Sommerausblick 80 Jahre danach: Preußenschlag - der Staatsstreich vom 20. Juli 1932 oder das Vorspiel der NS-Machtübernahme.

19. Februar 2012
Rathaus Essen, 45127 Essen
Hoffentlich im Sommer diesen Jahres Thema historischen Gedenkens - vor dreissig Jahren wurden dem Putsch gegen die letzte demokratisch legitimierte Landesregierung auch Veröffentlichungen gewidmet. Damals hatte der Ministerpräsident Johannes Rau noch ein Vorwort für eine Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung  erstellt.
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  • Hoffentlich im Sommer diesen Jahres Thema historischen Gedenkens - vor dreissig Jahren wurden dem Putsch gegen die letzte demokratisch legitimierte Landesregierung auch Veröffentlichungen gewidmet. Damals hatte der Ministerpräsident Johannes Rau noch ein Vorwort für eine Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung erstellt.
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Es gibt Ereignisse, an die sich offizielle Medien zu Jahrestagen gern erinnern. Dazu gehört mittlerweile auch der mutige Attentatsversuch auf Hitler vom 20. Juli 1944 durch Stauffenberg und andere Stabsoffiziere der Wehrmacht. Der 20. Juli ist aber auch das Datum eines folgenreichen Staatsstreichs im Jahre 1932, mit dem zwei damals tonangebende Köpfe der Stadt Essen eng verbunden sind.
Essens Oberbürgermeister Franz Bracht und sein Polizeipräsident Dr. Melcher übernahmen mit dem 20. Juli 32 die Staatsgewalt in Lande Preußen. Mit Rückendeckung einer Notverordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg setzte Reichskanzler von Papen die Regierung im damals größten Bundesland der Weimarer Republik einfach ab.

Im kommenden Sommer werden an den 80. Jahrestag dieses leider gelungenen Rechts-Putsches in Preußen wohl nur wenige Institutionen oder Zeitungen in knappster Form erinnern, obwohl er größerer Aufmerksamkeit Wert ist. Muntere heimatliche Geschichts-bücher wie "Essen - Abenteuer einer Stadt" oder die voluminöse „Chronik des Ruhrgebiets“ der WAZ lassen das Stichwort „Preußenschlag“ einfach aus. Helga Mohaupt erklärt in ihrer 1993 veröffentlichten „Kleine Geschichte Essens“ zwar, dass der Essener Oberbürgermeister Franz Bracht zum „Reichskommissar für Preußen“ und für wenige Monate zum Reichsinnenminister ernannt wurde. Dass er diese Ämter keiner demokra-tischen Wahl, sondern putschistischen Alleingängen der rechtsgerichteten Reichskanzler „Franz von Papen“ und „Kurt von Schleicher„ verdankt, wird freundlichst verschwiegen.
Immerhin darf der Essener Stadtarchivleiter Klaus Wisotzki hier als die große Ausnahme gelten. In seiner 1996 erschienenen Stadtchronik „ Vom Kaiserbesuch zum Euro-Gipfel “ werden die fatalen Essener Verwicklungen in die Putsch-Ereignisse vom Sommer 1932 zumindest angerissen. In der aktuellsten stadtgeschichtlichen Gesamtdarstellung, die 2002 unter dem Titel „ Essen - Geschichte einer Stadt“ veröffentlicht wurde, sind es auf den fast 500 Druckseiten bloße 6 -7 Zeilen auf denen die Entmachtung der letzten demokratisch legitimierten preußischen Landesregierung abgehandelt wird.
Deshalb besteht Nachholbedarf an Informationen für diesen wichtigen Wegstein, der kein halbes Jahr später die Machtübernahme durch Hitlers-NSDAP im deutschen Reich erheblich erleichterte. Ein kleiner Mosaikstein dafür ist hoffentlich dieser Text.

