"Welt im Wandel - Museen im Wandel"- so der Titel des Museumstages der RuhrKunstMuseen.
Wie lebhaft so ein Wandel sein kann, konnte ich im Kunstmuseum Gelsenkirchen erleben:
Was um 15 Uhr mit einer kurzen Schilderung der aktuellen Museumssituation begann, ging bald in eine lebhafte Frage-Antwort-Runde mit dem interessierten Publikum über. Alsbald entwickelten sich echte Gespräche der ca. 15 engagierten und hochmotivierten TeilnehmerInnen mit dem Museumsdirektor Ferdinand Ullrich von der Kunsthalle Recklinghausen und auch untereinander. Die folgenden 2 1/2 Stunden (!) vergingen im informativen, interessanten, kurzweiligen und zugleich anspruchsvollen Dialog.
Aber der Reihe nach:
Anlässlich des Internationalen Museumstages am 20.5.2012 unter dem Titel "Welt im Wandel - Museen im Wandel" stellten sich die Kunstmuseen der Metropole Ruhr vor. In 12 ausgewählten Museen waren die Direktorinnen und Direktoren jeweils Gast im vernetzten Partnermuseum.
Aus meiner westlichen Sicht (Oberhausen) habe ich mir die Wahlverwandschaft im östlichen Revier für meinen Besuch ausgewählt: Ich war im Kunstmuseum Gelsenkirchen und im Gespräch mit Prof. Dr. Ferdinand Ullrich von der Kunsthalle Recklinghausen.
Im kurzen Überblick erläuterte Ullrich, dass sich die einzelnen Museen im Ruhrgebiet 2010 zu den RuhrKunstMuseen zusammengeschlossen und miteinander vernetzt haben. Ziel ist die konzeptuelle Zusammenarbeit in der einzigartig dichten Museumslandschaft und der enge Dialog mit der Bevölkerung.
Gemeinsamkeiten zwischen dem gastgebenden Museum in Gelsenkirchen und dem Partnermuseum aus Recklinghausen bestehen laut Ullrich darin, dass beide Häuser sich der kinetischen Kunst widmen. Unterschiede ergeben sich aus der Akzentuierung der Dauer- und Wechselausstellungen.
Die Kunsthalle Recklinghausen hatte schon früh, nämlich Ende der 60'er Jahre, Ausstellungen zur Kinetik und setzt inzwischen (schon aus Platzgründen) mehr auf wechselnde Ausstellungen - auch aus Bereichen der Malerei.
Aktuell präsentiert die Kunsthalle Recklinghausen mit "Facing China" chinesische Gegenwartskunst. Noch bis zum 24.6.2012 werden dort sowohl "SLOW ART", die abstrakt daherkommt, kleinteilig oder schichtweise entwickelt wurde und über Monate gereift ist, als auch figurative Malerei, welche die politischen Ereignisse in China verklausuliert in Bildern zur Sprache bringt, gezeigt. Mit den Mitteln der Kunst werden brutale Eingriffe eines unmenschlichen Systems thematisiert und z.B. in der Bildsprache als durch Malerei deformierte Portraits vermittelt.
Das Kunstmuseum Gelsenkirchen dagegen zeigt die kinetische Kunst als ständige Ausstellung und daneben mehrere kleinere Wechselausstellungen und eine Gemäldesammlung mit Exponaten aus der klassischen Moderne und dem Informel.
Aktuell werden hier Arbeiten des Gelsenkirchener Künstlers und Grafikers Anton Stankowski gezeigt. Stankowskis lebenslanges Bestreben nach Klarheit und Ordnung spiegelt sich in elementar geometrischen Formen, kombiniert mit reinen ungemischten Farben auf einer Fläche.
Die Recklinghausener Sammlung umfasst - so Ullrich - Arbeiten aus dem Kunstkreis "junger westen", eines 1948 in Recklinghausen gegründeten Künstlerbundes, dessen 1. Vorsitzender Emil Schumacher (bekannt für seine energiegeladenen informellen Materialbilder) war. Daneben zeigen Arbeiten auch, welchen Einfluss Josef Albers mit dem Konzept des Bauhauses genommen hat.
Gerade in der Nachkriegszeit - sagt Ullrich - gab es in Deutschland einen wahren "Hunger nach Kunst", der einerseits aus der individuellen Überwindung der Schrecken und Zerstörungen des Krieges resultierte und andererseits aus dem kollektiven Bedürfnis, die während der NS-Zeit verbotene "entartete" Kunst zu rehabilitieren und sich mit neuer zeitgenössischer Kunst (und dem entsprechenden Gedankengut) auseinander zu setzen.
