Modellspielzeugmarkt: Die Lok hat ausgeschnauft
Faszination im H0-Maßstab: Der Modellspielzeugmarkt in der Seestadthalle lockt immer noch viele Besucher an. Das könnte sich in Zukunft ändern: Die Modellbahnszene droht zu überaltern.
Ein geschäftiges Murmeln schwebt im Raum, als die Seestadthalle ihre Türen öffnet. Die rund 40 Aussteller werfen einen Blick auf ihre Auslage. Ist alles sortiert? Wo war noch gleich die Elektrolok 103, wo das Krokodil? Ist der Kasten mit den Bäumen bereit? Zwischendurch ein gespannter Seitenblick auf die Eingangspforten. Da kommen sie, die ersten Gäste, die Hände brav auf dem Rücken gefaltet oder mit einer Liste in der Hand. Auf den ersten Blick wirkt alles normal. Doch auf den zweiten Blick fällt das silberne Haar, die Lesebrillen, die reifen Gesichter auf: Wo sind die bahnbegeisterten Jungs, die technikfaszinierten Kinder?
„Man muss es sagen, wie es ist: Unser Publikum ist etwas überaltet“, sagt Willi Breidenbach. Der sympathische Messebetreiber sitzt hinter einer der langen Reihen von Tischen, die sich durch die Halle ziehen. Stapel von Loks, Waggons, Schienen, Autos im Modellformat bedecken die Auslagefläche. Breidenbach zuckt mit den Schultern: „Die meisten Besucher hier sind so etwa in meinem Alter, 55, 60 Jahre. Wir sind mit der Bahn noch ganz anders aufgewachsen. Da war die Eisenbahn noch mitten im Leben, erlebte Technik im Alltag.“ Als Steppke habe er selbst noch Dampfloks gesehen, die das schwarze Gold oder schweres Erz über die Schienen trugen. Ein Kind des Ruhrgebietes, wohnte Willi Breidenbach nur wenige Meter von der Bahnlinie in Essen-Katernberg entfernt. „Wenn die Loks anliefen, auf Leistung gingen, dann konnte man sehen, wie sie die großen Dampfwolken ausstießen, man konnte im Vorbeifahren die Befeuerung erleben“, erzählt der Messe-Chef. Und da ist er, der Glanz in den Augen, den alle Modellbahner besitzen, wenn sie in ihrem Element sind. Vielleicht sind sie die letzte Generation, die diesen Glanz besitzt. Seit rund 200 Jahren rattern Züge über die Welt, und fast genauso lange gibt es Modellspielzeug nach den großen Vorbildern. „Die Kinder von heute begeistern sich aber eher für Computerspiele“, stellt Breidenbach nüchtern fest. Längst haben die Dampfloks ausgeschnauft, ihre Faszination ist aus dem Alltag verschwunden.
Liegen die Nachwuchssorgen auch an den Kosten? Viele der Loks im Angebot tragen dreistellige Preisschilder, und auch die Waggons und das Zubehör sind nicht billig, wie ein Blick auf die Auslage beweist. „Sehr viele Modellbahner betrachten die Loks nicht mehr als Spielzeug, sondern als Sammelobjekte“, erklärt Willi Breidenbach. Die Sammelwut könne im Einzelfall Formen annehmen, die auf den Nicht-Hobbyisten befremdlich bis grotesk wirke. „Letztens wurde ich gebeten, mir den Nachlass eines verstorbenen Mannes anzusehen. Die Witwe führte mich durch drei Zimmer voller Regale, jedes Regal voll mit Eisenbahnmodellen“, erzählt der Experte. „Die meisten Loks waren originalverpackt, als ob er sie nie auch nur angesehen hätte. Er hat einfach gesammelt. Nach dem Kauf direkt ins Regal.“ Breidenbach schüttelt den Kopf: Das sei nichts für ihn.
Willi Breidenbach ist eher der geborener Macher: Anlagen bauen, das ist genau sein Ding. Mit Geduld und Können erschafft er maßstabsgetreue Landschaften, verlegt Schienen, gründet Dörfer, bevölkert sie mit kleinen Plastikmenschen. „Hier kann man richtig kreativ sein. Am liebsten ist mir, wenn sich auf der Anlage viel bewegt, viele Details zu sehen sind“, schwärmt der Modellbau-Experte, dessen neuestes Werk stattliche 13,50 x 2,50 Meter misst. Ein Schöpfer mit viel Liebe zum Detail, aber ohne Fanatismus. „Am Anfang baue ich schon mal drei Tage durch, aber ansonsten geht die Arbeit je nach Gelegenheit weiter. Und im Sommer sitze ich abends lieber im Garten“, berichtet er schmunzelnd. Und wenn dann der große Tag der Fertigstellung gekommen ist? „Dann fahre ich mit der Anlage auf Ausstellungen. Das macht mir dann sehr viel Freude. Man trifft Menschen, kommt ins Gespräch“, freut sich Breidenbach. Nein, der Messe-Chef ist kein Mensch, der sich alleine in seinem Modellbaukeller einschließt.
Es gibt viele seiner Art an diesem Tag in der Halle, aber auch solche von der einsiedlerischen Sorte. Manche suchen ein ganz spezifisches Modell in einer besonderen Farbe, andere sammeln Zubehör für ein neues Projekt. „Jetzt bin ich ja Rentner, dann habe ich genug Zeit“, schmunzelt ein Mann, der einen ganzen Schwung von Modellbäumen und künstlichen Sträuchern erwirbt. Zwischen den reiferen Herren schlängelt sich auf einmal ein vielleicht 11jähriger Junge hindurch. Willi Breidenbach sieht auf, als der Knabe in die Auslage greift und mit der Frage „Was kostet das?“ einen Gegenstand hochhält. Es ist keine Lok, kein Kunstbaum, nicht einmal ein Modellauto.
Es ist ein Gameboy.
Autor:Oliver Borgwardt aus Dorsten |
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