April 1932 - Landtagswahlen in Preußen

Am 20. Juli 1932, keine 10 Tage vor der nächsten Reichstagswahl am 31. Juli hatte Reichskanzler von Papen die demokratisch gewählte preußische Landesregierung für abgesetzt erklärt und eigenmächtig einen "Reichskommissar" für die Staatsgeschäfte ernannt.
Preußen als damals volkreichstes Bundesland der Weimarer Republik konnte nach den Landtagswahlen im April 1932 keine mehrheitsfähige neue Regierung bilden. Noch im alten Parlament hatte allerdings die bisherige Mehrheit aus SPD und katholischer Zentrumspartei mit einer Änderung der Wahlordnung für den Ministerpräsidenten vorgesorgt. Jetzt konnte diese Wahl nur „ohne Aussprache“ und mit der „absoluten Mehrheit des preußischen Landtags“ erfolgreich durchgeführt werden.
Wie befürchtet hatte die NSDAP auf dem Höhepunkt von Wirtschaftskrise und Arbeits-losigkeit gewaltige Stimmenzuwächse erhalten und wurde stärkste Fraktion im preußi-schen Abgeordnetenhaus. Aber selbst in Zusammenarbeit mit der sympathisierenden Deutsch-Nationalen Volkspartei - DNVP waren sie unter 50% der Stimmen geblieben. Auf linker Seite bekämpften sich SPD und KPD gegenseitig als Klassenverräter, eine gemein-same Regierung war hier ebenso unmöglich ( im Unterschied etwa zur gelungenen französischen Volksfront aus Kommunisten und Sozialisten Mitte der dreißiger Jahre). Immerhin verhindern SPD, KPD und Zentrum am 22. Juni 1932 noch gemeinsam die Wahl eines nationalsozialistischen Ministerpräsidenten.

Rot-Schwarze Minderheitskoalition im preußischen Landtag

Trotz Verlust der Mehrheit war deshalb seit April 1932 weiterhin die alte Rot-Schwarze Landesregierung unter SPD-Ministerpräsident Braun geschäftsführend weiter im Amt geblieben. Die SPD-Politiker Otto Braun und Carl Severing waren dafür neben dem aus Essen stammenden Zentrumspolitiker Heinrich Hirtsiefer die erfahrenen Garanten. Geschäftsführende Minderheitsregierungen gab es zu Beginn der dreißiger Jahre nach komplizierten Wahlergebnissen in mehreren Bundesländern Deutschlands.
Reichskanzler von Papen hatte auch selbst keine Mehrheit im Berliner Reichstag und konnte sich nur mit den Notverordnungen des mächtigen hochbetagten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg an der Macht halten. Papen hatte mit seiner von der Presse als "Ministerkabinett der Barone" tituliertem Reichsregierung statt einer demokratischen Verfassung den autoritären Führerstaat im Kopf. Er war selbst war kein Nazi. Reichskanzler von Papen bevorzugte eher die monarchistische, ständestaatliche Macht-ausübung. In der aktuellen Politik war er allerdings hilfreicher Förderer der Integration der Nationalsozialisten in die Reichsregierung.

tödliche SA- Provokationen in roten Arbeitervierteln

In den Wochen vor dem "Preußenschlag" provozierten SA-Gruppen die Einwohner von kommunistischen dominierten Arbeitervierteln in mehreren Städten Preußens, was Dutzende von Todesopfer kostete.
Die Reichsregierung in Berlin beschwor daraufhin angeblich nicht mehr beherrschbare Aufruhrgefahren, obwohl sie selbst es war, die ein früheres mehrmonatiges Verbot der SA-Aufmärsche kurzfristig aufgehoben hatte. Trotzdem forderte Kanzler von Papen ein strikteres Eingreifen der preußischen Polizei, um speziell den angeblich umstürzlerischen Aktivitäten der Kommunisten Herr zu werden.
Insbesondere in Berlin und vielen Städten der Industriezentren an Rhein und Ruhr - leider nicht in Essen - gab es zu dieser Zeit noch SPD-Polizeipräsidenten, die als Sicherheitsexperten der Landesregierung für eine demokratisch-republikfreundliche Polizeiausrichtung geradestanden.
Gerade deshalb wurde am 20. Juli 32 der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski zusammen mit anderen hohen Polizeibeamten verhaftet. Die preußischen Regierungspräsidenten für die Provinzen wurden ausgetauscht und mit Hilfe der Reichs-wehr in dieser Zeit zumindest für Berlin der Ausnahmezustand verhängt. Aber auch die anderen rund 90000 Polizisten im riesigen deutschen Bundesstaat Preußen wurden ab jetzt auf andere Aufgaben getrimmt, als etwa noch demokratische Rechte deutscher Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen

