Freilaufende Hunde reissen Reh am Jaberg in Hilden. Interview mit dem Jäger, der das verletzte Reh erlösen musste.
Wie in der Rheinischen Post oder auch im WDR-Fernsehen zu lesen war, kam es am Donnerstag, den 27. April 2023 in Hilden auf der Hundewiese am Jaberg zu einer Tötung eines jungen Rehs durch freilaufende Hunde. „Kein Einzelfall“, sagt der 36-jährige Jäger Björn Möller vom Hegering Hilden und ergänzt: „In meinem Jagdbezirk ist der Fall vom Donnerstag bereits das sechste Reh, das seit Januar 2022 auf diese Weise zu Tode gekommen ist.“ Peter Piksa spricht mit Jäger Björn Möller über die Eigenverantwortung von Hundehaltern, die Leinenpflicht und was es mit der Brut- und Setzzeit auf sich hat.
Peter Piksa: Herr Möller, Sie sind Jäger, genauer gesagt Jagdausübungsberechtigter. Was bedeutet das genau?
Björn Möller: Es gibt zwei Arten von Jagdbezirken: Den Eigenjagdbezirk, das heißt, dass eine Person mindestens 75 Hektar besitzt - Bauern, Fürsten, andere Wohlhabende und so weiter. Dieser Eigenjagdbezirk kann selbst bejagt oder an andere zur Jagd verpachtet werden. Und dann gibt es noch die Genossenschaftsjagd. Hier schließen sich diejenigen zusammen, die selbst nicht über 75 Hektar verfügen. Wir hier in Hilden haben das Modell der Eigenjagd. Das ist der Hildener Stadtwald. Der ist etwa 550 Hektar groß und wird von der Stadt zur Jagd und Wildhege verpachtet.
Peter Piksa: Es geht also nicht nur um das reine Jagdrecht, sondern auch um Pflichten - welche wären das?
Björn Möller: Angenommen, die Polizei meldet einen Verkehrsunfall mit Wild - dann haben wir die Pflicht, das Wild zu finden und gegebenenfalls zu erlösen. Die Elberfelder Straße zum Beispiel ist unser Haupteinsatzgebiet, weil man da 70, manchmal 100 fahren kann. Das größte Problem sind aber die Risse. Allein im Jahr 2022 musste ich vier Rehe erlösen. Drei davon als Folge von Hunderissen. Das vierte war ein Verkehrsunfall.
Peter Piksa: Daraus folgt, dass allein in den vier Monaten des Jahres 2023 drei weitere Fälle hinzugekommen sind. Und diese drei Fälle von 2023 waren auch Hunderisse?
Björn Möller: Ja, genau. Wir haben Rehe, die direkt vom Hund getötet wurden. Wir haben aber auch Fälle, in denen Hunde ihre Opfer so schwer verletzen, dass ich keine andere Möglichkeit habe, als das Tier zu töten, zu erlösen. Das war am Donnerstag der Fall.
Peter Piksa: Was ist mit dem Tier passiert?
Björn Möller: Knochenbruch am hinteren Lauf, Bisswunden am Kopf, Hals und an der so genannten Drossel - im Volksmund auch Kehle genannt. Dieses Verhalten steckt einfach in den Hunden. Ich erzähle Ihnen von einem anderen Fall. Beim Auslesen der Chips von zwei Hunden, die Wild gerissen hatten, stellte sich heraus, dass sie ursprünglich aus dem Ausland kamen, in beiden Fällen aus Rumänien. Nicht selten handelt es sich um Hunde, die von Tierschutzorganisationen gerettet und dann hier von Familien aufgenommen werden. Aber diese Hunde haben in ihrer Jugend draußen gelebt. Das heißt, sie mussten sich wie richtige Wildtiere durchschlagen. Dazu gehört natürlich auch die Jagd.
Peter Piksa: Also Hunde, bei denen der Jagdinstinkt nicht nur sozusagen als evolutionäres Gedächtnis ein Schattendasein fristet, sondern vor nicht allzu langer Zeit tagtäglich zum Einsatz kam.
