Der Hertener Volkmar Udri veranstaltet Konzerte - und hat nun massive Probleme
Politik muss für Klarheit sorgen
Der Hertener Volkmar Udri trifft die Corona-Krise besonders stark. Er ist Agent. Künstler beauftragen ihn damit, in ihrem Namen Gagenverhandlungen zu machen. Gagen für Konzerte. Konzerte, die auf lange Sicht nicht stattfinden werden. Der Stadtspiegel hat sich mit ihm unterhalten.
Herr Udri, zu Beginn: Was machen Sie genau?
"Das können Sie sich so vorstellen: Ein Tisch. Auf der anderen Seite sitzt ein Konzertveranstalter, der in Kunst investiert, um über deren Weiterverkauf in Form von Konzertkarten Gewinn zu erzielen. Er stellt sich im Wesentlichen eine Frage: Wenn ich in diesen Künstler investiere, indem ich ihn für ein Konzert verpflichte und ihm dafür diese oder jene Gage bezahle, spiele ich diese Gage wieder ein und mache ich darüber hinaus Gewinn, in dem ich entsprechend viele Konzertkarten verkaufe? Auf der anderen Seite des Tisches sitzt der Künstler, der etwas anbietet, nämlich seine Musik in Form von Live-Darbietung. Nun ist es in den meisten Fällen so, dass der Künstler sich nicht selbst an diese Tisch setzt. Er beauftragt jemanden, der das für ihn macht und dem er eine Art Vollmacht gibt, dass er in seinem Namen und in seinem Interesse für ihn verhandelt. Dieser jemand ist ein Agent, und ein solcher Agent bin ich."
Und Sie bekommen dann ein Stück des Kuchens ab.
"Ja, ich handele die Gagen für den Künstler aus und bekomme dafür als Lohn eine prozentuale Beteiligung an der Höhe seinen Gagen. Für die Künstler, die ich betreue, bin ich in der Regel europaweit tätig, in manchen Fällen auch weltweit. Die Aufträge, mit denen die Musiker zu mir kommen, lauten meist in etwa so: Ich veröffentliche in einem Jahr ein neues Album und möchte zum Zeitpunkt, zu dem es erhältlich sein wird, eine Tournee spielen. Mach Du mal!
Der jüngste Auftrag war eine Tournee einer Gruppe aus Finnland, für die ich 39 Konzerte am Stück kreuz und quer über Europa verteilt gebucht habe."
Wie lange sind Sie bereits in der Branche?
"Ich mache diese Tätigkeit seit 15 Jahren. Seit Anfang des Jahres arbeite ich für die Konzertagentur Decibel Touring aus Essen. Ein noch ganz junges Unternehmen, das erst im letzten Jahr gegründet worden ist, und das mich mit seiner Vision schwer begeistert hat. Die Auswirkungen der jetzige Situation müssen Sie sich so vorstellen: Wir hatten für diesen Sommer diverse Künstler für viele Open Air Gastspiele in ganz Europa gebucht. Diese Open Airs finden nun vermutlich alle nicht statt. Für unser Künstler und damit auch für unsere Firma fallen für diesen Jahr praktisch die kompletten Einnahmen weg."
Aber Sie sind auch als Veranstalter in Herten aktiv.
"Genau. Abseits meines hauptberuflichen Betätigungsfeldes bin ich im letzten Jahr zum ersten Mal selbst in die Rolle des örtlichen Veranstalter geschlüpft und habe hier in Herten eine Konzert mit einer Metallica Tribute Band veranstaltet, zusammen mit dem Jugendzentrum Nord und dem Kulturbüro. Ich hatte die Veranstaltung als Test betrachtet, hatte sehen wollen, wie das hier angenommen wird. Das Konzert war direkt im ersten Anlauf ausverkauft, so dass sich die Idee nachzulegen förmlich aufgedrängt hat. Ich habe für dieses Jahr drei weitere Konzerte mit Tribute Bands starker Namen aus dem Rock-Bereich bestätigt, ebenfalls alle im JZ Nord. Das erste hatte Mitte Mai stattfinden sollen, der Termin ist aufgrund der Corinakrise aber natürlich abgesagt. Die anderen beiden Konzerte sind für Oktober und Dezember angesetzt, mit allen Fragezeichen dahinter, die die aktuelle Situation mit sich bringt."
