Die 61. Ausstellung im Kunst- und Galeriehaus zeigt Bildserien von zehn Fotografinnen und Fotografen unter dem Titel "subjektiv – objektiv".
Das konträre Begriffspaar darf einerseits sicherlich als programmatisch gemeinter Titel verstanden werden. Auf der anderen Seite bezeichnet das Wort „Objektiv“ aber auch das Linsensystem in der Fotografie, das Objektiv. Das Objektiv arbeitet unvoreingenommen und ist nicht von Gefühlen oder Vorurteilen bestimmt. Doch diese Objektivität ist nur eine scheinbare Objektivität. Bereits die Entscheidung für einen Ausschnitt des jeweiligen Motivs stellt einen interpretatorischen Eingriff des Fotografen dar. Verschlusszeit und Brennweite sind weitere klassische Faktoren, die eine Fotografie zum subjektiven Ergebnis des Fotografen werden lassen. Erst recht in der künstlerisch ausgerichteten Fotografie und gerade im Zeitalter der Bildbearbeitungsprogramme, der digitalen Fotografie, sind die Möglichkeiten im Umgang mit fotografischen Themen und Motiven enorm erweitert worden.
Welche Mittel setzen nun die Fotografinnen und Fotografen dieser Ausstellung ein? Gemeinsam ist allen zunächst die Herangehensweise an Themen über die Bildserie. Solche Serien können als Abfolge ähnlicher Aufnahmen des selben Motivs oder als eine Reihung von Variationen innerhalb eines Themas auftreten. Im Idealfall ordnen sich Einzelbilder als Teile eines Ganzen dergestalt ein, dass eine übergeordnete Komposition der Gesamtserie entsteht.
Nahezu durchgängig lassen sich bei den ausgestellten Arbeiten unterschiedliche Grade der Verfremdung beobachten. Petra Lamers wählt das untypische quadratische Format zur Darstellung der Landschaftsform „Wald“. Ihre Bildserie erzeugt über das Mittel der Unschärfe einerseits und durch die harten Hell-Dunkel-Kontraste andererseits verschiedene Stimmungen und Lichtreize, die die Fotografin mit Wald in Verbindung bringt.
Bäume sind auch der Ausgangspunkt für die Bildserie „Relief“ von Astrid Nicole Heger. Sie setzt Aufnahmen von Baumrinden und -borken derart formatfüllend ins Bild, dass die vorgefundenen Strukturen wie reliefartige Fluss- oder Kraterlandschaften in der Vogelperspektive aussehen. Hier, wie auch in den Arbeiten von Roland Berger und Christiane Bach, erreicht die Verfremdung ein Maß, wo sich Grenzen zwischen Fotografie, Malerei, Grafik und Zeichnung aufzulösen scheinen.
Roland Berger interessiert sich in seiner Bildserie „Feuerwerk“ weniger für das Farbspektakel der Feuerwerkskörper am Nachthimmel als vielmehr für die Formen und Strukturen, die sich dort als Lichtschweife abzeichnen. Herausgelöst aus dem ursprünglichen Zusammenhang und farblich reduziert auf einen eher dunklen Blauwert, wachsen auf dem Papier plötzlich Blumen und andere Pflanzenformen.
Mit dem Tulpenbaum und dem Maiglöckchenstrauch, zwei in Nordamerika beheimatete Gehölze, hat sich Christiane Bach in ihrer Bildserie „Samen in Bewegung“ auseinandergesetzt. Mit weichen Formen und zarten Farben setzt die Fotografin ein unscheinbares, aber für die weitere Existenz der jeweiligen Spezies entscheidendes Detail - die Samenkapsel - ins Bild. Dabei unterstützt die bewusst eingesetzte Unschärfe das Bewegungsmotiv.
Doris Gerhard und Eva Smuk machen es dem Betrachter auf den ersten Blick nicht leicht. Man muss sich erst einmal zurechtfinden in den Bildserien „Zeiten vergangen“ und „Wasser (83)“.
Beide arbeiten mit Überlagerungen, das heißt zwei oder mehr Bildebenen sind übereinandergelegt wie durchscheinende Folien. Das Davor und das Dahinter treten in eine permanente Wechselbeziehung. Ebenso werden Buchstaben und Zahlen kompositorisch mit einbezogen.
