"Ihr Kinderlein..." - wenn Kinder für‘s täglich‘ Brot singen müssen
"Ihr Kinderlein kommet...“- während hierzulande Weihnachtsmelodien erklingen und die Menschen dem Fest entgegen sehen, sichert manch' kleinem Sänger in Ecuador sein Gesang das täglich' Brot.
Die Neukirchen-Vluynerin Carolina Lottkus schnappt sich gelegentlich eines der Kinder, um mit ihm essen zu gehen. Fernab von Feiertagsstress erlebt die 20-jährige in Esmeraldas, im Norden Ecuadors, eine wahrhaft sinnreiche Zeit
„Außer der Weihnachtsdeko, die man hier schon seit Monaten kaufen kann, deutet nichts auf den Winter hin“, erzählt Carolina, die in dem südamerikanischen Land einen einjährigen Freiwilligendienst ableistet (Der Lokal-Kompass berichtete). Bei 32 Grad im Schatten fehlt ihr der Schnee.
Wie die meisten Ecuadorianer, wurde auch in ihrer Gastfamilie bereits im November ein Weihnachtsbaum samt buntblinkender Lichterkette aufgestellt. Aus Kunststoff, das ist so üblich dort.
Kürzlich erreichte Carolina aus der Heimtat ein Adventskalender - ein Weihanchtsmannkopf in einer Wolke aus Päkchen. „Meiner Gastfamilie ist dieser Brauch sehr suspekt“, so Carolina. Bei Päckchen ist jedoch Kreativität gefragt . „Das erste habe ich mir vorsorglich zur Paketstation schicken lassen“, sagt sie. Denn Straßenschilder gibt es oftmals nicht. Die Reise des Päkchens dauerte beinahe vier Wochen. Carolina hatte die Hoffnung, dass dieses ankommt, schon fast aufgegeben, doch sich dafür umso mehr gefreut, als die Postdame es ihr nach dem „32. Mal“ Nachfragen endlich überreichte. Ein Viertel ihrer Zeit hat die junge Frau, bereits hinter sich. Vormittags arbeitet sie in einer Kita und nachmittags erteilt sie jungen Ecuadorianern Deutschunterricht. Sie blickt auf jede Menge schöner Erlebnisse zurück, musste aber auch gefährliche Situationen meistern: „Ich wurde zweimal ausgeraubt“, erzählt Carolina. Die Neukirchen-Vluynerin selbst blieb unversehrt. Ihr Handy und die Kamera stahlen die Diebe. Unglaublich: „Die Eindrücke dort - bittere Armut, Lehmhütten teils ohne Dach und Wände - wiegen stärker, als der Ärger über die Diebe,“ sagt sie. Esmeraldas im Norden des Landes, wo Carolina bei einer Gastfamilie lebt, gilt als eine der gefährlichsten Städte Ecuadors. Trotzdem sagt sie:„Ich fühle mich mittlerweile pudelwohl und richtig zufrieden.“
Die Arbeit im Colegio, wo sie Deutsch unterrichtet und jungen Leuten die deutsche Kultur näher bringt, um sie auf ihren Freiwilligendienst in Deutschland vorzubereiten, macht ihr großen Spaß. „Alle kommen mehr oder weniger pünktlich, wobei die Betonung eigentlich auf kommen liegt“, sagt sie. Neulich hat Carolina im Rahmen einer Kulturstunde Kartoffelsalat mit Würstchen zubereitet. Die Schüler liebten es. „Essiggurken und vernünftig schmeckende Würstchen waren aber schwer zu kriegen“, sagt die Carolina. In den vergangenen Wochen war sie damit beschäftigt, die Vorbereitungen für die vorherige Freiwilligengeneration zu treffen.„Anfang nächsten Jahres eröffnen wir einen Zusatz-Deutschkurs, um mit einigen Teilnehmern gezielter und intensiver zu lernen“, erzählt sie. So werden den jungen Ecuadorianern hoffentlich bald neben dem Aupair-Programm den jungen Ecuadorianern nochauch andere Projektstellen zur Verfügung stehen.
Manchmal wird es Carolina schwer ums Herz:„Man begegnet hier oft Menschen, denen Gliedmaßen fehlen, neben der Armut macht mich das sehr betroffen“, sagt sie. Sehr nachdenklich stimmt sie, dass „viele Kinder wenig Zeit haben, Kind zu sein. Putzen, Waschen, Kochen oder Bügeln vor der Schule sind da noch geringere „Übel“. „Ein wohlbehütetes und kindgerechtes Aufwachsen, wie bei uns ist den meisten Kindern nicht vergönnt“, sagt Carolina. Schule sei Nebensache. Viele Kinder müssten Waren verkaufen, singen oder aber um Geld oder etwas zu essen betteln. Geld habe sie erst einmal gegeben, als ein etwa Siebenjähriger im Bus aus vollem Halse gesungen und Spenden gesammelt habe. „Das Lied habe ich immer noch im Kopf“, sagt sie.
Am liebsten würde sie den ganzen Tag mit den Kleinen in der Kita verbringen. „Mittlerweile fühle ich mich nicht mehr wie eine herumstehende Praktikantin“, erzählt sie.Gelegentlich muss sie sich auch sehr wundern: Etwa über die Eigentümlichkeit der Ecuadorianer , vage oder schwammige Auskünfte zu erteilen oder was Pünktlichkeit anbetrifft: „En la noche umfasst den ganzen Abend, für verschiedene Dinge gibt es einen Begriff, Brot ist Brot, Mensch ist Freund und alles Flüssige heißt aguita, also ein Wässerchen.“ Technische Geräte, wie Küchen- oder Personenwaagen und Messbecher gäbe es nicht. „Das ist manchmal schwierig, weil ich sehr gerne Kuchen backe, stärkt aber ganz bestimmt mein Augenmaß“.
Jeder verfahre häufig so, „wie er gerade lustig ist, alles wird pi mal Daumen erledigt“. Das sei manchmal anstrengend, aber insgesamt würden die Menschen ein entspannteres Leben führen, hat Carolina beobachtet. „Ich habe hier noch nie jemanden gesehen, der sich beeilt hat, um nicht zu spät irgendwo zu erscheinen“, sagt sie.
Ansonsten müsse sie oft erklären: „Dass ich freiwillig in Esmeraldas bin und Angela Merkel mich nicht gezwungen hat, hier zu arbeiten“.
Carolinas freiwilliges soziales Jahr wurde vom Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJD) vermittelt. Dieser wird gefördert vom Bundesfamilienministerium.Weltweit engagieren sich derzeit 18 Deutsche in sozialen Projekten. Unterstützt werden Entwicklungsprojekte von der Organisation „World-Horizon“, die dazu beitragen, dass Kinder ihr Potential nutzen können: in der Schule, auf dem Fußballplatz oder beim internationalen Austauschprogramm in Deutschland. Spenden sind möglich unter: Konto 1235035, BLZ 300 700 10, Stichwort: Carolina Lottkus.
Autor:Marjana Križnik aus Düsseldorf |
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