Björn Möller: Genau. Diese Tiere haben richtig gelernt und geübt, Wildtiere wie Hasen, Fasane, Kaninchen oder Rehe zu töten, um etwas zu fressen zu haben.
Peter Piksa: Aber dieser Instinkt steckt doch in jedem Hund.
Björn Möller: In jedem! Es gibt natürlich Unterschiede in der Ausprägung. Es gibt natürlich den übergewichtigen Mops, von dem keine große Gefahr ausgeht. Aber es gibt eben auch Rassen, die einen sehr ausgeprägten Jagdtrieb haben, den man nicht nur kennen muss, sondern dem man auch entgegenwirken muss, wenn man will, dass der Hund nicht jedem Wildtier hinterherläuft.
Peter Piksa: Kommen wir noch einmal auf den Fall vom Donnerstag zurück. Was ist da genau passiert?
Björn Möller: Wir wurden von der Polizei angerufen und informiert, dass am Jaberg ein Reh von mehreren freilaufenden Hunden gerissen wurde und schwer verletzt auf dieser sogenannten Hundewiese liegt. So heißt das im Volksmund. In Wirklichkeit ist es einfach eine Wiese, die der Stadt gehört, die sie aber nicht verpachtet, sondern der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, damit zum Beispiel Hundebesitzer ihre Hunde dort ausführen können.
Peter Piksa: Es ist also erlaubt, dass Hunde dort unangeleint laufen?
Björn Möller: Es gibt in NRW keine allgemeine Leinenpflicht. Es gibt eine Leinenpflicht in Naturschutzgebieten sowie in Wohngebieten. Sie können in NRW auf Waldwegen mit ihrem nicht angeleinten Hund spazieren gehen. Sobald der Weg verlassen wird, müssen Sie den Hund an die Leine nehmen.
Peter Piksa: Trifft die Hundehalter, deren Hunde am Donnerstag das Reh gerissen haben, irgendeine Schuld?
Björn Möller: Ja, natürlich. Sie hatten ihre Hunde nicht unter Kontrolle.
Peter Piksa: Also es trifft sie nicht die Schuld, ihre Hunde nicht angeleint zu haben?
Björn Möller: Nein, sie sind ja nicht dazu verpflichtet, den Hund anzuleinen. Sie müssen ihn aber unter Kontrolle halten. Und das war nicht der Fall. Die Hunde müssen stets im Einflussbereich des Halters sein. Es kann nicht sein, dass der Halter sich irgendwo 500 Meter entfernt vom Hund befindet. Er muss ihn kontrollieren können. Mein Hund zum Beispiel ist ausgebildet. Wenn ich einen langen Ton pfeife, dann setzt er sich hin – selbst wenn er gerade einen Hasen sieht. Das ist es, was unter Kontrolle des Tieres zu verstehen ist. Wenn jemand seinen Hund nicht auf diesem Niveau unter Kontrolle hat, dann wäre es geboten, den Hund anzuleinen. Nur so gewinnt er die Kontrolle. Aber es besteht eben leider keine Pflicht zur Leine.
Peter Piksa: Kommen wir zur Frage der Eigenverantwortung. Wir halten fest: Seit 2022 mussten Sie sechs Hunderisse bearbeiten, weil Hundehalter ihre Tiere nicht unter Kontrolle hatten. Kann man dieses Problem mit dem Verweis auf die Eigenverantwortung überhaupt adäquat angehen?
Björn Möller: Ich würde sagen ja. Sie bewegen sich wie zum Beispiel am Jaberg oder einem Wald mit Ihrem Hund an der betreffenden Stelle ja als Gast. Die Wildtiere sind dort zu Hause. Sie sind bloß zu Besuch und Sie müssen sich auch gefälligst verhalten, wie ein Besucher.
Peter Piksa: Aber reicht es denn aus, auf die Eigenverantwortung der Hundehalter abzustellen – wo man doch schließlich sieht, dass der Verweis auf Eigenverantwortung am Ende oft genug dazu führt, dass das Konzept nicht aufgeht, weil immer wieder Wildtiere gerissen werden? Müsste man nicht gegebenenfalls andere Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel gesetzliche Regelungen, Verordnungen, oder, was auch häufig diskutiert wird, das Einzäunen von Gebieten?