Oberbürgermeister Bracht und Polizeipräsident Melcher
- Essener Putschisten steigen auf

Der bereits seit Dezember 1924 als Essener Oberbürgermeister amtierende Franz Bracht, ohne innere Überzeugung Mitglied der katholischen Zentrumspartei, war in unserer Stadt vor allem als Planer von Grugapark, Flughafen und Baldeneysee bekannt. Bracht der bereits 1930 zum „Geheimen Regierungsrat“ gefördert worden war, führte die „Preussenschlag“ genannte Entmachtung der Landesregierung im Namen der übergeordneten Reichsregierung aus. Als mächtiger Oberbürgermeister einer der größten Städte des Deutschen Reichs war Bracht schon ein Jahr vorher in den Vorschlagslisten als möglicher Innenminister der Reichsregierung aufgetaucht. Bracht selbst bezeichnete sich gern als "Vernunftrepublikaner", der sich in die aktuellen Gegebenheiten fügen musste. Anscheinend hatten für ihn trotz der Opfer des ersten Weltkriegs die Ideen von Monarchie und Ständestaat nur zeitweise abgewirtschaftet.
Mit den weitreichenden Vollmachten damaliger Oberbürgermeister und einer Polizeipolitik, beziehungsweise Polizeiaktionen, die im Gegensatz zu heute hauptsächlich von der Kommune selbst bestimmt wurden, hatte er für eine spezielle Form des "law and order" in der ehemals unruhigen Ruhrgebietsmetropole Essen gesorgt.
Zum kommissarischen Polizeipräsidenten von Berlin ernannte Bracht den bisherigen Leiter der Essener Polizei, Dr. Melcher. Dieser Dr. Melcher war den Arbeitern des Ruhr-gebietes schon seit 1920 in schlimmer Erinnerung, als sich die Polizeikräfte Essens weit-gehend zur Unterstützung der Freikorpsgruppen bereitfanden, die damals die freigewählte Reichsregierung mit Waffengewalt wegputchen wollten.

Stadtspitze mit NS-Sympathien

Ende der zwanziger Jahre gab es gegen die gewalttätigen Ausschreitungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder die verbotene Aufmärsche der SA in Essen kaum Sanktionen durch die Stadt. Im Gegensatz zur Praxis anderer Ruhrstädte wurden der NSDAP in Essen regelmäßig städtische Räume zur Verfügung gestellt. Diese Ausnahme war hauptsächlich den Sympathien von Oberbürgermeister Franz Bracht geschuldet, der Sanktionen stets nur gegen KPD und SPD verhängte.
Jetzt in Berlin nutzten Bracht und Melcher die Zeit bis zur Vereidigung Adolf Hitlers als Reichskanzler am 30. Januar 1933, um in Preußen durch sogenannte Verwaltungs-reformen in allen wesentlichen Großstädten und wichtigen Landkreisen die Korps der leitenden Polizeibeamten von republikanischen oder SPD-nahen Personen zu säubern.
Der abgesetzte preußische Ministerpräsident Braun klagte währenddessen vor dem Reichsgericht in Leipzig gegen die gewaltsame Absetzung seiner Landesregierung. Die Mitglieder der Gewerkschaft, unter ihnen auch ein jugendlicher Heinz Kühn, späterer Ministerpräsident von NRW, warteten zudem in den Tagen nach dem 20. Juli 1932 vergeblich auf das Signal für einen Generalstreik, der den Reichskommissar Bracht zum Rücktritt hätte veranlassen können.
1920 noch hatte ein 3-tägiger Generalstreik den damaligen Rechts-Putschisten Kapp und seine Freikorps wieder aus den Berliner Regierungssesseln vertreiben können.

