Mit Jerry Cotton in die "Poofe": Eine handvoll "Gestern" im Schuhkarton
Mit Jerry Cotton in die Poofe: "Früher", als soziale Netzwerke noch Zukunftsmusik waren und man vorm Einschlafen keine Nachrichten checken musste, pflegten Zeitgenossen andere Einschlaf-Rituale. Die legendären Krimi-Heftchen waren damals ganz schön in. Auch davon können alte Fotos erzählen. Nachlass-Bestände findet man häufig auf Flohmärkten. Spannend, welche (Lebens-)Geschichten sich in ihnen verbergen. Schuhkartonweise. Auf den - teils vergilbten - Schnappschüssen sind Menschen abgebildet, die es zumeist schon gar nicht mehr gibt.
Auch am gestrigen Sonntag, auf dem diesjährig ersten Flohmarkt in der Moerser City, konnte man sie aufstöbern. Wenn man denn wollte. Inmitten von unzähligem Krimskrams. Wahllos verstreut harrten sie auf manchem Tapeziertisch: Auf Papier gebannte Zeugnisse gelebter Leben. Und, wer interessiert sich für sie?
Fragen ohne Antworten
Richtet er sich den Kragen seines abgetragenen Karo-Pyjamas oder legt er sich fürs Fotografiertwerden sein Gold-Kettchen nebst Amulett um? Was mag den Jerry Cotton-Fan wohl bewogen haben, sich in solch einem Moment ablichten zu lassen? Was war er für ein Mensch gewesen? Weshalb schaut er auf diese Weise in die Kamera? Das obligatorische "All-in-One-Sofa", mit der geblümten Steppdecke, wartet darauf, zum Nachtlager umfunktioniert zu werden. Nachlässig schlackern die Altherren-Schlappen an den nackten Füßen des verstohlen in die Kamera dreinblickende Golduhr-Trägers. Die Schuhe hat er achtlos unter dem Nierentisch verstaut. Abgewetzt-speckige Plüschtiere zieren das olle Sofa. Sollen wohl auf nett "machen". Wie erbärmlich, mag man als Betrachter denken. Die scheinbare Trostlosigkeit der Szenerie. Aber auch: Hätte es sich der Fotografierte damals träumen lassen, mal in einem Schuhkarton auf einem Tapeziertisch auf einem Trödelmarkt zu landen? Wildfremde Menschen zu Gedanken hinsichtlich seiner Person zu inspirieren? Fragen ohne Antworten.
Ach Gott, private Fotos
"Ach Gott, das sind ja private Fotos", äußerte eine Flohmarkt-Besucherin völlig erstaunt. Verlegen ließ sie eines der Fotos, das sie in die Hand genommen hatte, wieder in den Karton fallen. Als hätte sie sich die Finger verbrannt.
Es gäbe schon Flohmarktbesucher, die sich für alte Fotos aus Nachlässen fremder Menschen interessieren, wusste der "Verkäufer" zu erzählen. Sammler von Armee-Gegenständen etwa. Oder Menschen, die sich für Architektur interessierten. Wieviel er für eine Handvoll haben möchte? Einen Euro.
Gern getrunken hat man "früher" jedenfalls. Fast keine Aufnahme, wo nicht dicke Maas die Szenerie beherrschen. Es wurde auch viel gefeiert, getanzt und in Urlaub gefahren. Sehr gerne in die Berge. Gelebt eben. Wie heute auch. Aber eben anders.
Autor:Marjana Križnik aus Düsseldorf |
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