Podiumsdiskussion zum Thema „Kommunalwahl“ im Jugend- und Begegnungszentrum
„Gong“! Da ist Monika Watermann unerbittlich: Wenn die Redezeit von einer Minute überschritten wird, kommt das laute, also unmissverständliche Signal: „Der Nächste, bitte!“ Erstaunlich, die Politiker halten sich dran…
Bei der morgigen Kommunalwahl werden der Rat und die Bezirksvertretungen gewählt, um dann bis ins Jahr 2020 hinein die Geschicke unserer Stadt und des Bezirkes IX lenken. Bei dieser Wahl sind alle die Personen stimmberechtigt, die am Sonntag mindestens 16 Jahre alt sind und die deutsche Staatsangehörigkeit oder die eines EG-Mitgliedstaates besitzen.
Doch wofür stehen die einzelnen Parteien? Das Wahlplakatdschungelwirrwarrmischmasch ist eigentlich keine Hilfe – zu allgemein, zu ungenau. Da war es schon eine pfiffige Idee der Abiturientin Dina Frassa und des Studenten Yannick Lubisch, den Lokalpolitikern mal so richtig „auf den Zahn zu fühlen“. Im Jugend- und Bürgerzentrum Werden im Wesselswerth , kurz JuBB. Im Saal, der schon so manche Fête und vor allem heiße Rocktage-Nacht überstanden hat. Heute wird’s politisch…und erstaunlich friedlich-einmütig!
Sechs Politiker – sechs Themen. Die einzelnen Komplexe sollen nach und nach abgearbeitet werden, es steht aber nur eine Minute pro Partei zur Verfügung, damit das Ganze nicht jeglichen zeitlichen Rahmen sprengt.
Bekannte Gesichter und ein Neuling
Auf der Bühne bekannte Gesichter, sogar regelrechte Politik-Schlachtrösser, die jahrzehntelange Erfahrung mitbringen. Eine echte, nunmehr ehemalige Bundestagsabgeordnete: Ulla Lötzer saß 12 Jahre für Die Linke in Berlin, war stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, kandidiert nun aber für die Bezirksvertretung.
Neben ihr sitzen die Ratsleute Dr. Elisabeth van Heesch-Orgass (Grüne) und Klaus Budde (FDP), aus der BV Martina Schürmann (CDU) und Daniel Behmenburg (SPD). Es gibt sogar einen „Neuling“: Holger Ackermann kandidiert in Kettwig für den Rat, möchte für das Essener Bürgerbündnis (EBB) ins Stadtparlament oder in die Bezirksvertretung einziehen. Nach der zweiten Fragerunde fällt ihm übrigens auf, dass es ja noch gar keine Vorstellungsrunde gab. Dies wird sofort nachgeholt – auch wird erst spät erläutert, welche Bündnisse im Rat das Sagen hatten und wer in der „Opposition“ saß. Eigentlich die einzigen „Pannen“ an diesem gut vorbereiteten und recht professionellen durchgeführten Abend. Die beiden Moderatoren Dina Frassa und Yannick Lubisch werfen den sechs Volksvertretern die „Happen“ zu.
Wohin mit den Jugendlichen?
„Es ging durch die Zeitungen - randalierende Jugendliche, Verschmutzung, Zerstörung, Ruhestörung. Aber mal ehrlich: Wo sollen die Jugendlichen denn hin?“
Martina Schürmann, die in den Rat einziehen möchte, ist das Problem bewusst: „Außerhalb der Sportvereine gibt es zu wenig Angebote, daher sollte man den Volkswald als offenen Jugendtreff nutzen. Denn nicht Jeder möchte sich an einen Verein binden!“ Klaus Budde bekommt samstagmorgens „beim Brötchenholen“ mit, wenn unter der Brücke Vandalen zugeschlagen haben, allerdings seien die Abfalleimer auch wirklich zu klein. Dass der Jugendtreff im Volkswald bei der Verwaltung so blockiert werde, sei ärgerlich: „In der freien Wirtschaft wären die alle schon entlassen!“
Ulla Lötzer kann es nicht mehr hören: „Bedauerlich, dass sich die Situation der Jugend immer noch nicht gebessert hat, der Vorschlag des Jugendwerkes der AWO ist gut, man muss mit den Jugendlichen in Dialog treten und auch das Angebot hier im JUBB ausbauen!“
Dr. Elisabeth van Heesch-Orgass hält es für den falschen Ansatz, immer nur auf Beschwerden über die “wilde Jugend” zu reagieren: “Es muss Lösungen für und mit den Jugendlichen geben, deswegen fordern wir Grüne ein Jugendparlament!” Der Volkswald sei ideal als Jugendtreff, nur müssten bessere ÖPNV-Verbindungen, auch nachts, her. Zusätzlich sollten auch Strecken für „Dirtbiking“ im Wald ausgewiesen werden. Aber die BV-Entscheidung werde vom Rat ignoriert, die Dezernenten schieben das „Problem Volkswald“ seit zwei Jahren hin und her. Daniel Behmenburg weigert sich, alle Jugendliche in „Kollektivhaftung“ zu nehmen, das Konzept mit AWO und Bogenschützen im Volkswald sei von der Politik gewünscht, nur die Verwaltung bremse aus. Rangeleien zwischen den Ämtern verzögerten alles, sehr frustrierend. Hier müsse die Politik das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Seine SPD wolle zukünftig deutlich mehr Geld in die Kinder- und Jugendarbeit stecken.
