Ein afrikanisches Kind in meinem Toni-Schumacher-Trikot!

»Und? Was machst du noch nach so einem Auftritt?«, erkundigte sich neulich im Ruhrgebiet ein Gast meines »Halbzeitpause«-Abends bei mir und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Pilsglas. Ehe ich antworten konnte, rief mich der Veranstalter zu sich und fragte, »ob wir in die Küche nicht mal eben schnell alles regeln« könnten.

Als ich drei Stunden zuvor die urige Geräumigkeit betreten hatte, empfing mich bereits der beleibte Tontechniker mit einem Lächeln im Gesicht. Zwanzig Minuten später erzählte er mir vertrauensselig – von einem Fußballverrückten zum anderen - von seiner Freundin, die ihn für komplett bescheuert hielt, weil er seine dreißig Jahre alte königsblaue Bettwäsche mit Vereinslogo nie weggeschmissen hatte. »Wenn du die aufziehst, kannst du alleine schlafen«, hatte seine Perle erst neulich gemeint und ihn angeguckt, als hätte sie die Männer mit den weißen Westen vorsorglich bereits vor der Wohnungstüre in Position gebracht.

Ich legte ihm voller Mitgefühl eine Hand auf die Schulter und klagte ihm mein ganz persönliches Schicksal. Seit nun mehr über zwanzig Jahren vermisste ich sehnsüchtig mein blaues Toni Schumacher-Trikot, das mir meine Oma Mitte der achtziger Jahre zu Weihnachten geschenkt hatte. Im falschen Glauben zwar, ich wäre ein Fan unseres damaligen Nationalkeepers, aber mit dem guten Willen, die Fußballbegeisterung nicht nur still zu akzeptieren, sondern sogar noch zu fördern. Ich habe meine Oma für diese Geste geliebt.

Doch dann, als ich eines Tages aus der Schule nach Hause kam und mir nur schnell das Trikot überstreifen wollte, um in den Park zu rennen und mit den anderen Jungs zu pöhlen, griff ich in meinem Kleiderschrank ins Leere. »Das Teil hatte doch schon so viele Löcher. Ich habe es heute in die Kleidersammlung gegeben«, sagte meine Mutter beiläufig, als ich sie ungeduldig und nichtsahnend nach meinem Lieblingsshirt befragte.

Einige Jahre später sah ich in einer Dokumentation über Afrika einen kleinen Jungen genau in solch einem Trikot, wie ich es damals getragen hatte. Als er die Hände hob und man die dunklen Grasflecken an den Unterarmpolstern sehen konnte, brach ich in Tränen aus. Meine damalige Freundin tröstete mich hingebungsvoll. Und ich erkannte schnell, dass ich sie besser im Glauben ließ, mir ginge das schwere Schicksal der armen afrikanischen Kinder, die löchrige und grasverschmutzte Fußballtrikots auftragen mussten, ebenso zu Herzen wie ihr.

Als ich an diesem Veranstaltungsabend aus der Küche kam, ging ich festen Schrittes zu dem Gast hinüber, der mich gefragt hatte, was ich denn nun noch tun würde. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, blinzelte dem Tontechniker mit einem Auge zu und sagte: »Beim nächsten Mal trinken wir noch ein Bier zusammen, versprochen. Aber heute muss ich schnell nach Hause, etwas erledigen, das ich besser vor zwanzig Jahren schon getan hätte. Vielleicht habe ich ja Glück...«

Autor:

Ben Redelings aus Bochum

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