Gute Nacht Geschichten: Die Kiste
Das Chameläon sitzt auf einem Ast. Regungslos.
Nur ab und zu dreht sich eines seiner Augen.
Starrend.
Lauernd.
Ich sitze auf meiner Kiste und beobachte das Reptil.
Es kommt mir vor, als wären Stunden vergangen. Und noch immer hat es sich nicht bewegt.
Ich würde gerne rauchen, aber ich habe Angst es aufzuscheuchen, wen ich nach meiner Tasche greife.
Langsam, ganz langsam, bewegt es ein Bein.
Es ist eine Bewegung, die nicht auffällt.
Die wirkt wie ein Ast im Wind.
Und Millimeter um Millimeter bewegt es sich vorwärts.
Ich denke wieder an sie.
Sie war..ist...die schönste...von allen.
Ich weiß noch immer nicht, wie ich es geschafft habe. Was waren wir für ein Paar.
DAS Traumpaar...
Bis ER kam.
Fast unmerklich bewegt sich das Tier vorwärts. Wenn man es nicht ständig beobachtet, würde man es kaum merken.
Auf einmal war ER da. Ich weißgar nicht mehr genau, wie und wo wir IHN kennengelernt haben.
Auf einer Party? Im Pub?
Irgendwann war ER da.
Und ER war immer da.
Das Reptil scheint etwas bemerkt zu haben. Man spürt geradezu die Anspannung. Jetzt wird es völlig reglos.
Nur sein Auge glitzert ein wenig... in der Sonne.
ER war groß, gutaussehend und Charmant.
Irgendwie war sein Lächeln ansteckend.
Anfangs trafen wir uns fast zufällig
dann immer öfter.
Und irgendwann gehörte ER einfach dazu.
Fast wie ein Familienmitglied.
Das Chameläon hat etwas fixiert. Es ist starr vor Anspannung, die Augen ganz auf ein Ziel gerichtet.
Ich war oft fort.
Das Geschäft lief gut.
Oft zogen sich die Verhandlungen bis spät in die Nacht und manchmal gingen wir noch was trinken.
Ich kam spät und immer später nach Hause.
Und eines Tages kam ich zu früh.
Das Reptil ist wie mit dem Ast verwachsen. Wenn ich nicht genau wüßte, wo es ist, ich würde es nicht mal mehr wahrnehmen.
Plötzlich schießt seine unglaublich lange Zunge mit unglaublicher Schnelligkeit vor.
Ich wußte nicht was ich tun sollte.
Es tat so weh. Mir wahr als hätte jemand einen glühenden Dolch in mein Herz gestoßen. Der Schmerz wuchs. Tag um Tag, Woche für Woche.
Ich dachte, er würde niemals enden.
Ich wußte lange nicht, was ich tun sollte.
Genauso schnell wie sie hervorgeschossen ist, schlappt die Zunge ins Maul zurück. Ein fetter Falter klebt an der Spitze.
Und während das Reptil mit entnervender Langsamkeit seine Beute kaut, ragen die wunderschönen bunten Flügel noch heraus.
Aber das spielt wohl keine Rolle mehr.
Ich sitze auf meiner Kiste in der Sonne und lächle etwas vor mich hin.
Langsam greife ich in meine Tasche und hole eine Zigarette heraus.
Träge blase ich Rauchringe in den blauen Himmel.
Und denke wieder an sie.
Und spüre eine leise Erschütterung
ER klopft wieder.
Schwächer jetzt.
Das wird wohl auch bald aufhören....
Autor:Thorsten Ottofrickenstein aus Menden (Sauerland) |
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