Benno lebt in Herten auf der Straße
Zwei Koffer im Handgepäck-Format und eine Supermarkt-Tüte, darin transportiert Benno Boock alles, was ihm aus 53 Jahren geblieben ist. Ein Handtuch, eine Jeans - die Liste des Hab und Guts, mit dem der gebürtige Berliner vor rund einem Monat nach Herten kam, ist schnell geschrieben.
Vom Meerblick des schönen eigenen Haus auf Mallorca bis zur Kälte der Straße Hertens war es ein langer Weg. Denn Boock ging es nicht immer schlecht. „In den 90er Jahren hatte ich einen super Job, wollte mir einen schicken BMW zulegen“, blickt der heute Obdachlose melancholisch auf sein Leben zurück.
Erst ein Manager-Posten bei einer bekannten Bank, dann selbständig tätig für einen Kabel-Dienstleister, Ende der 80er/Anfang der 90er, da sei er gut situiert gewesen. „Wir haben in West- und nach der Wende auch Ost-Berlin Verträge mit Mietern abgeschlossen zu einer Zeit, als ja noch kaum jemand wusste, was ein Kabelanschluss überhaupt ist“, ringt sich der Neu-Hertener in Gedanken an gute Zeiten sogar ein kleines Lächeln ab.
Absturz durch ein Haus mit Meerblick
Aus dem neuen Auto ist dann nichts geworden, „bei meinen 1.88 Metern hat es beim Probesitzen einfach nicht gepasst“. Stattdessen investierte er - auf einen Tipp eines Freundes hin - in einen Wohnsitz in Spanien. „So richtig schön mit Meerblick“, schwärmt er noch immer. Doch schon die Anfänge des neu geplanten Lebens gestaltete sich schwer. „Das Haus war ja noch gar nicht fertig gebaut“, erinnert sich Boock, eine Unterkellerung kostete zusätzliches Geld, natürlich auch die Inneneinrichtung. Erst 2005 zog er endgültig in den Süden Europas, gab 2006 dafür seine Berliner Mietwohnung komplett auf.
Er bereut es bis heute: „Im Nachhinein mein größter Fehler.“ Denn dann setzte schleichend die große Wirtschaftskrise ein. Während er in den ersten Jahren noch im Markisen-Geschäft seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, wurden die Arbeitsmöglichkeiten später immer knapper. So scheiterte die Hausfinanzierung, den vermeintlichen Traumwohnsitz schluckte die Bank. 2011 war dann alles vorbei. Für seine 2009 geheiratete Frau ging es zurück in ihre russische Heimat und für ihn nach Deutschland, nach Berlin, ausgestattet lediglich mit Reisegepäck, ohne Unterkunft oder Beschäftigungsmöglichkeit. „So landete ich in meinem ersten Obdachlosenheim - mit 200 Alkoholikern unter einem Dach.“ Der Hilfsbedürftige schluckt schwer. Da sei er ganz unten angekommen.
„Nach zwei Monaten bin ich geflüchtet.“ Selbst zur Flasche oder gar zu anderen Drogen habe er zu dieser Zeit und auch später aber nie gegriffen. „Zumindest nicht mehr als mal ein Bier und Zigaretten, wie so viele es mal machen“, schließlich habe er das dadurch entstehende Elend hautnah ertragen müssen. „Das war mir Zeichen genug!“ Quer durch Deutschland ging es von da an mit dem Zug, ganz südlich nach Bayern und schließlich in den Westen, bis nach Herten hinein. „Immer drei Tage, mal hier, mal dort.“ So lange er eben in den jeweiligen Notunterkünften verweilen konnte. In Herten war die Diakonie an der Ewaldstraße 72 erster Anlaufpunkt, auch in der Auffangstation Backumer Straße kam er ein paar Tage unter. „Aber die dortigen Zustände sind kaum zumutbar“, schüttelt der Wohnungslose nur den Kopf, „obwohl dort noch kürzlich renoviert worden sein soll.“ Zum Glück sei er die übrigen Wochen in der Wohnung einer Bekanntschaft von der Straße unter gekommen. „Die ist aber bereits gekündigt.“Er sieht für die Zukunft schwarz, denn Alternativen habe er keine. „So einfach ist es nicht, eine Wohnung zu finden.“, weiß er, „aber mal ehrlich: Was nützt mir in diesem Katastrophenzustand, in dem ich gelandet bin, auch eine eigene Wohnung?“. Die eigenen vier Wände, ungestört leben, das ist gar nicht unbedingt sein Traum. „Dort würde ich doch nur dahinvegetieren, da wäre mein Leben ganz vorbei.“ Längst sind seine Probleme über fehlenden Wohnraum und mangelndes Geld hinaus gewachsen.
„Ich erhalte ja Gelder aber mir fehlt es an jeglicher Grundausstattung“. Was nütze es ihm, Suppe im Supermarkt zu kaufen, wenn weder Topf noch Teller oder Löffel vorhanden seien. Es fehlt eben an allem. Vor allem an Perspektiven und Lebensfreude. „Andere schlafen ein Drittel des Tages, gehen in der übrigen Zeit arbeiten, haben Hobbys und Freunde - bei mir ist es anders, ich schlafe fast nur.“
Was der in Herten gestrandete Berliner sich wünscht, sind Wohnprojekte. So denkt er zum Beispiel an verwitwete Rentner, die ebenfalls Gesellschaft oder sogar finanzielle Mietunterstützung benötigen, „eine solche Wohngemeinschaft wäre doch ideal“, stellt er sich vor, dass unterschiedliche Gruppen voneinander profitieren könnten.
Hoffnung auf einen glücklichen Zufall
„Ich habe ja schließlich keine Vorstrafen oder ähnliches, vor dem man sich fürchten müsste.“ Dass ein glücklicher Zufall vonnöten wäre, seine Idee wahr zu machen, ist ihm aber klar. „Dafür müsste man mir ja zuhören, ich bräuchte die Kontakte.“ Die Zeit bleibt aber nicht. Findet sich nicht bald eine Lösung, landet er wieder auf der Straße. Wenn nicht in Herten, dann garantiert irgendwo anders.
Beratungsstelle für Wohnungslose in Herten:
Ewaldstraße 72, Tel.106740
Autor:Sara Drees aus Dortmund |
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