Holger Ackermann fordert attraktive Räume für Kinder und Jugendliche, da sei der Volkswald ein günstiger Standort, der mehrere parallele Nutzungen möglich mache. Der Weg von der BV in den Rat sollte intensiviert werden, dort müsse Druck auf die Verwaltung ausgeübt werden.
Umzug des Hallenbades?
Der angedachte Umzug des Hallenbads wird von allen Teilnehmern strikt abgelehnt. Zu tief sitzt der Argwohn, dass hier ein Investor mit dem Filetgrundstück des Werdener Hallenbades „Kohle scheffeln“ will, das Bad in Heidhausen schlechter zu erreichen sei, die Eintrittspreise für ein „Spaßbad“ bestimmt steigen würden.
Holger Ackermann fehlt das Verständnis: „Der Standort in der Werdener City ist doch ideal, warum also umziehen?“ Klaus Budde riecht den „Investor“-Braten: „Privilegierte Eigentumswohnungen direkt am Wasser – da werde ich immer wach!“
Schnell war der Bogen zur Grünen Harfe geschlagen, Dr. Elisabeth van Heesch-Orgass erinnerte daran, wie oft sie im Rat „Haue“ bezogen hätte, die ursprünglich geforderte „Zug um Zug“-Variante von Bebauung und Verkehrskonzept wurde dort gegen den ausdrücklichen Wunsch der BV gekippt. Daniel Behmenburg hatte sich durch das Moderationsverfahren verstärkte Bürgerbeteiligung erwünscht, ist durch das jetzige Ergebnis enttäuscht: „Traurig, was daraus geworden ist!“ Holger Ackermann mahnte, man solle nicht alle Investoren verteufeln, denn Essen brauche den Zuzug junger Familien und dafür müsse man attraktiven Wohnraum schaffen.
Auch Martina Schürmann differenziert: „Ich mache da schon Unterschiede. Die Grüne Harfe ist seit Jahrzehnten Bauland und im Besitz von Thyssen-Krupp. Beim Stadtbad wäre es eine ganz andere Situation, da will sich jemand städtische Grundstücke unter den Nagel reißen!“
Asylanten
„Ein Asylantenheim? Ja –aber nicht bei uns!“ war das dritte Thema. Auch hier herrschte Einmütigkeit, dass die bisher vorgeschlagenen Standorte wie Kettwig-Ickten oder Heidhausen nicht geeignet sein. Die Vorlage der Verwaltung sei zu Recht im Rat abgeschmettert worden, es fehle ein exakter und transparenter Kriterienkatalog, der wirkliche Bedarf müsse analysiert werden. 50 Millionen Euro an Kosten seien auch zu viel, es müsse günstigere Lösungen geben.
Generell sei - gerade bei steigenden Flüchtlingszahlen – jeder Stadtteil in der Pflicht, zum Beispiel auch das „verschonte“ Bredeney. Das Grundstück in Ickten liege doch im Landschaftsschutzgebiet, in Heidhausen würden bereits geplante Bauvorhaben und eine Erweiterung der Grundschule an der Jacobsallee gefährdet. Auch müsse dringend die Betreuung an den vorhandenen Standorten ausgebaut werden. Ulla Lötzer stellte klar: „Wir müssen uns um Flüchtlinge kümmern, aber gut! Sie sollten in Wohnungen dezentral untergebracht werden, nicht in Ghettos!“ So sei das nun wieder ins Gespräch geratene Kutel auf keinen Fall eine Lösung für Asylantenunterkünfte, weil „ab vom Schuss“. Klaus Budde erklärte, dass im September dem Rat ein neues Konzept vorgelegt werde.
