Herrn Dauer hat gesagt …
Herrliche Grammatik-Variationen einer Grundschülerin –
Eine kleine Fallstudie über grundschulische Fallstricke
Ein Phänomen, das stets wieder zu einem Schmunzelgrund wird: Wenn Kinder und jüngere Schüler etwas über einen Erwachsenen männlichen Geschlechts erzählen oder diesen anreden wollen, dann bekommt dieser Herr sehr oft noch ein n hinten drangehängt: „Herrn Berger ist gar nicht streng“, „Herrn Krautmann, bist du (auch: sind Sie) Bayern oder Schalke?“
An Grundschulen – das ist kein Geheimnis – sind heutzutage nur noch bemerkenswert wenige männliche Lehrpersonen anzutreffen. Dafür aber als möglichen Grund zu vermuten (oder gar anzuführen), die Lehrer wollten sich dieser fortwährenden „grammatischen Falschbehandlung“ nicht mehr aussetzen, erscheint mir zu weit hergeholt. An diesem Umstand müssen andere Faktoren schuld sein, die zu ergründen und zu erörtern der Rahmen einer Kurzgeschichte verbietet. Im Gegensatz zu/zum Herr/Herrn ist die Frau beugungsinvariant, genauer gesagt: das Wort „Frau“. Das bedeutet, sie/es bekommt in keinem der Fälle etwas angehängt. Deshalb haben Lehrerinnen kein Problem mit diesem Problem; und sie bieten deshalb auch ihren Schüler(inne)n keines. Zumindest nicht diesbezüglich.
Hören wir doch mal einem Gespräch zu, das Luisa (4. Grundschulklasse) gerade zu Hause mit ihrer Mutter führt:
L: Mama, Herrn Dauer hat gesagt, wir sollen morgen ...
M: Herr Dauer heißt das, Luisa, ohne n!
L: Aber Mama, in Dauer ist doch gar kein n.
M: In Dauer nicht, aber in Herrn Dauer.
L: Aber du hast doch jetzt selbst Herrn Dauer gesagt!
M: Liebe Luisa, ich habe doch gerade nur wiederholt, wie du es gesagt hast.
L: Und ich wollte doch auch nur wiederholen, was Herrn Dauer uns gesagt hat.
M: Herr Dauer, Luisa, nicht Herrn Dauer!
L: Aber Frau Schulte-Weilinghofen sagt immer, wir sollen Herrn Dauer fragen, wenn wir Probleme haben, weil das ist ja unser Klassenlehrer.
M: In dem Fall ist es ja auch richtig so: Herrn Dauer.
L: Nur, weil Frau Schulte-Weilinghofen das so gesagt hat?
M: Nein, Luisa, da handelt es sich einfach um einen anderen Fall. Man nennt ihn auch den vierten Fall – und später, wenn ihr größer seid, nennt ihr ihn den Akkusativ. Und der heißt eben Herrn.
L: Ist dieser Fall denn nur für Lehrer – oder Erwachsene?
M: Nein, natürlich nicht, jeder darf jeden Fall verwenden, aber immer nur den richtigen.
L: Und welcher ist immer der richtige?
M: Das kann man so nicht sagen. Es gibt keinen Fall, der immer der richtige ist; es hängt immer davon ab, wie man fragt.
L: Wie man Herrn Dauer fragt?
M: Nein, Luisa, wen man fragt, ist nicht entscheidend, sondern wie man nach dem Herr oder Herrn fragt. Wenn ich dich zum Beispiel frage „Wer hat etwas zu euch gesagt?“, dann antwortest du: „Herr Dauer“; das nennt man den ersten Fall – oder auch den Nominativ.
L: Und wie fragt man im vierten Fall, dem Assukativ?
M: Nicht Assukativ, sondern Akkusativ heißt das! Na zum Beispiel: „Wen von den Lehrern magst du am meisten?“ Wie würdest du nun antworten?
L: Am meisten mag ich Herrn Vielbach.
M: Ach den, euren Sportlehrer, nicht Herrn Dauer? Egal, jedenfalls ist Herrn in diesem Fall richtig. Übrigens kannst du Herrn Vielbach mal einen schönen Gruß von mir bestellen.
L: Alles klar, mach' ich, Herrn Vielbach, Assu... ähm: Akkusativ!
M: Nein, Luisa, wäre das ein Akkusativ, würde man ja fragen „Wen bestellst du einen schönen Gruß?“ Das wäre dann aber falsch gefragt.
L: Dann eben Herr Vielbach – oder doch Herr Dauer?
M: Beides falsch! Hier fragt man ja: „Wem bestellst du...?“ Und das nennt man den dritten Fall – den Dativ. Und dann gibt es auch noch einen zweiten Fall – den Genitiv.
L: Ich glaub', die beiden hab' ich schon mal gesehen. Die standen vorne auf dem kleinen Buch, das Herrn Dauer neulich vorne gelesen hat, als wir Stillarbeit hatten!
M: Herr Dauer, Luisa, nicht Herrn Dauer! Die Frage lautet ja: „Wer hat gelesen?“
L: Hab' ich doch gerade gesagt, wer gelesen hat! Aber einer von den beiden ist tot, stand auf dem Buch, glaub’ ich.
M: Von welchen beiden?
L: Na, von dem Dativ und dem Genitiv. Oder sogar beide! Komisch, trotzdem hat Herrn Dauer beim Lesen ständig gegrinst.
M: Nicht Herrn Dauer, Lisa, Herr Dauer hat gegrinst! Aber was du nicht alles siehst, mein Schatz. Dein Gedächtnis möchte ich haben. Jetzt hätten wir aber vor lauter Hin und Her und Herr und Herrn fast das Wichtigste vergessen: Was solltet ihr denn nun morgen? Hattet ihr nicht von Frau Schulte-Weilinghofen etwas gesagt bekommen?
L: Nein, Mama, du versteht aber auch gar nichts: von Frau Schulte-Weilinghofen doch nicht, von Herr Dauer!
Autor:Theo Grunden aus Hamminkeln |
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