Soziales Miteinander lernen.

Eingang der Gemeinschaftsgrundschule Schloss Benrath.
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Der „ganz normale Tag“ fand auch Einzug in die Gemeinschaftsgrundschule Schloss Benrath.


Langenfeld/Düsseldorf.
„Die Weik-Stiftung möchte uns einen ganz normalen Tag bereiten, aber in Wirklichkeit ist es ein besonderer Tag“, erklärte Schulleiterin Edeltraud Wilshaus von der Gemeinschaftsgrundschule Schloss Benrath in Düsseldorf.
„Ihr sollt heute viel lernen, aber auch viel Spaß haben“, begrüßte Elmar Widera als Vertreter der Elisabeth & Bernhard Weik-Stiftung Schüler, Lehrer und helfende Eltern. Ein Sportler der Paralympics erzählte Bernhard Weik: „Ich habe mit 8 Jahren mein Bein verloren. Aber nicht das war das Schlimmste, sondern die Hänseleien meiner Schulkameraden.“ Um Verständnis für Menschen mit einem Handicap zu werben, geht die Weik-Stiftung in die Grundschulen und führt dort den „ganz normalen Tag“ durch, an dem die Kinder für das „Anderssein“ sensibilisiert werden sollen.

Die Schüler fahren mit verbundenen Augen auf dem Radtandem mit, lernen, als „Beinamputierte“ mit Gehhilfen Stufen zu überwinden, fahren mit dem Rollstuhl, laufen und klettern als „Übergewichtige“ mit beschwerten Gewichtswesten und Manschetten, schreiben und binden Knoten mit den Füßen (als „Armamputierte“) und bewegen sich als „Blinde“ mit dem Blindenstock vorwärts. Sie werden mit dem Gehörlosenalphabet bekannt gemacht und bekommen gezeigt, wie sich blinde Menschen mit vielen Hilfen im Alltag zurechtfinden.

In der zweizügigen, ca. 80 Jahre alten Grundschule werden 170 Kinder von neun Lehrer/innen, einem Referendar plus der Schulleiterin unterrichtet. „Vor dem ganz normalen Tag hatten wir eine Themenwoche, in der mit den Schülern etwas erarbeitet wurde, wie soziales Miteinander, Empathietraining, szenisches Schauspiel „Im Land der Blaukarierten“ über Toleranz oder der Besuch eines Tierheims.

„Es gibt gehörlose Eltern, die haben gehörlose Kinder, und nach einiger Zeit merken die Kinder, das Gebärden eine Sprache ist, mit der man sich unterhalten kann“, erklärte der Gehörlosenpfarrer Josef Groß, der den Schülern. Nicht nur auf die Gebärden müsse man achten, wichtig sei auch, was der Mund macht. Groß mach eine Bewegung, wie früher die Männer den Bart gezwirbelt haben. „Das bedeutet Opa“. Und so geht es weiter mit den Gebärden für Oma, Mama, Papa, Eltern, Baby, Kind, Erwachsener, bevor das Alphabet von A bis Z an die Reihe kommt. Es gebe auch eine chinesische, koreanische Gebärdensprache usw. Bei Amtshandlungen mit Hörenden und Gehörlosen tut sich der Pfarrer mit seinem katholischen Amtskollegen zusammen, wobei dann einer gebärdet und einer normal spricht.

Der blinde Wolfgang Krafft, der von 1973 bis 1983 eine Blindenschule besucht hat, sagt den Kindern: „Ich gehe in die Grundschulen, um zu zeigen, was blind sein ist und wie man damit umgeht.“ Er zeigt einen Relief-Wandkalender mit normalem Druck und zusätzlicher Blindenschrift (Brailleschrift). Die Bilder darauf sind hochgeprägt, so dass er sie mit den Fingern ertasten kann. „Ich spiele Schach und auf Musikinstrumenten“, erzählt Krafft. Um die richtige Hose aus dem Schrank nehmen zu können, werden die Bügel mit Blindenschrift gekennzeichnet. „Ich mache ganz viele schöne Sachen und habe einen großen Bekanntenkreis, so findet sich immer jemand, der mich zu Veranstaltungen begleiten kann.“

Zu viele Barrieren gebe es im Internet. Und am Geldautomaten ziehe er kein Geld, „das ist mir zu riskant“. Auf die Frage: „Wie sind Sie blind geworden“, antwortet Wolfgang Krafft: „Ich kenne nichts Anderes.“
Beim Lesen und Vorlesen brauche er eine feste Unterlage für das Buch, um beide Hände frei zu haben. „Im Dunkeln brauche ich keine Taschenlampe unter der Bettdecke“, witzelte er. Blinde können auch wählen, dabei helfen Schablonen, die über den Stimmzettel gelegt werden und auf denen man die jeweilige Partei ablesen kann.

