„Weltmeister von morgen“ und ein Menetekel - Werdener Turnerbund feierte Gründung vor 125 Jahren

Wir schreiben das Jahr 1886. Im November beschließen Werdener Bürger die Gründung des "Werdener Turnerbundes", sein erster Vorsitzender wird Hermann Rosenthal. Geturnt wird in Kneipen-Sälen, eine Umlage von einer Mark bildet den Grundstock der Kasse. Ziele des Vereins: „Der Turnerbund hat sich die Aufgabe gestellt, die Glieder zu stärken, die Gesundheit des Körpers zu erhöhen und durch Gewöhnung an Zucht und Ordnung, die Turner zu einem gesitteten Leben anzuhalten und so der menschlichen Gesellschaft zu nützen!“ Bisher soweit, so gut, doch allzu typisch für den Zeitgeist folgt: „Dem Heere tüchtige Soldaten heranzubilden und so insbesondere dem Vaterlande und unserem allverehrten Kaiser zu dienen!“
2011 ist von solchen martialischen Sprüchen nicht mehr viel übrig, berichtete Ulrich Legel in seiner Funktion als erster Vorsitzender launig, so Einiges sei verloren gegangen an Werten und Traditionen. Aber die zum hundertsten Geburtstag gestiftete Fahne symbolisiere den Weg des WTB: „Auf der einen Seite ein traditionell gehaltenes Turnwappen, auf der Rückseite moderne Piktogramme“. So in den 80ern des letzten Jahrhunderts sei sie sichtbar geworden, die Zäsur, der Übergang von „lieb gewordenen alten Zöpfen“ zu moderner Zeit. Die Ehrenmitglieder Christa Löbbert, Christian Keller, Hanslothar Kranz und Gerd Schmuck wurden begrüßt wie auch die geladenen Gäste, die mit ihrem Kommen zu diesem Festakt die Verbundenheit zum WTB dokumentierten. Legel dankte der Schulleiterin des Mariengymnasiums Frau Dr. Christiane Schmidt: „Willkommen im eigenen Haus. Ein adäquates Ambiente für unsere Feier mit Blick auf Basilika und unser Werden!“
Bürgermeister Rudolf Jelinek nahm den Ball auf, zeigte sich begeistert vom Lichthof des Gymnasiums, gratulierte auch im Namen des Oberbürgermeisters. Der Verein biete eine große Palette von Sportarten an, ohne tatkräftige Ehrenamtliche sei dies nicht möglich. Jelinek machte Mut: „Ihre Arbeit, Durchhaltevermögen, Engagement und Ideenreichtum tragen Früchte!“ Der größte Verein im Essener Süden könne optimistisch in die Zukunft blicken.
Bezirks-Bürgermeister Dr. Michael Bonmann zeigte sich stolz, solch einen Verein im Verwaltungsgebiet zu wissen. Der WTB habe das gesamte 20. Jahrhundert erlebt mit all´ seinen Wirren, sei mit den Jahren gewachsen und habe sich stets flexibel angepasst. Die sehr aktive Jugendarbeit sei Bonmann bei den westdeutschen Volleyball-Meisterschaften in der Halle im Löwental deutlich geworden. A propos Löwental: Noch im Laufe dieser Amtszeit, sprich spätestens bis 2014, wünscht sich der Ortspolitiker hier eine zentrale Bezirkssportanlage für den Bezirk IX: „Die Werdener Vereine haben sich glücklicherweise zusammengeschlossen und die Bezirksvertretung steht voll dahinter!“
Kritische Töne schlug Sportjournalist Kay Hoffmann an: „Liebe WTB-Familie, 125 Jahre sind ein stolzes Alter, so alt wie das Automobil, dennoch besteht Hoffnung auf eine muntere Party nach all´ den Reden. Die beste Rede ist sowieso die, die gar nicht gehalten wird... Es steht nicht gut um die Sportvereine in Deutschland. Ein Vergleich mit der Titanic: Die Lust am Untergang begeistert die Massen. Alle Vereine sitzen in einem Boot, wie einst Kate Winslet und Leonardo DiCaprio, und kämpfen darum, nicht abzusaufen. Das heißt, einige kämpfen, den meisten ist es schlicht egal, wenige nutzen den Verein für ihre Zwecke aus. Doch der Sport vermag so viel Positives. Solche Euphorie wie jetzt bei der deutschen Meisterschaft des BVB, so viel Integration, das schafft nur der Sport!“ Schon als junger Mensch hat sich Hoffmann beim WTB-Tennis wohl gefühlt: „Auch wenn bei meinen ersten Aufschlägen eher die Kaninchen auf dem Nachbarfeld getroffen wurden, ich durfte mitmachen. Ich war da zu Hause!“ Frühzeitig sei ihm bewusst geworden, was auch den Sport ausmache: „Ehrgeizig sein, gewinnen wollen, aber immer die Regeln des Fairplay beachten!“ Die ungesunde Debatte um den Fortbestand des Werdener Gesundheitsbades habe ihn bestätigt, heutzutage heiße es: „Rette sich, wer kann! Jeder ist sich selbst der Nächste.“ Kay Hoffmann sprach den Ehrenamtlichen aus der Seele: „Warum mache ich das eigentlich?“ sei doch wohl die häufigste Frage der im Verein Aktiven. Die bitteren Antworten führten dazu, dass die Bereitschaft zum sozialen Engagement rapide sinke. Hoffmann las den Bildungspolitikern die Leviten: „Im Korsett der Bildungsoffensive haben Kinder es heute schwer, sich nach einem anstrengenden Schultag noch für Sport zu motivieren“. Der Ruf nach den „guten, alten Zeiten“ sei etwas für Stammtische, die Gesellschaft auf moderne Vereinskultur angewiesen. Man müsse dem Ehrenamt eine faire Zukunftsperspektive geben: „Sonst wird das 150. Jubiläum des WTB eine ziemlich einsame Angelegenheit!“ Dass dieser düstere Zukunftsentwurf möglichst nur ein aufrüttelndes Menetekel bleibe, wünschten sich neben dem Festredner wohl alle der Anwesenden. Hoffnung für mindestens die nächsten 25 Jahre machte jedenfalls der erfrischende Auftritt der Judogruppe um Jean-Claude Frère und Stefan Koch. Die Judoka bereiteten mit ihrer Demonstration Freude, besonders die Jüngsten, von Frère euphorisch als „Weltmeister von morgen“ vorgestellt, begeisterten. Der kleine Paul hatte die Sympathien auf seiner Seite, als er seinen Meister aufs Kreuz schmiss, dass es nur so krachte.
ESPO-Geschäftsführer Wolfgang Rohrberg begann den Reigen der Gratulanten, als er bemerkte: „Was wäre unsere Gesellschaft ohne die aufopferungsvolle Arbeit der Vereine? Beim Sport kann man fürs Leben lernen, der Sport bereichert. Eine große Leistung, dass Ulrich Legel nun schon seit 20 Jahren den WTB leitet!“ Bei jeder Versammlung würde es heißen: „Gott sei Dank, der Legel macht´s.“
Dass dies noch viele Jahre so bleibt, hoffen Alle. Seine Stellvertreter Brigitte Schmitt und Uli Kromer sowie Geschäftsführerin Ulla Frühoff hatten jedenfalls das richtige Geschenk für ihren Vorsitzenden parat. Ulrich Legel kam nicht an seiner persönlichen Ehrung vorbei, wurde hintersinnig bedacht, ist nun im Besitz seines eigenen Schildes für den Parkplatz hinterm Schwimmbad. Für den Rollator…

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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