Doris Gerhard widmet ihre Arbeit dem industriellen Niedergang des Ruhrgebiets. In rostigen Tönen dokumentieren ihre Bilder die Überbleibsel und den Abriss der Zechenanlagen. Dabei schimmern die vergangenen Zeiten buchstäblich verblassend auf der Oberfläche der Fotografie.
Eva Smuks rätselhafte Bilder operieren mit einer sehr persönlichen Symbolik. Hinter einer tropfenverhangenen Scheibe nehmen wir Gestalten wahr, deren Geschichte zu entschlüsseln sein könnte. Doch die spärlichen Bildinformationen erzeugen zunächst einmal ein Gefühl der Beklemmung. Ein verbindendes Element bildet die wiederkehrende Zahl „83“. Ist sie ein Schlüssel zum Ganzen? Der Mathematiker erkennt in der 83 sofort eine Primzahl, mithin eine Zahl, die nur durch 1 und sich selbst teilbar ist, man könnte sagen Primzahlen verweigern sich der Verteilung und Aufteilung an andere. Sie sind sich selbst genug. Andere fühlen sich vielleicht an eine Jahreszahl, z.B. 1983, erinnert und denken darüber nach, was in diesem Jahr passiert sein könnte.
Stefanie Perkuhn widmet sich der Ästhetik des Tanzes, oder besser des Paartanzes. Mit Hilfe bestimmter Blitztechniken und dem Einsatz von Bewegungsunschärfe wird eine aufeinanderfolgende Tanzfigur in fünf Bildern umgesetzt.
Der Titel „Hand in den Wolken“ ist der Name einer Kata. Eine Kata ist die stilisierte Form eines Kampfes gegen mehrere imaginäre Gegner, es ist die hohe Schule des Karate. Zur Einordnung der Bildserie von Carmen Koch sind diese Informationen nicht ganz unerheblich. Wenngleich die Bildreihe zunächst wie eine Bewegungssequenz aussehen mag, geht es Carmen Koch weniger um die fotografische Umsetzung von Bewegung als vielmehr um den inneren Kampf der zwei wesentlichen Ebenen, der Körperebene und der seelischen Ebene. Beide bringt Carmen Koch in eine symbolische Übertragung, dies sowohl aus der Sicht als Fotografin und als kenntnisreiche aktive Karate-Sportlerin.
Walter Breuer hat sich dem Genre der Theaterfotografie verschrieben. Motive der Theaterfotografie sind die Darsteller auf den Bühnen sowie Kulissen und Bühnenbilder. Walter Breuer versucht das flüchtige Theaterereignis einzufangen und mit seinen Bildern die Inszenierung sichtbar zu machen. Solche Aufnahmen entstehen während der Probenarbeit, was ein hohes Maß an Rücksichtnahmen und Einfühlungsvermögen beim Fotografen voraussetzt.
Die Bildserie „210 Minuten“ von Helmut Probst zeigt Menschen auf Sofas in ihren Wohnzimmern. Sie schauen auf uns, die Betrachter. Schauen Sie wirklich auf uns? Wer die Bilder von Helmut Probst zum ersten Mal sieht, denkt womöglich an einen Sketch von Loriot in dem es heißt: Wo haben wir eigentlich früher hingeschaut, als es noch keinen Fernseher gab? Ja, wo haben wir hingeschaut, immer weniger können sich an Zeiten ohne TV erinnern. Der Fernsehzuschauer und sein allabendliches Ritual, die Veralltäglichung des Fernsehers, ist also Thema dieser Fotoserie. Und wir lernen nicht nur Teile der Einrichtung der Abgelichteten kennen, sondern auch wie sie sich vor ihren Geräten einrichten. Und irgendwie kommt uns das bekannt vor. Eine mehr als sensible Annäherung der Fotografie, innerhalb einer sehr privaten, ja intimen häuslichen Situation. Der Titel 210 Minuten – dreieinhalb Stunden – spielt im Übrigen auf die tägliche durchschnittliche Verweildauer vor dem Fernseher an.
Autor:Dr. Bernd A. Gülker aus Wattenscheid |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.