Neues aus dem Blätterwald - Lesezwang
Ich leider unter einer folgenschweren Krankheit. Sie begann, als ich gerade ein paar Monate zur Schule ging. Zur Linderung der Beschwerden schob ich mein spärliches Taschengeld regelmäßig über den Ladentisch eines Schreibwarenhandels in unserem Ort. Die Nebenwirkungen waren beachtlich: Das Regal in unserem Zimmer füllte sich mit Büchern. Und nicht nur ich litt unter dieser scheinbar unheilbaren Krankheit; auch meine große Schwester gab all ihr Erspartes für die Büchersucht aus.
Immer und überall konnten wir sitzen und lesen. Dabei war fast egal, was uns in die Finger fiel, Hauptsache es ließ sich umblättern und war mit möglichst vielen Zeilen auf noch mehr Seiten gefüllt.
So war das in meiner Kindheit. Die Zeit bis zum nächsten Taschengeld und somit zum unausweichlichen Bucherwerb war immer zu lang. Heute mangelt es mir eher an Zeit, die man für Bücher nach dem Geld eben am nötigsten braucht.
Der Lesezwang aber ist ungebremst. Ich lese im Vorbeifahren, was auf Schildern steht. (Und zwar jeden Tag, wenn ich an diesen Schildern vorbeifahre!) Ich lese die Beschriftung von Tüten und Beuteln, die von anderen vor mir hergetragen werden. Ich lese T-Shirt Aufdrucke und Werbebotschaften, Beipackzettel und Schlagzeilen, Klingelschilder und Hinweise, deren Aussage ich längst kenne. Es gibt einfach kein Heilmittel dagegen.
In meiner Wohnung hängt an einem Haken ein Beutel. Er enthält Unterlagen, die ich regelmäßig benötige. Ich kenne den Aufdruck auf dem Beutel längst, kann ihn notfalls auswendig aufsagen. Aber wenn mein Blick darauf fällt, überkommt mich der Zwang, den Text Wort für Wort abzulesen.
Das ist ein wenig pathologisch, glaube ich. Aber ich hoffe, ich bin damit nicht alleine. Wenn Sie auch unter dieser Erkrankung leiden, schauen Sie doch auf meiner Homepage www.anjaollmert.jimdo.com vorbei. Dort können Sie im Blätterwald stöbern und lesen, was Sie noch nicht auswendig hersagen können. Dafür müssen Sie nicht einmal Ihr Taschengeld hergeben…
Autor:Anja Ollmert aus Herten |
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