Wölfe in NRW: Angst, Unwissen, Panikmache - und ein gehöriger Schuß Ideologie
Der Wolf ist wieder da - und er erhitzt die Gemüter. Aufgebauschte Sensationsmeldungen über gefühlte Bedrohungen und Angriffe von Wölfen auf Haustiere durchziehen inzwischen das Internet. Ende Januar dieses Jahres landete der Wolf sogar auf der Tagesordnung des Bundestages, wo sich über seine Präsenz und den Umgang mit dem derzeit größten wild lebenden Beutegreifer Deutschlands ein erbitterter Schlagabtausch entwickelte.
Ruhrnachrichten titelt: "Der Wolf wird zur Bedrohung"
Die in der Regel recht moderate westfälische Regionalzeitung Ruhrnachrichten titelte in ihrer darauf folgenden Samstagsausgabe reißerisch „Der Wolf wird zur Bedrohung“. Ein Faktum. Aber ist das korrekt? Ist der Wolf eine Bedrohung? Und wenn ja - für wen? Andreas Hoenig und Peer Körner, die Autoren des von der dpa übernommenen Leitartikels der Ruhrnachrichten vom 03.02.2018, geben jedenfalls der Sicht der Wolfsgegner den meisten Raum - die unmittelbare Bedrohung von Mensch, Haustier und wirtschaftlichen Existenzen wird plakativ an die Wand projiziert. Der Wolf ist böse, und muß dezimiert werden. Aber ist das tatsächlich so?
Als Kronzeuge des Argumentes muß das Verhalten eines Wolfsrudels im Landkreis Cuxhaven herhalten, dem zahlreiche Risse von Haustieren - darunter Schafe und selbst Rinder - zugerechnet werden. Dieses Verhalten ist nach Ansicht zahlreicher Wolfsexperten äußerst ungewöhnlich. Wie also kommt es dazu?
Schon bei oberflächlicher Betrachtung stellt sich schnell heraus, es war einmal mehr der Mensch, der für die Verhaltensauffälligkeiten dieses speziellen Rudels verantwortlich ist.
Fragen wir die Experten
Zusammen mit meiner Tochter Sophie besuchte ich den weithin bekannten Wolfsspezialisten Jos de Bruin in Sonsbeck, nahe der Niederländischen Grenze. Studiert seit Jahrzehnten Wölfe in freier Wildbahn und in Gefangenschaft und betreibt nicht nur das Wolfsgehege des Tierparks Haltern, sondern zudem die Hilfsorganisation „Wolves Unlimited“, auch zu finden unter „www.wolf-auffang.de“ in Sonsbeck. Hier kümmert sich der engagierte Tierschützer um Wölfe und Wolfshybriden, die auf verschiedenen Wegen zu ihm gelangt sind.
Sophie stellte Jos de Bruin die Frage was passieren würde, wenn bei einem Wolfsrudel die Elterntiere getötet würden, bevor gewissermaßen die „Jagdausbildung“ des Nachwuchses abgeschlossen sei - insbesondere, ob sie möglicherweise eine Vorliebe für die Jagd auf Haustiere entwickeln könnten. „Ja - natürlich“, meinte Jos, denn sie hätten womöglich nie die richtigen Jagdtechniken für die üblichen Beutetiere erlernt.
Laut des in Niedersachen örtlich zuständigen offiziellen Wolfsberaters Hermann Kück sind für die gerissenen Schafe und Rinder tatsächlich 5 elternlose Jungwölfe zuständig, deren Muttertier 2017 illegal geschossen wurde. gegenüber dem NDR sagte er “Die jungen Wölfe haben daher das Jagen von Wild nie gelernt und stattdessen angefangen, Nutztiere anzugreifen" und fügt hinzu "Bei einer intakten Rudel-Struktur würde dies nur in Ausnahmefällen vorkommen."
Einzelfälle taugen nicht für Urteile
Selbst der Naturexperte und Wolfsberater Kuck empfiehlt in diesem Einzelfall die Tötung der Jungwölfe, da aus seiner Sicht die Gefahr besteht diese könnten ihr verändertes Jagdverhalten auch auf die kommenden Generationen übertragen. Zugleich allerdings stuft das Niedersächsische Umweltministerium die Cuxhavener Wölfe noch nicht als verhaltensauffällig ein, da diese bisher keine Haustiere gerissen haben, für die die empfohlenen Schutzmaßnahmen getroffen wurden.
