Zweierlei Maß
Morgens um 11 Uhr im Foyer eines Einkaufszentrums. Der Alkohol, den man hier Prosecco oder Champagner nennt, fließt bereits in Strömen. Die hohen Stehtische sind dicht umlagert von elegant gekleideten Frauen und Männern, denen es nur schwerlich gelingt, ihr „Uns-geht-es-gut-Gehabe" unter Kontrolle zu halten. Aufgesetzte Fröhlichkeit und lautes Stimmengewirr sorgen dafür, dass ich mich mit Wortfetzen begnügen muss. Porsche, Sylt und Sushi sowie der Schwiegersohn, der seine eigene Praxis eröffnet hat, gehören wohl zu den Standardthemen.
Fast fluchtartig verlasse ich diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten und bahne mir in der Fußgängerzone einen Weg durch die Menschenmenge. Hier habe ich plötzlich sämtliche Leute lieb, und es stört mich auch nicht großartig, wenn mir alle zehn Meter irgendeine aufgeregte Mutter den Namen ihres weglaufenden Kindes in die Ohren brüllt. Hemd und eine vermeintlich dazu passende Krawatte sind schnell gekauft und es bleibt mir genügend Zeit, noch einmal bei Schick und Mick im Einkaufstempel vorbeizuschauen.
Dort ist die Schar der Frühtrinker unverändert groß, doch es ist lauter geworden. Ein Gemisch aus Arroganz und Tabakrauch wabert im Raum und es wird über Grappa- und Rotweinsorten diskutiert, wobei man es nicht bei der Theorie belässt. Natürlich hinterlassen auch die edelsten Getränke ihre Wirkung, so dass die anfängliche dezente Angeberei nun in peinliche Prahlerei ausartet.
Ich muss pünktlich zum Mittagessen zu Hause sein und wähle einen kleinen Park als Abkürzung zu meinem Auto. Auf einer Bank sitzen drei Männer in zerschlissener Kleidung und trinken Bier aus Dosen, auch macht eine Schnapsflasche die Runde. Ich stelle mir vor, wie einer dieser Prosecco-Experten im Vorbeigehen angewidert die Frage stellen könnte: „Wie kann man zu dieser Tageszeit schon Alkohol trinken?"
Autor:Klaus Ahlfänger aus Herten |
7 Kommentare
Geli fast den gleichen Kommentar hatte ich auch im Kopf ;o)
Seelenverwandt?
Aber ist doch wirklich so, so schnell kann man gar nicht schau, wie einem das mit der Bank passieren kann.
Mir tun die Menschein einfach leid, sie haben vielleicht ihren Halt verloren!!!
Und die angeblichen Schicke-Micki's finde ich ..........genau!!!
Da frage ich mich oft, wessen Herz größer ist. Die drehen sich doch für einen Bettler noch nicht einmal um!
Ja, so sehen die skandalösen Tatsachen in Deutschland hinter diesen Wahrheiten aus, die hier beschrieben werden:
830.000 Millionären in Deutschland stehen 5 Mill. Menschen gegenüber, die für weniger als 10 Euro, zumeist für einen Stundenlohn von 6 bis 7 Euro arbeiten. 2020 wird sich jeder achte Rentner unterhalb der Armutsgrenze befinden. Das ist nur eine von vielen schockierenden Prognosen für die Zukunft, in die wir hineinschliddern. Vielleicht führen ja solche Entwicklungen und die sich ausbreitende "soziale Kälte" tatsächlich irgendwann auf die Bank im Park.