Björn Möller: In Hilden gibt es diese eingezäunten Hundewiesen. Da lässt man seinen Hund rein und es passiert nichts. Aber damit zerschneidet man wieder Lebensraum, der dann vielen anderen Tieren nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zur Verfügung steht - zum Beispiel für die Nahrungssuche.
Peter Piksa: Aber wäre das eine Lösung?
Björn Möller: Die Lösung ist eigentlich, dass jeder seinen Hund unter Kontrolle bekommt.
Peter Piksa: Aber wir haben ja bereits gelernt, dass das nicht funktioniert.
Björn Möller: Dann müssten wir eine grundsätzliche Leinenpflicht einführen. In Niedersachsen zum Beispiel gibt es eine Leinenpflicht in der Brut- und Setzzeit vom 1. April bis zum 15. Juli. In NRW haben wir eine solche Regelung nicht. Da muss man dazu sagen: Das wollte der Landesjagdverband haben, aber das war unter RotGrün um die Jahrtausendwende herum politisch nicht gewollt, weil man den Hundehaltern nicht zumuten wollte, dass sie während der Brut- und Setzzeit ihre Hunde an der Leine halten. Hier in Hilden wurde mal versucht, eine Leinenpflicht grundsätzlich anzusetzen, aber dagegen wurde von einer Haanerin geklagt und die hat Recht bekommen.
Peter Piksa: Was hat es mit dem Begriff der Brut- und Setzzeit auf sich? Was bedeutet das für die allgemeine Bevölkerung?
Björn Möller: In dieser Zeit bekommen die meisten Vögel und Wildtiere Junge bzw. ziehen ihre Jungen auf.
Peter Piksa: Wie das Reh, das jetzt am Donnerstag getötet wurde.
Björn Möller: Das ist jetzt zufällig in der Brut- und Setzzeit passiert, aber es war ein bereits einjähriges Tier. Es hätte aber genauso gut ein schwangeres Reh sein können. Ich könnte Ihnen ein Video zeigen von einem schwangeren Reh, die, vermutlich durch einen Hund gehetzt, hechelnd über einen Weg gelaufen ist und während des Laufens ein Kitz geworfen hat und sich in Panik nicht um das Neugeborene gekümmert hat. Das Tier ist dann ins Unterholz gelaufen und hat dort das zweite Kitz verloren. Das Reh war völlig fertig. Nur weil ein Landwirt wusste, was zu tun war, konnten die Kitze in Sicherheit gebracht werden, so dass die Mutter zurückkehrte und die Neugeborenen als ihre eigenen annahm.
Peter Piksa: Es ist in NRW aber nicht so, dass während der Brut- und Setzzeit spezielle Regelungen in Bezug auf die Leine bei Hunden gelten?
Björn Möller: Nein. In Naturschutzgebieten oder FFH-Gebieten schon. Dort gilt grundsätzlich Leinenpflicht. Aber auch da halten sich manche Hundehalter nicht daran. Letzten Samstag wurde in einem Naturschutzgebiet ein Reh gerissen. Einige Zeit vorher hatten wir einen anderen Fall, ebenfalls im Naturschutzgebiet, weil auch dort die Hunde nicht angeleint waren. Dieses Reh war trächtig mit zwei Kitzen. Die beiden toten Kitze habe ich später eigenhändig aus dem Muttertier herausgeschnitten und in den Händen gehalten. Das alles hätte nicht sein müssen.
Peter Piksa: Das ist das Tier mit seinen Ungeborenen auf dem anderen Foto?
(Anmerkung: Es war zunächst beabsichtigt, auch dieses Foto hier zu veröffentlichen, um die in diesem Fall traurigen Folgen unverantwortlichen Handelns deutlich zu machen. Da Lokalkompass jedoch leider keine Einblendung von vorgeschalteten Triggerwarnungen ermöglicht, fiel schlussendlich der Entschluss gegen eine Veröffentlichung des Fotos.)
