Aber morgen kommt der doch noch gar nicht!

Eine „weihnachtsliederliche“ Betrachtung -
mit besonderer Berücksichtigung des MkdW-Phänomens

Musik verbindet

Sagt man so. Hört man oft. Und sie tut es tatsächlich; sie verbindet zum Beispiel die Advents- mit der Weihnachtszeit, und das in vielfältiger und besonderer Weise. Wenn schon die Frage „Was wäre das Leben ohne Musik?“ berechtigt ist, um wieviel mehr muß es dann die speziellere „Was wäre Weihnachten ohne Musik?“ sein! Jedes Jahr im Dezember zeigt sich neben einer verstärkten Konzertiertätigkeit der „richtigen" Musiker (die pflicht- und jobgemäß Oratorien „beten“ und Hallelujas „händeln“) immer wieder auch eine enorme Breitenwirkung, die viele Menschen musikalisch packt, sie sensi- und mobilisiert.

Meine Beobachtungen gelten besonders den aktiven Zeitgenossen unter ihnen, den singenden und musizierenden. Da werden längst verloren- oder totgeglaubte Amateurblockflöten reanimiert, lange vernachlässigte Gitarren in eine angemessene Weihnachtsstimmung gebracht (wobei heutzutage moderne Stimmgeräte helfen können), da wird gesungen und mitgesummt, was das Mundzeug hält. Und da erhalten bei den Schülerinnen und Schülern der Musikschulen die im letzten Jahr neuerworbenen instrumentalen Fähigkeiten vorchristgeburtliche Weihen, Anwendungen und Anerkennungen. Nicht viel später als das erste Auftauchen von weihnachtstypisch Eßbarem kommt’s zum festbezogenen Hörbaren. Da läßt man, von Noten oder Stimmungen geleitet, mal den Schnee leise rieseln, mal die Kinderlein kommen, mal die bells jinglen oder (wenn auch merklich seltener) Maria durch den Dornwald gehen.

Morgen kommt wer?

Der Weihnachtsmann! Wer sagt das? Der Herr Hoffmann sagt das. Der Herr Hoffmann von Fallersleben, jawohl. Schon spätestens seit 1840(1) sagt er das. Kein Geringerer als er, der Hunderte von Volks- und Kinderliedern mit seinen Texten schmückte. Der dann 1841 seine berühmteste Dichtung schuf, nämlich das dreistrophige „Lied der Deutschen“. Drei Strophen waren es auch, die er zu einer kleinen schlichten Melodie aus Frankreich ersann:

Morgen kommt der Weihnachtsmann,
kommt mit seinen Gaben
Trommel, Pfeifen und Gewehr,
Fahn’ und Säbel und noch mehr,
ja, ein ganzes Kriegesheer,
möcht’ ich gerne haben.

Bring uns, lieber Weihnachtsmann,
bring auch morgen, bringe
Musketier und Grenadier,
Zottelbär und Panthertier,
Roß und Esel, Schaf und Stier,
lauter schöne Dinge.

Doch du weißt ja unsern Wunsch,
kennst ja unsere Herzen.
Kinder, Vater und Mama
auch sogar der Großpapa,
alle, alle sind wir da,
warten dein mit Schmerzen.

„Morgen kommt der Weihnachtsmann“ gehört zu der illustren Schar jener Weihnachtslieder, die erst nachträglich zu einem solchen geworden sind. Deren Melodie schon lange existierte, bei denen aber ursprünglicher Titel und Text – weiß Gott – nicht weihnachtlich waren.

Mehrzweckmelodien und Lagerwechsel

Will man heute Kindern und Jugendlichen dieses Verwandlungsphänomen erklären, bietet besonders die Sportwelt ausgezeichnete Beispiele. So war „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ ja auch nicht immer ein Fußballfanlied, sondern ursprünglich mal ein Beatles-Song („Yellow Submarine“), und „Steht auf, wenn ihr Schalker/Borussen/... seid“ war vor vielen Jahren als „Go West“ ein Erfolgstitel der Village People und später der Pet Shop Boys.

Aber zurück zu Weihnachten: „O du fröhliche“ war früher ein sizilianisches Schifferlied, „O Tannenbaum“ ein Studentenlied, „Ihr Kinderlein kommet“ gar ein Liebeslied. „Kling, Glöckchen, klingelingeling“, „Süßer die Glocken nie klingen“ „Kommet ihr Hirten“ waren einfache Volksweisen ohne weihnachtlichen Bezug. Ja, und die Melodie dieses „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ hat es doch nachweislich schon 1761 gegeben. Als Chanson unter dem Titel „Ah! vous dirai-je, maman“ war sie (mit einem leicht frivolen Text) durch französische Salons gezogen. Bei einem Herrn Mozart hinterließ sie einen besonderen Eindruck: Wolfgang „Amadé" kreierte dazu 1787 in Paris gleich zwölf Variationen. [Wer sich die einmal alle von dem 13jährigen George Li vorspielen lassen möchte, kann ihn hier per Klick darum bitten.] Unter dem Titel „Twinkle, Twinkle, Little Star“ (und mit kindgerechtem Text) eroberte die Melodie zu Beginn des 19. Jahrhunderts englische Kindergärten und diente später als "Alphabet Song" englischsprachigen Kindern - oder solchen, die es werden wollten - als Buchstaben-Gedächtnisstütze (“Now I know my ABC, next time won’t you sing with me?“)

