Gelsenkirchens arme Kinder

Nicht alle Kinder in Gelsenkirchen wachsen in Wohlstand auf. 40,5 Prozent der Kinder unter drei Jahren, die in Gelsenkirchen aufwachsen sind laut der aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung von Armut bedroht, weil ihre Eltern von staatlicher Grundsicherung leben. Archiv-Foto: Ralf Nattermann
  • Nicht alle Kinder in Gelsenkirchen wachsen in Wohlstand auf. 40,5 Prozent der Kinder unter drei Jahren, die in Gelsenkirchen aufwachsen sind laut der aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung von Armut bedroht, weil ihre Eltern von staatlicher Grundsicherung leben. Archiv-Foto: Ralf Nattermann
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Laut des aktuellen Kinderarmutsberichtes der Bertelsmann Stiftung im Rahmen des KECK-Atlas (Kommunale Entwicklung - Chancen für Kinder) findet man im Vergleich der bundesdeutschen Größstädte mit mehr als 200.000 Einwohnern in Gelsenkirchen das höchste Risiko für Kinderarmut. Als Definitionsgrundlage wurde die Tatsache, dass die Kinder in Familien aufwachsen, die von der staatlichen Grundsicherung (SGB II) leben, gewertet.
Von Silke Sobotta

Die Studie der Bertelsmannstiftung ergab, dass das Risiko für unter Dreijährige in Armut aufzuwachsen, im vergangenen Jahr bundesweit gesunken ist. So sank das Risiko von 19.8 Prozent im Jahr 2010 auf 18.2 Prozent im Jahr 2011.
Anders jedoch stellt sich das Risiko in den Größstädten dar. In den 35 Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern liegt die Armutsquote meist um ein Drittel höher als im jeweiligen Bundesland, in Einzelfällen sogar mehr als doppelt so hoch. Rühmliche Ausnahmen stellen hier die Städte Bonn, Dresden und Münster dar.
In Nordrhein-Westfalen konnte die Zahl der Kinder unter drei Jahren, die in dem Risiko in Armut aufzuwachsen leben, von 22,7 Prozent in 2010 auf 21,4 Prozent in 2011 gesenkt werden. Damit bleibt NRW das Schlusslicht unter den westdeutschen Flächenländern. Im Bundesvergleich weist NRW gemeinsam mit Sachsen-Anhalt die geringsten positiven Veränderungen auf.
Das liegt unter anderem daran, dass von den 14 Großstädten, in denen laut Bertelmann Stiftung mehr als 30 Prozent der Kinder in Armut aufwachsen, sechs allein im Ruhrgebiet liegen. Hier bildet Gelsenkirchen mit 40,5 Prozent das Schlusslicht.
Die Nachbarn weisen ähnliche, aber nicht so dramatische Zahlen auf: Essen kommt auf 34,4 Prozent, Dusiburg und Dortmung auf 33,3 Prozent, Oberhausen auf 32 Prozent und Wuppertal auf 31,2 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr konnte das Armutsrisiko in fast allen ermittelten Kommunen gesenkt werden. Auch in Gelsenkirchen, wo die Bertelsmann Stiftung für 2010 41,9 Prozent und für 2011 40,5 Prozent ermittelte.

Einigkeit über die
Ursachen

Wo die Gründe für diese für Gelsenkirchen nicht rühmlichen Ergebnisse zu finden sind, scheint eindeutig. So plädiert Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, als Konsequenz aus den Armutszahlen für eine bedarfsorientierte Verteilung der staatlichen Gelder: „Armut darf nicht in Chancenlosigkeit münden. Wo die Probleme größer sind, muss auch mehr Geld für gute Kitas und gezielte Förderung des Wohnumfeldes investiert werden. Gerade die frühkindliche Phase ist entscheidend für die Entwicklung eines Kindes.“
Dem schließt sich Oberbürgermeister Frank Baranowski an: „Bei dem Thema werde ich regelrecht wütend. Was ist das für eine Gesellschaft, die es zulässt, dass insbesondere in den großen Städten die Zahl armer Kinder immer noch so hoch ist?“.
Das Stadtoberhaupt gibt zu bedenken: „Wir versuchen als Stadt mit allen Mitteln dafür Sorge zu tragen, dass insbesondere die Kleinsten gute Startchancen haben, z.B. durch Betreuungsketten, Ganztagsschulen, Familienhilfe und -Beratung, Hausbesuche, Vorsorgeuntersuchungen und vieles mehr. Aber ohne nachhaltige Unterstützung durch die anderen staatlichen Ebenen, z.B. durch Impulse für den Arbeitsmarkt, durch Beendigung der Geldverteilung nach Himmelsrichtungen statt nach Bedürftigkeit, wird es keine schnellen Erfolge geben. Die beschriebene Diskrepanz gibt allen Anlass auch an den verfassungsmäßigen Auftrag der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu erinnern. Im Übrigen: Ich könnte wesentlich besser schlafen, wenn ich wüsste, dass die Kinder, die unsere Zukunft bedeuten, überall die bestmöglichen Rahmenbedingungen vorfinden – egal, ob in Ost oder West, in Nord oder Süd.“
Eine ähnliche Forderung stellte der Gelsenkirchener CDU-Landtagsabgeordnete Oliver Wittke bereits vor mehr als zehn Jahren, als er selbst noch Oberbürgermeister in Gelsenkirchen, „den Verzicht einer Förderung nach Himmelsrichtung gefordert“ hatte.
„Nur mit ‚Liebe zu Gelsenkirchen‘ können die Probleme der Stadt nicht bewältigt werden“, so Wittke, dem damals das „Schlechtreden Gelsenkirchens vorgeworfen“ wurde.

Bildung von Anfang an ist das A und O

Derjenige, der in Gelsenkirchen dafür sorgen sollte, dass die Kinder nicht unter der finanziellen Not der Eltern leiden, ist Jugenddezernent Dr. Manfred Beck. Er gesteht: „An der Datenlage kommen wir nicht vorbei.“ Aber er kritisiert auch: „Es wird nicht fokussiert, was in den einzelnen Kommunen getan wird, um aus dieser Armutsspirale heraus zu kommen. Wir sehen die Bildung von Anfang an als den richtigen Ansatz, den es zu verfolgen gilt. Nur so können wir den hier lebenden Kindern die gleichen Chancen ermöglichen in Sachen Bildung und Ausbildung wie sie die Kinder im Rest des Landes haben.“
Um das zu ermöglichen ist die Politik in Gelsenkirchen auch trotz sehr klammer Kassen bereit, weiter zu investieren, wie die derzeit laufenden Haushaltsberatungen des Rates der Stadt wieder zeigen.
Als Grund für die Datenlage sieht Beck, dass die durch den Strukturwandel weggefallenen Arbeitsplätze nicht kompensiert werden konnten. „Das Problem ist, dass es einfach zu wenig Arbeit für die hier lebenden Menschen gibt, die so in die Armutsspirale geraten.“
Andererseits gibt der Dezernent auch zu bedenken, dass das man Gelsenkirchen im Vergleich zu Berlin als „Stadtteil“ der Metropole Ruhr betrachten sollte. „Auch in Berlin gibt es Stadtteilen die ähnliche prekäre Zahlen aufweisen wie wir.“

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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