„Wer möchte seinen Namen in Blindenschrift?“ fragt Manfred Glasmacher in der Klasse nebenan. Auch er zeigt den Kindern, welche Hilfsmittel vom Zollstock mit Punktmarkierung, dem sprechenden Wecker bis zum Farberkennungsgerät es für Blinde gibt.
Als er auf seiner „Schreibmaschine“ die Vornamen eintippt, muss er sich diese oftmals buchstabieren lassen, zu viele Namen gehören Schülern mit Migrationshintergrund und sind für deutsche Ohren ungewohnt.

Zwischen den zahlreichen Stationen konnten die Schüler im „Vorbeigehen“ kleine Stücke Bananen, Äpfel, Möhren, Gurken, Paprika mitnehmen, um sich mit Vitaminen zu stärken. Auch Mineralwasser war reichlich vorhanden, „damit ihr nicht austrocknet“, wie die Schulleiterin hervorhob. Eine Gruppe Eltern hatte bereits am frühen Morgen die mundgerechten Stücke zerkleinert. Auch in diesem Fall war das Obst und Gemüse eine Spende.

Viel Beinarbeit leisteten die Tandem-Piloten des ADFC Langenfeld Jo Ruppel, Christian Doll, Peter Hahnel und Günter Kraus. Nicht nur die 170 Schüler sollten alle eine Runde mitfahren, auch zahlreiche Lehrer und Eltern wollten es ausprobieren, wie es ist, mit verbundenen Augen auf dem Tandem mitzufahren. „Ich hatte manchmal das Gefühl, gleich umzukippen“, meinte eine Lehrerin. Bei den Kindern ist Tandem fahren das schönste Erlebnis. Absteigen, aufsteigen – ohne Pause fuhren die Tandem-Piloten und brachten jeder ca. 30-40 km unter die Reifen.

Auch das Fahren mit dem Rollstuhl kommt bei den Kindern gut an. Elmar Widera hat ihnen zusammen mit Karin Wolters erklärt, wie sie mit dem Rollstuhl anfahren, ihn in Schwung bringen, wie sie bremsen, sich drehen, Kurven fahren und wie sie eine Stufe überwinden, um danach einen Wettbewerb zwischen zwei Gruppen zu veranstalten.

Die assistierende Karin Wolters, selbst Rollstuhlfahrerin, betont: „Rollstuhlfahrer können mehr, als die meisten Menschen glauben oder sich vorstellen können. Deshalb sollte man nicht einfach ungefragt helfen, sondern nur, wenn dies ausdrücklich gewünscht ist.“ Wenn ein Rollstuhlfahrer selbst gut zurechtkomme, solle man das unbedingt respektieren und sich nicht auf-drängen.
„Das praktische Erleben bringt am Ende das Verständnis für diejenigen, die mit Einschränkungen leben müssen“, haben alle Beteiligten festgestellt.

Die Gemeinschaftsgrundschule Schloss Benrath kam auf die Idee, die Weik-Stiftung für „den ganz normalen Tag“ in ihrer Schule zu gewinnen, weil Lehrer und Schüler der benachbarten katholischen Grundschule diesen Tag bereits im vorigen Jahr durchgeführt hatten. „Unsere Schüler sprechen heute noch davon“, so eine Lehrerin dieser Schule.
Als Bernhard Weik zur Schule kommt, um das Material abzuholen, kann er noch am gemeinsamen Essen der Lehrer, Helfer und des cSc-Teams teilnehmen. „Es gab Pizza, die war so lecker, ich konnte gar nicht aufhören mit dem Essen.“

Autor:

Jürgen Steinbrücker aus Langenfeld (Rheinland)

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