden zu nehmen. Es ist eben nicht mehr alles unter einem Dach. Und auch, wenn es externe Hilfestellungen und Begleitung im Alltag gibt, reicht das nicht unbedingt. Gerade in Punkto Psycho-Edukation, also dem Umgang mit der eigenen Krankheit und bei der Arbeits- und Bewegungstherapie wird es Defizite geben. Die Verknüpfung fehlt. Der rote Faden. Mit dieser Situation sind viele Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen überfordert. Das Schlimme ist, die Menschen klopfen ja immer noch an unsere Türe. Wir können aber nicht mehr helfen.
Frau Schreyer, Sie leiten die Wohngruppe für psychisch kranke Jugendliche auf dem Hordthof. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Ich sehe diese Entwicklung kritisch. In der Wohngemeinschaft für Kinder- und Jugendliche auf dem Hordthof haben wir zurzeit Platz für fünf Bewohner. Das reicht bei Weitem nicht aus. Daher werden wir in Kürze in neuen Räumlichkeiten noch einmal acht Plätze anbieten. Die Nachfrage ist einfach immens hoch und wächst stetig. Das gilt ebenso für den Erwachsenenbereich. Psychische Erkrankungen stehen als Grund für Arbeitsausfälle inzwischen an erster Stelle. Längst haben sie die orthopädischen Erkrankungen um Längen überholt.
Welche Konsequenzen wird diese Entwicklung für die erkrankten Menschen haben?
Der gemeindenahen Versorgung psychisch erkrankter Menschen und dem Gedanken der Enthospitalisierung kann mit einer reinen ambulanten Versorgung nicht mehr Rechnung getragen werden. Die psychiatrischen Kliniken im Land werden sich in nächster Zeit stetig füllen, gerade mit den Betroffenen die schwer erkrankt sind und mit einer ambulanten Begleitung nicht ausreichend stabilisiert werden können.
Herr Offermann, sehen Sie das genauso?
Genauso wird es kommen. Für einen an der Psyche erkrankten Menschen, der seinen Alltag nicht mehr bewältigen kann, gibt es nur diesen einen Weg. Er muss sich professionelle Hilfe suchen und die findet er dann nur noch in der Klinik. Dabei waren wir vor 40 Jahren schon einmal an genau diesem Punkt. Damals stellte sich die Frage, wie erneute Klinikaufenthalte vermieden werden könnten. Eine Psychiatrie-Enquete forderte die Enthospitalisierung und die Einrichtung von Übergangseinrichtungen. Das war mehr oder weniger die Geburtsstunde des Wendepunkts.
Was bedeutet diese rückläufige Entwicklung konkret für den Verein „Wendepunkt“?
Konkret hieß das erst einmal, dass ich zehn meiner langjährigen Mitarbeitenden, meist aus dem Therapiebereich entlassen musste. Als Geschäftsführer sieht man unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit die Notwendigkeit dieser Maßnahme. Als Mensch hat mich das emotional sehr betroffen gemacht.
Gönnen Sie uns am Schluss des Interviews einen Blick in die Zukunft. Wie geht es mit dem „Wendepunkt“ weiter?
Wissen Sie, Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, haben visionäre Eigenschaften. Alle Behinderteneinrichtungen müssen sich dieser neuen Problematik stellen. Wir werden das Beste daraus machen. Auch im Sinne unserer Klienten. Bei uns mahlen die Mühlen schon wieder auf Hochtouren. Wir haben einen Bauantrag für die Villa an der Hauptstraße gestellt und warten täglich auf die Baugenehmigung. Hier sollen kleine Apartments entstehen, die wir dann unseren Klienten als ambulant betreutes Wohnen anbieten können. Um die hohen Umbaukosten stemmen zu können, sind wir dabei als gemeinnütziger Verein auf finanzielle Unterstützung angewiesen und freuen uns über jede Spende. Zwar werden wir hier nicht den gleichen qualitativ hohen Betreuungsstandard erreichen können, wie bei der stationären Einrichtungsform, doch wir werden weiterhin Nischen suchen, um auch zukünftig den Erkrankten unsere Hilfe anbieten zu können. Es wird uns gelingen das Beste daraus zu machen. In der Zwischenzeit warten wir auf den Aufschrei, dass die Kliniken wieder zu voll sind.
Autor:Astrid von Lauff aus Velbert-Langenberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.