Muss man sich für Politik interessieren?

Schülersprecher Lennard Kelbch zeigte sich gut vorbereitet.     Foto: Bangert
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Bundestagspräsident Norbert Lammert besucht die Schüler des Werdener Mariengymnasiums

Im Forum hängen großformatige Kunstwerke. Sie zeigen Vorbilder: Ghandi, Einstein, Merkel, aber auch Beyoncé und Jonny Depp. Ist der Chef des Parlaments auch so ein Vorbild? Norbert Lammert besucht das Mariengymnasium.

Schon in ihrem erfolgreichen „Wahlkampf“ zu SV-Sprechern kündigten die 16-jährigen Gioia Belverato Fonseca, Lennard Kelbch und Ole Düsterhöft an, zukünftig Vertreter verschiedener öffentliche Bereiche, speziell der Politik, zur Diskussion mit der Schülerschaft einladen zu wollen: „Warum nicht mit dem Bundestagspräsidenten anfangen?“ Prof. Dr. Nobert Lammert wurde schriftlich auf ein Gespräch über die Bedeutung der Demokratie und des Parlamentes gebeten. Schulchefin Dr. Christiane Schmidt war skeptisch: „Klappt das überhaupt? Noch vor der Bundestagswahl im September?“ Es klappte. Nach einem Anruf von Lennard im Parlament war alles gebongt und die Schulleiterin sprachlos. Nun warten Schülersprecher und Schulleitung nervös am Eingangstor. Pünktlich kommt eine schwere Limousine, ihr entsteigt der zweite Mann im Staate.

Interesse für Politik

Besagtes Forum füllt sich mit 250 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 9 bis Q1. Auf dem Podium gibt sich Lammert selbstkritisch: „Ich weiß jetzt gar nicht…was soll ich tun? Wenn ich erst einmal anfange, zu reden…“ Zunächst erläutert er die Frage „Muss man sich für Politik interessieren?“ Sein Fazit: „Man muss nicht. Man muss in Deutschland fast überhaupt nichts. Naja, Steuern zahlen. Sich an die Gesetze halten. Aber man muss nicht einmal wählen gehen. Doch es empfiehlt sich sehr, die Politik anzunehmen.“ Sein handfestes Beispiel: „Nach dem Volksentscheid zum Brexit mit einer ganz knappen Mehrheit gingen die jungen Briten auf die Straße. Sie wollen Europäer bleiben. Diese Demonstrationen hätten sie sich sparen können, wenn sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten. So haben sie den Rentnern die Entscheidung über die Zukunft überlassen.“

Helmut Kohl und G8

Lennard Kelbch zeigt sich gut vorbereitet, hat Fragen seiner Mitschüler gesammelt. Besonnen antwortet Lammert, nimmt sich die nötige Zeit, wird jedoch nie überlang. Helmut Kohl? „Neben dem, was alles gesagt und geschrieben wurde, kenne ich Helmut Kohl auch als einen, der über jede Intrige in seiner Partei Bescheid wusste.“ Die Deutsche Einheit sei damals von nur ganz wenigen Staatschefs begrüßt oder gar gefördert worden. Doch Kohl habe die beiden wichtigsten Politiker überzeugt: „Bush und Gorbatschow vertrauten ihm.“
Was hält der Honorarprofessor von G8 und G9? Als Lammert vor nun 50 Jahren sein Abitur empfing, hatte er auch G8 erlebt, denn während seiner Laufbahn wurden zwei Kurzschuljahre eingestreut: „Das haben wir alle überlebt.“ Persönlich sei er für G8, denn im internationalen Vergleich kämen die jungen Deutschen immer noch deutlich später als die anderen Europäer auf den Arbeitsmarkt. Schule könne sowieso nicht alles vermitteln, was dann in 40 Berufsjahren benötigt werde: „Weiterbildung ist ein ständiger Begleiter.“ Auf den Einwurf eines Schülers, man müsse die Lehrpläne entrümpeln, strahlt Lammert zurück: „Dann würde ja auch G7 reichen.“

Die Rote Linie

Wann muss ein Bundestagspräsident einschreiten? Etwa bei der Debatte um Ehe für Alle? „Grundsätzlich muss ich überparteilich sein. Es gibt da eine imaginäre Rote Linie. Jenseits dieser Linie spielt Parteizugehörigkeit keine Rolle. Mit ihrer Konfettiparade haben sich aber Mitglieder des Bundestages dem Verdacht der Albernheit ausgesetzt.“
Bleibt genug Zeit für Familie und Freunde? „Genug natürlich nicht. Es wäre albern, das Gegenteil zu behaupten.“ Wenn er im September den Bundestag verlässt, kann er die Prioritäten verrücken: „Es gibt jede Menge Terminkollisionen. Zurzeit wird in neun von zehn Fällen der politische Termin dem privaten vorgezogen. Bald jedoch wird es anders herum sein.“ Worauf freut er sich besonders? „Ausschlafen!“

Ein ständiges Ringen

Lammert kämpft gegen Gleichgültigkeit. Immer wieder spricht er von den großen Veränderungen, die kommen werden. Allein die Arbeitswelt werde zukünftig völlig umgekrempelt. Da könne man doch nicht ernsthaft sagen: „Politik? Dafür interessiere ich mich nicht.“ Man solle den eigenen Kopf zur Urteilsbildung nutzen. Politik sei nun mal ein ständiges Ringen um die beste Lösung, Restzweifel blieben immer. Gerne zitiert er da GB Shaw, der für jede komplizierte Frage eine einfache Antwort sah: „Und die ist regelmäßig falsch.“
Das ist ein schönes Schlusswort. Dr. Schmidt dankt, besonders ihren Schülern: „Gioia, Lennard und Ole, euch ein großes Lob für euer Engagement, euren Mut und besonders für euren unerschütterlichen und berechtigten Optimismus!“

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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