Dortmund. In Dortmund treffen sich regelmäßig ehemalige Sportler zum
Stammtisch, reden über alte Zeiten und gönnen sich dazu ein Kulturprogramm.
Zu jedem Treffen laden sie nämlich einen Prominenten aus Politik, Wirtschaft,
Kultur oder Sport ein und befragen ihn zu seiner Tätigkeit. Man könnte an die
Schwimmer denken, die Leichtathleten, die Golfer oder Tennisspieler, die sich
auf diese unterhaltsame Weise informieren, und läge damit weit daneben.
Die Boxer sind es, ehemalige Profis und Amateure, die in bunter Reihe im
Vereinslokal des Boxclubs „Boxsport 20/50“ nebeneinander sitzen und geistige
Anregung suchen.
Inzwischen waren sie fast alle Gast bei Ihnen, die Dortmunder Schriftsteller wie
Max von der Grün, die Theaterdirektoren wie Guido Huonder, die Opernsänger, Verleger, Borussen-Chefs, dazu Oberbürgermeister Samtlebe und all die Weltmeister und Olympiasieger,die aus dieser Stadt stammen.
Nach 69 Prominentenstammtischen hat sich längst ein festes Ritual herausgebildet. Dieter Schumann, Organisator des Stammtisches,Vorsitzender des Boxclubs und überhaupt Dortmunds Ansprechpartner für alle Dinge, die mit Boxen zu tun haben, stimmt zur Begrüßung des Ehrengastes ein dreifaches „Ring frei!“ an. Und dann geht es los mit den Fragen, direkt und ohne Umschweife, wie man früher eine rechte oder linke Gerade schlug. Willy Quatuor sitzt dazwischen, ehemaliger Boxeuropameister, Erich Schöppner, gleichfalls Europameister, wenn es die Gesundheit zulässt, Uli Besken, sechsmal Deutscher Meister im Fliegengewicht , und auch die Johannpeterbrüder kommen manchmal. Alle zehn Brüder sind Boxer geworden, gleich sechs von ihnen schafften den Sprung in die Nationalmannschaft. Dazu die namenlosen Amateure, ohne die kein Staffelvergleich möglich wäre, und auch, das ist feste Tradition, die interessierten Ehefrauen.
Wie ein Schriftsteller arbeitet, wollen sie wissen, wie er auf seine Ideen kommt und
ob es die Regeln für gutes Schreiben gibt. Wenn ein Schauspieler über die harte
Probenarbeit erzählt, können es die Boxer mit ihrem schweißtreibenden Training
beim Sparring oder an der Maisbirne vergleichen. Ein Opernsänger soll ihnen die
Partituren erklären, Günter Samtlebe die Pläne für die Weiterentwicklung der Stadt,
und auch das Private interessiert sie. Wieviel Kinder, wie oft verheiratet, eben alles.
Munter geht es bei den Gesprächen zu und irgendwie finden sie stets den Vergleich
zu ihrem geliebten Boxsport. Dann kann es auch laut werden am Dortmunder
Stammtisch, aber es reicht nur zu verbalen Attacken. Geht es zum Beispiel um Fragen der Moral, ärgern sie sich über einen Boxer, der ihrem Sport durch seine Drogengeschäfte geschadet habe. Henry Maskes Bedeutung dagegen ist unumstritten. Er hat durch seine Art des Auftretens das Boxen wieder hoffähig gemacht, aber hat er wirklich wie ein Profi geboxt, so wie damals Willy Quatuor? Darüber können sie trefflich streiten. Einig sind sie sich in der Ablehnung, dass es in jeder Gewichtsklasse inzwischen drei oder vier Weltmeister gibt. Weltmeister kann nur einer sein, ist ihre unumstößliche Meinung. „Willy“, ruft jemand zu Quatuor rüber, „ heute hättest du es auch geschafft.“„Zweimal“, antwortet Quatuor kurz und trocken.
Seit vielen Jahren pflegt Dieter Schumann diese Boxerszene, ohne sein Engagement wären die Aktivitäten nicht denkbar. Als Boxer gehörte er nicht in die allererste Reihe, aber von seinen 25 Kämpfen hat er immerhin 15 gewonnen. Jeder Prominente erhält am Schluss des Abends eine Ehrenurkunde, die bekundet, dass er Gast bei den Dortmunder Boxern war, ein Messingboxhandschuh bereichert seine Trophäensammlung, ein T-Shirt fürs Jogging wird ihm überreicht und sogar Blumen für die Gattin. Dann wird mit allen Teilnehmern ein Foto gemacht und der Abend schließlich mit einem dreifachen „Ring frei“ beschlossen. Dortmunds Boxer achten auf die Form.
Schriftsteller HEINRICH PEUCKMANN
PS.: Bericht aus der FAZ übernommen. Am Mittwoch, dem 11. August 1999, Nr.184/Seite 39 erschienen.
PS.: Mittlerweile sind 123 Prominentenstammtische mit viel Erfolg durchgeführt worden. Die guten Freunde des DBS 20/50, Europameister Erich Schöppner, Schriftsteller Max von der Grün und Oberbürgermeister Günter Samtlebe sind inzwischen leider verstorben.
„Ring frei“
Dieter Schumann
Autor:Dieter Schumann aus Dortmund-Süd |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.