Allen gerecht werden

Die Heimstatt Engelbert konnte alle fünf Spiele gewinnen. 
Foto: Bangert
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Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen spielen mit Begeisterung Fußball

Die letzten Sekunden wollen nicht enden. Die Essener führen knapp, doch der Gast aus Wuppertal drängt auf den Ausgleich. Da schnappt sich Dennis das Leder, sein 3:1 ist die Erlösung.

Der Jubel ist groß, mit stolzen 19:5 Toren wurde der Gruppensieg erreicht, der Aufstieg winkt. Die entscheidende Runde findet am 7. Juli in Dortmund statt. Hier beim Kicken für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung ist alles genauso wie auf allen Fußballplätzen dieser Welt. Aber zugleich auch völlig anders. Voraussetzung für die Teilnahme ist ein Intelligenzquotient unter 75 und eine deutlich eingeschränkte Fähigkeit zur Verhaltensanpassung, etwa bei sozialer Kompetenz, Selbstversorgung, Kommunikation. Die meisten Spieler arbeiten in einer Werkstatt für geistig Behinderte oder besuchen eine Förderschule. Das Sportland Nordrhein-Westfalen ist auch hier führend, konnte sich zum Beispiel bei den zehnten deutschen Meisterschaften erneut durchsetzen. In NRW ist der Fußball in drei Regionen unterteilt: Rheinland, Ruhrgebiet und Westfalen. Im geregelten Spielbetrieb des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes NRW gibt es unterschiedliche Leistungsklassen von der ersten Regionalliga bis zur Freundschaftsrunde. Im Werdener Löwental wird auf drei Feldern der zweite Spieltag der Regionalliga Ruhrgebiet ausgerichtet, das Franz Sales Haus stellt gleich zwei Mannschaften. Während die Erstvertretung nur Erfahrung sammelt, glänzt die Reserve und gibt nur gegen die BSV Schlümpfe Dorsten einen Punkt ab. Auch die Heimstatt Engelbert hat ein Team entsandt. Diese Truppe spielt zurzeit in der dritten Regionalliga, möchte aber unbedingt aufsteigen. Coach Ewald Brüggemann steht am Spielfeldrand. Ein Turm in der Schlacht. Nicht nur muss er die klassischen Traineraufgaben bewältigen. Hier ist ein ganz anderes Fingerspitzengefühl gefragt. Viele seiner Schützlinge sind durchaus lauf- und kopfballstark, aber nur wenige schaffen es, das Spiel zu „lesen“. Sie vergessen schon mal, was der Trainer ihnen soeben noch eingetrichtert hat. Macht aber nix, denn hier werden kleine Schwächen mit viel Engagement und Kämpferherz mehr als wett gemacht. Es gelten die Spielregeln des DFB, für Menschen mit mentaler Einschränkung leicht verändert: Freistöße werden nur indirekt ausgeführt, Abseits und Rückpassregelungen sind aufgehoben. Führt eine Mannschaft mit drei Toren, nimmt sie aus Gründen der Fairness einen Spieler vom Feld.

Wohltuendes Fairplay

Gegen Dortmund kann der Trainer relaxt zusehen, wie Dennis im Mittelfeld die Fäden zusammenhält. Er spielt sogar in der Kreisliga A und Brüggemann nickt anerkennend: „Das ist schon ein Riesensprung. Toll, dass der Dennis das geschafft hat. Hier ist er mein Co-Trainer. Macht er super.“ So ein Regionalliga-Spieltag ist eine große Sache, das spürt man. Patrick ist ganz schön aufgeregt: „Wir freuen uns sehr.“ Fast ein wenig schade, dass es nur so wenige Spieltage gibt. Die Organisation ist halt aufwändig: Einen Bus chartern, weite Wege auf sich nehmen. Die Veranstalter müssen für reibungslosen Ablauf, aber auch für ein sportgerechtes und doch bezahlbares Mittagessen sorgen. Hier in Werden gibt es Nudeln mit Soße. Allgemeiner Tenor: „Lecker!“ Auf dem Spielfeld wird eifrig durchgewechselt, denn der Trainer hat seine Maxime: „Wir versuchen, allen gerecht zu werden. Deshalb müssen alle mal runter.“ Nun greift Leslie ins Geschehen ein. Die junge Frau kickt bei den Männern mit. Hin und her wogt das Spiel, der Olli fliegt bravourös durch seinen Kasten. Die Partie endet mit 4:2, der vierte Sieg im vierten Spiel. Doch zum Abschluss geht es gegen Handicap-Sport Wuppertal und die haben bisher auch alles gewonnen. Ein richtiges Endspiel also.
Eine erfahrene Truppe altgedienter DFB-Schiedsrichter leitet die Spiele. Michael Müller strahlt: „Hier zu pfeifen, ist Entspannung pur. Wir wissen, wie wir die Spieler zu nehmen haben. Ich musste noch keinen ernsthaft ermahnen. Alle sind mit Feuereifer dabei, aber sie benehmen sich. Von diesem wohltuenden Fairplay könnte sich so mancher Kreisligist gerne mal eine Scheibe abschneiden.“ Ewald Brüggemann wird jetzt mal grundsätzlich: „Ich sehe im Sport die große Aufgabe, fürs Leben vorzubereiten. Niederlagen besser einsortieren, Rückschläge einstecken können, mit Emotionen umzugehen lernen. Sport kann viel dazu beitragen, den Alltag zu bewältigen. Wir sehen da durchaus Fortschritte und Erfolge, Chris hier ist zum Beispiel sogar Familienvater.“

Unified Teams

Im vor 40 Jahren gegründeten Sportverein DJK Franz Sales Haus sind über 2.100 Mitglieder mit und ohne Behinderungen aktiv. Das Sportzentrum Ruhr ist zu einem der wichtigsten Sportstützpunkte für Menschen mit geistigen Behinderungen in NRW geworden. Der sportliche Leiter Ewald Brüggemann zeigt die Perspektiven auf: „Wir stellen uns dem Thema Inklusion. Da ist ja nicht alles glatt gelaufen. Wir arbeiten zusammen mit der Universität Essen-Duisburg an Lösungsmöglichkeiten und fragen: Wie kann Inklusion gelingen? Darüber hinaus forcieren wir die Idee der Unified Teams, also der integrativen Mannschaften. Unsere 2. Herren und die Oldies kicken als gemischte Mannschaften. Auch bei den Basketballern spielen gemeinsam Athleten mit geistiger Behinderung und sogenannte Partner ohne geistige Behinderung.“
Nach nur 13 Sekunden die Führung, doch dann wirkt das Team schläfrig. Die Nerven flattern, jetzt ist es eine Abwehrschlacht. Nach einem Foul zeigt der Referee auf den Punkt, doch in bester Hoeneß-Manier jagt der Wuppertaler das Leder weit drüber. Dann aber zischt ein verdeckter Schuss zum Ausgleich ins Netz. Nun ist der Psychologe im Trainer gefragt: „Ist doch nix passiert! Jetzt nicht den Kopf hängen lassen, sondern einfach weiterspielen.“ Die Reaktion kommt prompt und Erdal trifft zum 2:1, dann macht Dennis den Sack zu. Geschafft. Milde lächelt Coach Brüggemann: „Die sind jetzt alle platt.“

Die Heimstatt Engelbert konnte alle fünf Spiele gewinnen. 
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Der Lokalmatador holte sich souverän den Gruppensieg. 
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Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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