Die Schulen
Die Situation der Schulen, besonders die drohende Monokultur, im Bezirk IX gibt außer jeder Menge Gymnasien nur noch eine einzige Realschule, war das nächste Thema. Holger Ackermann: „Das sehen wir nicht gerne, denn jeder Schüler sollte individuell gefördert werden, und dies auch wohnungsnah!“ Daniel Behmenburg nahm Illusionen, im Süden könne zum Beispiel eine Gesamtschule entstehen: „Ein Neubau kostet Geld, welches die Stadt nicht hat. Man muss die vorhandenen Mittel in die Sanierung stecken, gerade in Kettwig herrschen katastrophale Bedingungen, ekelige Toiletten, marode Schuldächer, kaputte Schulturnhallen…“ Dr. Elisabeth van Heesch-Orgass ist realistisch: „Wir erleben eine Abstimmung mit den Füßen – ganze Grundschulklassen wechseln geschlossen aufs Gymnasium. Es ist eine Frage des Elternwillens!“ Essen brauche endlich einen Schulentwicklungsplan, moniert Ulla Lötzer, der Sanierungsstau müsse aufgelöst werden, so Klaus Budde: „In maroden Schulen macht Lernen keinen Spaß!“ Auch Martina Schürmann fordert angesichts der unhaltbaren Zustände sofortige Sanierung aller Schulen und hat erfahren, „dass bestimmte Schulformen im Essener Süden nicht gewollt sind!“
Verkehrskonzept
Der mögliche Umbau der B224 verursache hohe Kosten und Wertverluste der Anwohner in der Abteistraße, Martina Schürmann fordert intelligente Konzepte, um die Staus zu verhindern. Klaus Budde trauert der in den 70er Jahren verpassten Tunnellösung nach, von den bisherigen Lösungsvorschlägen gefalle ihm gar keiner. Ulla Lötzer schlägt Alarm: „Lärm- und Staubbelastung sind zu hoch – es muss dringend was passieren! Wir müssen weg vom Auto – der ÖPNV muss ausgebaut werden – durch Ringbus und Bürgerbus.“ Dr. Elisabeth van Heesch-Orgass: „Nach den Sommerferien wird eine Detailplanung vorgestellt.“ Daniel Behmenburg mahnt, angesichts der klammen Haushaltslage mit Augenmaß vorzugehen, die Aufenthaltsqualität, besonders des Werdener Marktes, müsse erhöht werden. Holger Ackermann: „Wir müssen den Bürgern ins Gewissen reden, dass sie mehr ÖPNV und Radwege nutzen.“
Mehrgenerationen-Projekte
„Die Bevölkerung wird immer älter, wie soll das Miteinander von Jung und Alt zukünftig aussehen?“
Holger Ackermann wünscht sich, dass Essen wieder jünger wird, fordert attraktive Angebote für junge Familien. Daniel Behmenburg sieht konkrete Angebote: „Eine Bordsteinabsenkung hilft zum Beispiel Rollstuhlfahrern und Muttis mit Kinderwagen!“
Das „Beisammensein“ fördere das Verständnis untereinander. Mehrgenerationenprojekte, aber auch so einfache Dinge wie ehrenamtliche „Lesepaten“, ein respektvoller Umgang miteinander, das wünscht sich Ulla Lötzer.
Dr. Elisabeth van Heesch-Orgass fordert mehr Familienfreundlichkeit: „Dazu gehören unter anderem die Kita, der ÖPNV, die Schulen…“ Manche Ältere hätten vergessen, dass sie auch mal jung waren, einige Jüngere blendeten aus, dass sie irgendwann auch alt würden. Klaus Budde fordert einen bunten Mix von Alt und Jung, das erfrische. Und Martina Schürmann möchte die Angebote des Begegnungszentrums am Wesselswerth noch intensiver ausbauen: „Dann kann man sich besser kennen lernen!“
Leere Kassen
Die Taschen der Stadt Essen sind leer, so viel ist klar. Man erkennt es ganz einfach an den vielen Schlaglöchern, die nicht repariert werden. Die Stadt gönnt sich zu viele Aufsichtsräte in den Beteiligungsgesellschaften, die Gewerbesteuer bricht weg, man hätte die RWE-Aktien verkaufen sollen, als sie noch deutlich mehr wert waren. Aber es gibt auch unverschuldete Probleme. Ulla Lötzer fragt: „Wie wehrt sich die Kommune gegen Land und Bund?“ Denn viele Ausgaben entstehen durch Landes- und Bundespolitik, Sozialleistungen wie etwa Hartz 4. Dr. Elisabeth van Heesch-Orgass schimpft: „Essen finanziert zum Beispiel den Soli-Beitrag durch Aufnahme von zusätzlichen Krediten. Da muss der Bund ran!“
Wiederholung gewünscht
Dann ist er vorbei, der höchst interessante und erfreulich friedlich-einmütige Abend. Holger Ackermann strahlt: „Toll, dass hier aus der Jugend raus organisiert wurde, ein Dank auch an die vielen Gäste!“ Daniel Behmenburg hat’s auch gefallen: „Sowas können wir öfters machen – ruhig auch mal außerhalb von Wahlkämpfen!“
Da nehmen wir unsere Politiker beim Wort. Doch zunächst gehen wir am Sonntag alle brav wählen. Ehrensache, oder?
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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