Ängstliche Gewerkschaften scheuen Generalstreik
Der ADGB - der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund wollte keinen Generalstreik riskieren. Einerseits, weil er wegen der riesigen Arbeitslosenzahl hätte scheitern können - Mitte 32 gab es allein im Arbeitsamtsbezirk Essen über 80000 registrierte Arbeitslose, in ganz Deutschland rund 5 Millionen. Andererseits fürchteten die SPD orientierten Gewerk-schaften einen Generalstreikaufruf, weil sie die Folgen eines politischen Generalstreiks wohl nicht mehr hätten kontrollieren können.
Die Gewerkschaftsbasis wurde mit verbalradikalen Parolen beruhigt. Gewerkschaften wie auch SPD-Führung verwiesen die aufgebrachte Bevölkerung darauf, bei den nahen Reichstagswahlen am 31. Juli 32 den Rechtsparteien die Quittung mit dem Wahlzettel zu geben. Ansonsten hieß die Losung nur - Ruhe bewahren.

Reichsgericht legitimiert die Ausschaltung der Preußischen Landesregierung

In dieser Friedhofsruhe wurde schließlich im Oktober 32 der SPD-Regierungsklage vor dem Reichsgericht teilweise stattgegeben. Die preußische Regierung Braun wurde formell wieder ins Amt gesetzt. Sie konnte aber lediglich auf einem Nebenkriegsschauplatz, dem sogenannten Reichsrat, der damaligen Form unseres „Bundesrats“ das Land Preussen vertreten. Die unmittelbare Landespolitik blieb weiterhin dem Essener Reichskommissar Bracht vorbehalten.
Vor allem konnte die Polizei nach diesem Putsch freundlichen Urteil des Reichsgerichts nicht wieder unter die Kontrolle der vorhergehenden demokratischen Landesregierung gestellt werden. Carl Schmitt, ein der NSDAP nahe stehender, bis heute berüchtigter Staatsrechtler hatte als Prozeßbevollmächtigter des Reichs contra Preußische Landesregierung diese ausgeklügelte Lösung zusammengestrikt.
Trotzdem wird Carl Schmitt auch nach Ende des 3. Reichs für die Grundgesetzauslegung der frühen BRD ab 1949 ein maßgeblicher Verfassungsrechtler bleiben. Bis in die Gegenwart hinein wird Carl Schmitt immer wieder gern von der extremen Rechten als intellektueller Ahnvater zitiert.
Hermann Göring als letzter, nun bereits von Reichskanzler Adolf Hitler ernannter Ministerpräsident Preußens, hatte 1933 nicht mehr viel Arbeit mit der endgültigen nationalsozialistischen Säuberung des Polizeiapparats. Mit dem „Reichsstatthaltergesetz“ vom 7.4.1933 durch Reichskanzler Adolf Hitler war die politische Selbständigkeit der Länder grundsätzlich beseitigt worden.
Franz Bracht selbst starb bereits im November 1933 an einer Herzkrankheit, nach Hitlers Machtübernahme war er allerdings auch uninteressant geworden.

Walter Wandtke

Hoffentlich im Sommer diesen Jahres Thema historischen Gedenkens - vor dreissig Jahren wurden dem Putsch gegen die letzte demokratisch legitimierte Landesregierung auch Veröffentlichungen gewidmet. Damals hatte der Ministerpräsident Johannes Rau noch ein Vorwort für eine Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung  erstellt.
Statt Schwarz-rot-gold oder dem preussischen Schwarz-weiss-Schwarz sollten ab 1933 nur noch Hakenkreuze politisches Gewicht haben. Der "Preussenschlag" war ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zur Diktatur ab Januar 1933,
Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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