Was muss seitens der Politik passieren, damit die Unterhaltungsbranche nicht komplett vernichtet wird?
"Die Politik muss für Klarheit sorgen. Es ist beschlossen worden, dass Großveranstaltungen bis zunächst Ende August verboten sind, es ist aber noch nicht klar gemacht worden, ab wie vielen Menschen im Zuschauerraum eine Großveranstaltung vorliegt. Zum anderen muss die Politik erkennen: Jedes Jahr geben die Menschen sehr viel Geld für Konzertkarten aus, nehmen sich Urlaub, um Festivals besuchen zu können, lieben es, sich in der Freizeit mit Gleichgesinnten über ihre Liebe zur Musik austauschen zu können. Das Erlebnis, einen Künstler live spielen zu sehen, kann man zum Glück bisher noch nicht aus dem Internet downloaden. Die Nachfrage nach dem Liveerlebnis ist groß und diese Nachfrage wird von einer Industrie bedient, deren Akteure ihrer Tätigkeit hauptberuflich nachgehen. Deren Existenz hängt davon ab, dass es auch weiterhin Konzerte und Festivals geben wird. Auf der Seite der Betroffenen sieht jeder ein, dass die Coronakrise eine Form von höherer Gewalt darstellt und dass aktuell ein Verbot von Veranstaltungen herrschen muss, von dem noch niemand absehen kann, wann Lockerungen in vollem Umfang vertretbar sein werden. Die Politik muss würdigen, dass Kunst und Kultur für viele Menschen eine hohe Bedeutung in deren Leben hat und dass es in höchstem Maße gilt, das am Leben zu erhalten. Dazu muss man denjenigen, die Jahr um Jahr Kunst aller Genres auf die Bühnen Deutschlands bringen, in Krisenzeiten zur Seite stehen."
Wie muss ich mir die tägliche Arbeit jetzt vorstellen? Sucht man Ausweichtermine für abgesagte Veranstaltungen, ohne dass man wirklich weiß, ob diese dann auch zustande kommen können?
"Ich bin zur Zeit damit beschäftigt, die für diese Sommersaison bestätigten Gastspieltermine unserer Künstler, die nun alle ausfallen, auf 2021 zu verlegen. Daneben bereite ich außerhalb der Sommersaison 2021 gerade einige Tourneen mit Gastspielen in ganz Europa vor, die erste davon im Februar nächsten Jahres."
Und wie lange kann die Branche das aushalten?
"Nicht sehr lange."
Was kann da der Musikfan tun, um zu helfen?
"Zuhause bleiben, Alben anhören und genießen und die Vorfreude auf das Liveerlebnis steigern, wenn es draußen wieder losgeht. Auf Facebook die Aktivitäten seiner seiner Lieblings-Konzertspielstätten und seiner Lieblingsbands verfolgen und von Fall zu Fall schauen, für welche ausgefallenen Konzerte er sein Geld zurückfordert oder wo er vielleicht darauf verzichtet, um so mittels einer Spende zu deren Überleben beizutragen."
Gibt es Versicherungen, die in dieser Situation helfen können oder sind für einen solchen Pandemiefall schlichtweg keine Vorsorgen getroffen worden bei den Veranstaltern?
"Vor kurzem hat der Veranstalter des größten Rockfestivals in Frankreich in einem Interview davon berichtet, dass er für seine Großveranstaltung im Dezember eine Versicherung gegen eine Pandemie abgeschlossen hat und dass diese nun nicht zu bezahlen bereit ist. Als ob das nicht schlimm genug wäre: Solche Versicherungen dürften nur ein Thema für die ganz großen Festivals sein, weil nur diese es sich leisten können, eine abzuschließen."
Sehen Sie auch Chancen in der Krise?
"Entschleunigung, den Blick für Dinge schärfen, der in der Hektik des Alltags zu oft untergeht, Sensibilisierung. Netter Umgang der Menschen miteinander, Solidarität und eine politische Klimaveränderung zu Ungunsten der AfD." Jubelnde Fans bei einem Rockfestival. Bilder, die wir lange nicht mehr sehen werden. Eine ganze Branche hat Angst vor dem Aussterben.Foto: Seiffert Volkmar UdriFoto: ST "Es fallen für diesen Jahr praktisch die kompletten Einnahmen weg."
Autor:XY Z aus Sonsbeck |
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