Der Text im Wandel der Zeit

Und dann kam August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) und bedichtete diese einfache Melodie so, daß sie zu einem Lied des Festes wurde. Des Festes vom Frieden in der Welt. Frieden? Trommel und Pfeifen, nun ja; aber Gewehr, Fahn’, Säbel und ein ganzes Kriegesheer, dazu Musketier und Grenadier? Besorgte Pädagogen äußerten schon früh ihre Bedenken über diesen Zwiespalt zwischen friedens- und kampf(eslust)betont spieltriebfördernden Eigenschaften. Und so blieb es nicht aus, daß im Rahmen von Textabrüstungsmaßnahmen die bewaffneten Strophen und Zeilen bald entschärft bzw. dezent durch andere ersetzt wurden. Bei der Textangabe in Notensammlungen findet man dann z. B. einen Zusatz der Art „Worte in freier Anlehnung an den von Heinrich Hoffmann von Fallersleben im Jahre 1835(1) geschaffenen Originaltext“. Hier nun zwei dieser unverdächtigen Strophen, wie sie in der Nachfolgezeit in verschiedenen Kombinationen entstanden:

Morgen kommt der Weihnachtsmann,
kommt mit seinen Gaben.
Bunte Lichter, Silberzier,
Kind mit Krippe, Schaf und Stier,
Zottelbär und Panthertier
möcht’ ich gerne haben.

Bring uns, lieber Weihnachtsmann,
bring auch morgen, bringe
eine schöne Eisenbahn,
Bauernhof mit Huhn und Hahn,
einen Pfefferkuchenmann,
lauter schöne Dinge.

Auch für die üblichen Wünsche nach Eßbarem, nach Äpfeln, Nüssen und anderen Genüssen, entstanden Strophenvarianten, die diese auszusprechen geeignet und bemüht waren.

Morgen kommt der Weihnachtsmann,
kommt mit seinen Gaben.
Äpfel, Nüsse wünsch’ ich mir,
Zottelbär und Panthertier,
Roß und Esel, Schaf und Stier
möcht’ ich gerne haben.

Beachtenswert scheint mir die Übermacht der „tierischen Wünsche“: Bär, Panther, Roß, Esel, Schaf, Stier, Huhn, Hahn. Da liegt doch die Frage nahe, wie eine Strophe heute zeitgemäß aussehen könnte, würde, müßte. War in den vorhandenen Versen die Eisenbahn (natürlich aus Holz) schon das Nonplusultra des Technischen, so würde wohl heute die Technik, insbesondere die elektronische, noch deutlicher dominieren als weiland das Getier. Ach ja, und auch die Sprache dürfte nicht mehr so brav sein, nicht so sehr bittend und artig, mehr bestimmend, frech und fordernd. Letzteres liegt mir zwar überhaupt nicht, aber ich habe trotzdem einmal versucht, eigene Strophen zu dichten:

Weihnachtsmann, lies mal die Mail,
die ich dir heut’ schicke!
Bring mir einen Schalke-Schal,
auch ein Handy wär’ ideal.
Meiner Schwester schenk diesmal
lieber nichts, der Zicke!

Hey, du cooler Weihnachtstyp,
geh’ für mich mal shoppen.
Gameboy, iPod wär’n voll krass,
Wii und vielleicht noch was
Stylisches zum Anzieh’n, das
wär’ echt nicht zu toppen.

Daß es auch anders geht, nämlich nachdenklicher, kritischer, einfühlsamer, respektvoller, zeigt dieser Versuch:

An dich, lieber Weihnachtsmann,
glauben längst nicht alle.
Glaubst du, frag’ ich, eigentlich
selber wenigstens an dich?
Hauptsach’, du vergißt mich nicht;
Komm in jedem Falle!

Reimeslustige Leser seien hiermit animiert, diese Beispiele durch weitere (und bessere) zu ergänzen. [Lesenswert sind auch diese Strophen von Dieter Süverkrüp.]

Moment noch!

Jetzt hätte ich doch fast den Titel meines Beitrags zu erklären vergessen. „Aber morgen kommt der doch noch gar nicht!“ ist der meistgeäußerte Kommentar von spaßverstehenden Musikschülern, wenn sie die Noten des Liedes „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ (oder „MkdW“, wie gelegentlich sein zeitsparender Arbeitstitel unter Musiklehrern lautet) schon weit vor dem 23. Dezember vorgelegt bekommen. An diesem Vortag von Heiligabend würde zwar die Titelaussage stimmen, die (ohnehin stets zu knappe) Übezeit aber so sehr kompri- und dezimiert, daß es zu einer musikalisch angemessenen Darbietung an den Weihnachtstagen nicht mehr reichte. Soviel steht fest! Weihnachtsfest!

Wo wir gerade unter uns sind:

Außerdem glauben die Kinder ja ohnehin nicht an ihn, den hier vielbesagten, -besungenen und -bespielten Weihnachtsmann. Denn für unsere Re(li)gion ist seit Generationen (aus)schließlich das Christkind zuständig. Und über dessen Lieder schreibe ich dann vielleicht etwas im Lokalkompass-Adventskalender 2012.

(1): Man findet in den verschiedenen Quellen zwei Jahresangaben: 1835 und 1840.

Autor:

Theo Grunden aus Hamminkeln

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