Der Hamburger
KEIN GERICHT, SONDERN EINE ZEITERSCHEINUNG:
DER HAMBURGER
Warum heißt der Hamburger bloß Hamburger?
Leider weiß das niemand. Sicher ist, daß er nicht aus Hamburg stammt, sondern aus den USA. Daß er wenige Jahrzehnte alt ist.
Worum geht's? Um Brot, das sich wie Watte zusammendrücken läßt. Rohe Zwiebeln, die Kommunikation nur mit Gleichgesinnten ermöglichen. Gräßlich viel Ketchup. Ein Salatblatt. Gummikäse. Eine Art Minitellermine, die angeblich aus Rindfleisch besteht und schmeckt, als wenn man die Zunge zum Fenster heraushängt.
Ich persönlich bin richtig froh, daß der Hamburger Hamburger heißt und nicht etwa Berliner. Was wäre aus Kennedys berühmter Rede geworden, wenn er gesagt hätte 'Ich bin ein Börliiner", und jeder hätte an eine in Brot gepreßte Baulette gedacht?
Der Hamburger gilt in der ganzen Welt inzwischen als deutsches Nationalgericht. Damit müssen wir leben. Wie die Ungarn, deren Hirteneintopf Gulyas in der internationalen Küche eine böse Verwandlung durchgemacht hat. Wie die Italiener, die keinen Italienischen Salat kennen. Und wie die Chinesen, die das Chop Suey in den USA kennenlernen.
Für viele Gourmets ist der harm- und reizlose Hamburger ein Stein des Anstoßes. Der Inbegriff von Fast Food. Von Verfall der Eßkultur. Von Massenabfütterung und genormtem Essen.
Sein Erfolg ist ein Symptom.
Unsere Eßgewohnheiten haben sich in zwei Generationen stärker verändert als in Jahrtausenden vorher. Immer hatte es große Tischgemeinschaften gegeben. Gegessen wurde zu den Mahlzeiten. Wünsche wurden nur berücksichtigt, wenn sie vom Alpha- Tier des Menschenrudels kamen. Heute nehmen die meisten Menschen ihre Hauptmahlzeit am Arbeitsplatz ein. Das Essen darf kaum Zeit kosten.
Daher der Griff zur genormten Mahlzeit, die kein Nachdenken erfordert.
Auf der anderen Seite erleben wir eine Gegenbewegung. Man kocht für Gäste mit nie dagewesenem Aufwand an Zeit, Geld und Mühe. Manche Privathaushalte stehen Profis an Ausstattung kaum nach. Kochbücher werden ausgestattet wie Kunstkataloge. Es gibt Food-Journatisten - ein neuer Beruf.
Die moderne Tischrunde mit Gästen ist - bei vielleicht gleicher Größe - anders als die der vergangenen Zeiten. Wer sich heute zusammensetzt, tut es freiwillig. Er hat Freude an der Kombination von Essen und Gesellschaft. Er rechnet diese Stunden vielleicht zu den Höhepunkten seines Daseins.
So unglaublich es in Gourmet- Ohren klingen mag: Genau das ist es, was die Jugend zum Hamburger-Schuppen treibt. Die Kids sitzen mit ihren Freunden zusammen, sie essen, sie reden und haben "jede Menge Spaß ".
Wir sollten uns nicht darüber aufregen, daß das alles unter Hamburger- Begleitung geschieht. Jugendliche fühlen sich hier ungezwungen - anders als in ihren Elternhäusern oder im guten Restaurant, wo so viel falsch gemacht werden oder kaputtgehen kann. Sie üben ihre Art Geselligkeit - zwanglos, ohne Zeitrahmen, ohne Tischordnung und - ohne den Zwang, mit Messer und Gabel zu essen.
Und hier begegnen wir, die wir uns als Gourmets verstehen, plötzlich diesen jungen Wilden, die Hamburger konsumieren.
Jahrhundertelang bemühten sich die Erzieher der europäischen Menschheit, unsere Finger immer häufiger und immer vollständiger vom Essen fernzuhalten. Jetzt befreien wir uns von diesem Drill.
Denken wir also nicht allzu schlecht vom Hamburger. Auch er hat seine Vorteile - vor allem, wenn man ihn nicht essen muß.
Autor:Siggi Becker aus Langenfeld (Rheinland) |
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