Ausgedacht

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Vom ersten Dichtwettbewerb
des Dachverbandes

Einige Dachdecker vom linken und rechten Niederrhein hatten es schon vor einigen Jahren angedacht, erst jetzt wurde es Wirklichkeit. Ihr Dachverband schrieb einen Dichtwettbewerb für Dächer aus.

Eigentlich sollte es dabei um qualitätssteigernde Innovationen bezüglich der Dichtigkeit – im Sinne der Undurchlässigkeit – gehen; diese Eigenschaft wird ja allgemein bei Dächern nicht nur geschätzt, sondern auch ständig weiterentwickelt. Eine kleine Unbedachtsamkeit in der Ausschreibung führte jedoch dazu, daß das eine oder andere Dach glaubte, es ginge um die Kunst des Dichtens im Sinne des Reimens.

Es kam, wie es kommen mußte: insgesamt zehn Dächer reichten tatsächlich Gedichte ein. Zum Glück war man im Dachverband so flexibel und sichtweise, diese Sichtweise zu respektieren. Vom Schwerpunkt der Undurchlässigkeit nahm man mit einer gewissen Lässigkeit Abstand und prüfte fortan mit Bedacht die eingereichten Werke dächischer Dichtkunst.

Der erste Preis wurde schließlich dem Dach des Hamminkelner Rathauses zuerkannt; es hatte das folgende Gedicht eingereicht:

Als man das Rathaus überdacht
mit mir, hat mich das stolz gemacht.
Doch überdacht' man auch die Kosten
für alle andren teuren Posten?

Als Hamminkelner Bürger bin ich natürlich stolz auf diesen Erfolg, gestehe aber der Ehrlichkeit halber gerne ein: Dieser Sieg gelang nur mit äußerst knappem Dachvorsprung.

Hier das Gedicht, das mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde. Eingereicht worden war es vom Dach eines kleinen linksrheinischen Einfamilienhauses, das hier ungenannt bleiben möchte.

Als damals der Kyrill gekommen,
hab’ großen Schaden ich genommen.
Als er mir den Garaus gemacht,
fühlt' ich mich aus- und abgedacht.

Die Preisverleihung fand am letzten Samsdach im Rahmen einer Feierstunde statt. Mit Andacht hörten die anwesenden Dachbereichsvorsitzenden und Gäste den Grußworten zu. Solche wurden u. a. entrichtet von den Vertretern des Niederrheinischen Dachverbandes – mit Sitz in Oberhausen – und des Deutschen Dachverbandes – mit Sitz in Dachau.

Vom Weltdachverband „Dach der Welt“ (mit Sitz in Tibet) wurden aus verständlichen Gründen keine Vertreter entsandt; dennoch freuten sich alle Anwesenden ganz besonders, als die deutsche Dachverbandssekretärin Dachmar Giebel eine Grußbotschaft von dort verlas.

Wegen des großen Erfolges wird inzwischen lebhaft über weitere Wettbewerbe mit anderen Schwerpunkten nachgedacht. Dem Sieger eines für das kommende Jahr geplanten Wettbewerbes soll ein spezieller Titel verliehen werden. Bei den Beratungen dazu kam es zunächst zu einigen generationsbedingten Differenzen. Die Jugendabteilung des Dachverbandes forderte eine zeitgemäße Anglizismenberücksichtigung, während der überalterte Gesamtvorstand darauf bestand, es bei klaren und vertrauten Begriffen der deutschen Sprache zu belassen.

Man einigte sich dann aber auf den Titel „Dachfirst des Jahres“, wobei die rechte Dachfirsthälfte, „first“, ja von den Älteren deutsch, von den Jüngeren englisch ausgesprochen werden könne. (Letzteres sei übrigens bestens geeignet, den Siegerstatus ausdrücken.)

Autor:

Theo Grunden aus Hamminkeln

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