Björn Möller: Ja.
Peter Piksa: Was machen Sie dann eigentlich mit einem solchen toten Tier?
Björn Möller: Wir sehen zu, dass es der Natur trotzdem erhalten bleibt. Ich weiß zum Beispiel von einem Wildschwein, welches kürzlich Junge geworfen hat. Eines der toten Tiere habe ich in das Waldstück gebracht, in dem das Wildschwein lebt. In einem anderen Fall ging das tote Tier an den Solinger Vogel- und Tierpark für seine Füchse und Waschbären. Ich versuche immer das Bestmögliche aus dem Tier zu machen. Ich bin nicht einer, der das Tier in die Mülltonne schmeißt. Das ist immerhin ein lebendes Tier gewesen.
Peter Piksa: Wie werden solche Fälle verfolgt?
Björn Möller: Für solche Fälle ist meist das Ordnungsamt zuständig. Aber die wissen leider häufig nicht, was sie für Strafen ansetzen könnten. Sie könnten für dieses individuelle Tier eine Maulkorbpflicht oder eine Leinenpflicht ansetzen – oder einen Wesenstest.
Peter Piksa: Muss das nicht ein Gericht bestätigen?
Björn Möller: Nein, das ist nur eine Ordnungswidrigkeit. Das ist in Deutschland leider so. Und wir als Jäger können dann zusätzlich eine Sachbeschädigung anzeigen. Man kriegt dann quasi von der Versicherung des Hundehalters einen geldwerten Vorteil. Man bekommt das tote Reh bezahlt. Wir wissen aber auch von Fällen, wo das zuständige Ordnungsamt tätig geworden ist, dass im Rahmen des angeordneten Wesenstests und der Dinge, die damit zusammenhängen, der Halter am Ende um über 4.000 Euro ärmer war - und dieses Verfahren hat sich für den Halter über zwei Jahre hingezogen. Das tut dann schon weh und führt zu einem Lerneffekt. Der Hund hatte anschließend zwei Jahre Leinen- und Maulkorbpflicht. Trotzdem: Mir wäre lieber, ich müsste nicht wie jetzt am Donnerstag einem verletzten Tier zwecks Erlösung das Messer ins Herz stechen. Die Einstichwunde sieht man auf dem Foto auf der der linken Seite des Rehs.
Das große Problem ist aber auch die Dunkelziffer. Die Leute lassen ihre Hunde frei laufen, der Hund ist für ein paar Minuten im Unterholz verschwunden, tötet oder verletzt dort irgendein Wildtier, kommt dann zu seinem Besitzer zurück und der merkt überhaupt nicht, dass sein Hund ein Wildtier getötet hat. Wenn man „Glück“ hat, ist das Tier sofort tot. Bei dem Reh am Donnerstag vergingen vom Anruf der Polizei bis zu meiner Ankunft beim Reh etwa 20 Minuten, in denen das Tier elendig gelitten hat.
Aber der gesamte Schaden ist aufgrund der Dunkelziffer gar nicht richtig festzumachen. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Mein Onkel bewirtschaftet im Hildener Süden 70 Hektar Land. Er macht in meinen Augen richtig was für den Arten- und Naturschutz. Er macht Blühstreifen, er hat Brachen drin, er macht Fasanenaussetzungen und solche Sachen. Er versucht, die Tiere noch bei sich zu halten. Er hat vor über vier Jahren seine Flächen eingezäunt, nachdem ein nicht angeleinter Golden Retriever über seine Wiese und mitten durch das Fasanengehege gelaufen ist. Für die Henne hat sich der Hund nicht interessiert, aber alle fünf Eier waren zertrampelt. Solche Fälle gibt es überall, wohin man schaut, immer und immer wieder. Es wäre schon extrem viel wert, wenn in den Kommunen die örtlichen Ordnungsämter oder zum Beispiel im Wald die Kreisordnungsämter Kontrollen durchführen würden.
Peter Piksa: Herr Möller. Vielen Dank für das Gespräch.
Björn Möller: Danke auch.
Autor:Peter Piksa aus Langenfeld (Rheinland) | |
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