Als Prof. Ullrich zur Sprache bringt, dass das Kunstmuseum Gelsenkirchen immer wieder als "Haus der Kinetik" im Gespräch ist, wird die Zuhörerschaft lebendig. Die Gelsenkirchener BürgerInnen erklären ihren "zugereiste" Wahlverwandeten aus den Nachbarstädten, wie hier ihr bürgerschaftliches Engagement und die Arbeit des Kunstvereins Gelsenkirchen mit der Bespielung der angrenzenden Villa Zeichen gesetzt haben, da sie gerade diese Festlegung und zu enge Spezialisierung verhindern wollen.
Ullrich, der seit 1998 Lehrbeauftragter und seit 2002 Honorarprofessor für Kunst und Öffentlichkeitsarbeit an der Kunstakademie Münster ist, verkündet hier mit Insiderwissen, dass im Herbst 2012 eine Jubiläumsausstellung zum 25-jährigen Bestehen der Kunstakademie Münster in den Räumlichkeiten des Kunstmuseums Gelsenkirchen in Arbeit sei. Junge, noch nicht fertig ausgereifte, studentische Künstlerpositionen würden mit ihren experimentellen Arbeiten frischen Wind in die Hallen bringen - und natürlich auch für jede Menge Gesprächsstoff sorgen.
Als sich die Diskussionsrunde zum neuen Projekt der RuhrKunstMuseen "Kunst im öffentlichen Raum" weiter dreht, löst sich die Anordnung Podium - Hörerreihen zugunsten engagierter Gespräche auf Augenhöhe auf - der von den RKM angestrebte Dialog zwischen BürgerInnen, dem Museum als Vermittler und Berater und anderen BürgerInnen nimmt Fahrt auf.
Museumsdirektor Prof. Ullrich ist nicht nur professioneller Kunstvermittler sondern hat als studierter Fotokünstler seine Wurzeln auch selbst in der Bildenden Kunst. Anhand von Exponaten der Gelsenkirchener Sammlung greifen seine Ausführungen mit den Fragen und Gedanken der Gesprächs-TeilnehmerInnen über Kunstgeschichte, Sehgewohnheiten, Wahl des Mediums in der künstlerischen Darstellung ineinander.
Liegt es nun an Prof. Ullrichs geschickter Gesprächsführung oder am Engagement der TeilnehmerInnen, jedenfalls wird fleißig diskutiert über Kunst, Betreuung der beschädigten Kunstwerke im öffentlichen Raum, Kosten und die Stellung der Kunst in der Politik, der Identitätsstiftung durch Kunst und die Belange der Bürgerschaft. Plötzlich entdeckt man Berührungspunkte zu den anderen Gesprächspartnern aus der eigenen Arbeit heraus, hat gemeinsame Bekannte von anderen Kunstevents und tauscht sogar Mail-Adressen aus. Ich selbst freue mich schon darauf, dass mich die Kunst auch künftig wieder mit meinen neu gefundenen GesprächspartnerInnen zusammen führt.
Gleich mehrere BürgerInnen wünschen sich bessere Informationen über die einzelnen Kunstwerke im öffentlichen Raum und schlagen daher vor, auch die Künstler und die Kunstwissenschaftler mehr in die Pflicht zu nehmen. Der Gelsenkirchener Architekt Kai Kühmichel spricht aus was viele denken, nämlich, dass bloße Geschmacksurteile in der Öffentlichkeit nichts bringen. Man müsse vielmehr auch der breiten Masse einige fachliche Grundkenntnisse vermitteln, um sie in die Lage zu versetzen, sich mit sachlichen Argumenten an Diskussionen darüber, was denn nun gute aufstellens- und erhaltenswerte Kunst sei, beteiligen zu können.
Mit Blick auf die mit ca. 15 TeilnehmerInnen überschaubar kleine Gruppe - was allerdings auch der Gesprächsdynamik positiv entgegen kam - wurde allgemein bedauert, dass die Presse zu wenig Ankündigungen über diese Gesprächsmöglichkeit am Museumstag veröffentlicht hat.
Die anwesende Mitarbeiterin der WAZ gelobte Besserung - bleibt zu hoffen, dass ihr Redakteur auch bereit ist, der Ruhrgebietskunst einen höheren Stellenwert einzuräumen.
Prof. Ullrich sagt dazu: "Kunst ist eben weder überflüssig noch Luxus, sondern ein anthropologisches Merkmal dessen, was den Menschen ausmacht."
Autor:Dorothea Weissbach aus Oberhausen |
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