In jedem Fall wird schnell deutlich, daß man aus dem Einzelfall der Cuxhavener Wölfe keinesfalls eine allgemeine Genehmigung zum Abschuss und zur Regulierung von Wölfen ableiten kann, wie sich dies offenbar so manch eifriger Trophäen-Jäger wünscht. „Grundsätzlich muß es (…) Ziel der Politik sein“ so das Ministerium, „die Akzeptanz für den Wolf zu erhöhen.“
Natur ist nicht (nur) romantisch
Auch Wolfsvater Jos de Bruin ist weit von romantischen Vorstellungen über seine Schützlinge entfernt und sieht Probleme vor allem auf Seiten der Menschen. Es sind Eingriffe des Menschen, die zum einen die natürlichen Ökosysteme nachhaltig gestört haben. Ebenso ist es Fehlverhalten des Menschen, das in letzter Konsequenz zu unnatürlichem - und aus Sicht verschiedener Interessengruppen unerwünschten - Verhalten von Wildtieren führt. Dies muß nicht einmal ein so drastisches und strafbares Fehlverhalten sein wie der illegale Abschuss einer streng geschützten Art. Schon das Anfüttern von Wildtieren kann deren Verhalten nachhaltig ändern. Über längere Zeiträume kann solch eine Praxis laut de Bruin sogar zu genetischen Veränderungen führen. Als Beispiel nennt er die seit Jahrhunderten durchgeführte Zufütterung von Wildschweinen, die zu einem veränderten Paarungsverhalten und deutlich erhöhten Populationen geführt hat.
Wenn die Vergangenheit mithin eines gezeigt hat, dann dies: Eingriffe des Menschen in natürliche Systeme führen praktisch immer zu unerwünschten Ergebnissen und sollten deshalb nur unter äußerst engen Rahmenbedingungen erfolgen. Wölfe aufgrund von Unkenntnis und Panikmache in der Öffentlichkeit zu Jagdwild zu erklären ist dabei in keinem Fall eine Lösung. Dies gilt um so mehr, da ein Hauptinteresse eines großen Teils der Amateurjäger die Ausübung der Jagd an sich ist, und nicht etwa der Naturschutz oder die vielbeschworene „Hege und Pflege“. An dieser Stelle sollte auch darüber nachgedacht werden, welche Fehlanreize die derzeitige Organisation von Landwirtschaft, Naturschutz und Jagd setzen - und zu welchen Konsequenzen dies führt.
Suche nach Balance und Fakten
Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, daß uns noch lange beschäftigen wird. Wie bei allen komplexen Themen wird es für Nicht-Experten immer schwieriger werden, Propaganda und Wahrheit, wissenschaftliche Fakten und reißerischen Populismus deutlich voneinander zu trennen. Ein Tip von meiner Seite: Ich denke es ist objektivierter, daß etwa ein studierter Wildbiologe ein Experte ist, ein Amateurjäger, der im Hauptberuf vielleicht Anwalt oder Bankkaufmann ist und seinen Jagdschein in Wochenendkursen erlangt hat, dagegen nicht. Das fachliche Bildungsverhältnis unterscheidet sich in etwa wie das zwischen einem Doktor der Medizin und den Absolventen eines erweiterten Erste-Hilfe-Kurses. Letzteren würde man auch keine Entscheidungen über die Notwendigkeit einer Herzoperation überlassen.
Weitere Informationen: Ich empfehle auch das Interview, daß meine Tochter Sophie im Rahmen ihres ersten Berufserkundungstages der Klasse 8 mit Wolfsberater Ralf Scholz geführt hat, sowie ihren ebenfalls hier veröffentlichten Kommentar zum Thema.
Unser vollständiges Gespräch mit Jos de Bruin folgt demnächst auf diesem Kanal.
Danksagung:
Vielen Dank an Jos de Bruin von Wolf-Auffang.de. Jos ist einer der besten Wolfskenner des Landes und kümmert sich mit seiner Hilfsorganisation Wolf-Auffang.de bzw. "Wolves Unlimited um Wölfe und Wolfshybriden. Dazu gehört die Vermittlung von Tieren in zoologische Gärten ebenso wie die Pflege von Wölfen und Wolfsmischlingen in der eigenen, spendenfinanzierten Auffangstation in Sonsbeck. Auch die Karpatenwölfe des Wildparks Haltern gehören zu seinen Schützlingen. Zusätzlich veranstaltet Jos de Bruin Fortbildungen und Fachseminare zum Thema Wölfe und Naturschutz.
Quellen:
Persönliches Interview von Stefan und Sophie Thiesen mit Jos de Bruin bei „wolf-auffang.de“ in Sonsbeck am 04.02.2018
Ruhr Nachrichten v. 03.02.2018
https://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Cuxhaven-Fuehrungslose-Jungwoelfe-haben-sich-auf-Nutzvieh-spezialisiert-8788922.html
http://wolfsmonitor.de/?p=11829#more-11829
http://www.umwelt.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/entnahme-der-wolfsrudel-in-barnstorf-goldenstedt-und-cuxhaven-160311.html
Persönliche Gespräche mit dem Zoologen und Naturschützer Armin Knebel (www.biovision.de)
Autor:Stefan Thiesen aus Selm |
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