Finden die Königskinder zueinander?

Moderation Grüne Harfe

Anfangs standen sie sich unversöhnlich gegenüber: Bürgerinitiative und Thyssen-Krupp schienen wie die beiden Königskinder, die nie zueinander… Doch nach einfühlsamer Moderation durch den selbstständigen Stadtplaner Michael Happe, der sich in unzähligen Gesprächen auf beide Seiten und ihre Befindlichkeiten einließ und mit Hingabe vermittelte, scheint nun ein Kompromiss in Sicht, der den „gordischen Knoten“ zerschlägt und eine Bebauung der grünen Harfe zulässt. Der fast schon für unmöglich gehaltene Durchbruch scheint geschafft, die Königskinder treffen sich auf halbem Weg.

Martin Schauerte von Evonik Wohnen berichtete noch einmal über seine Methode, einen Bedarf an Einfamilienhäusern im Bezirk IX zu errechnen. Hier war der Rückgriff auf Daten eines gewerblichen Internet-Immobilien-Anbieters als unwissenschaftlich angeprangert worden. Er habe sich da wohl missverständlich ausgedrückt, zeigte sich Schauerte erschrocken, seine Zahlen seien durch ein mehrschichtiges Verfahren erarbeitet, der Mikrozensus, die Verteilung der Haushalte in Essen, aufgeteilt in Einkommensgruppen ausschlaggebend gewesen: „Die Eigentumsbildung beginnt so mit 25 Jahren, die Kurve steigt steil an, hat ihren Scheitelpunkt bei den Mittdreißigern, fällt dann flach ab bis zu den 65jährigen!“ Mit dem Aufbau von Wohnungseigentum beginnt der durchschnittliche Deutsche mit 38 Jahren, deutlich später als in anderen Ländern. Auch sei das wesentliche Kriterium die Einkommenslage: „Das Portemonnaie bestimmt den Wunsch nach Eigentum!“ Die Eigenheimzulage gebe verlässliche Daten und eben auch die Internetplattform, wenn es darum gehe, in welchen Stadtteilen die Nachfrage hoch sei. Und das sei in Essen nun mal ein „bananenartiger“ Gürtel, der sich im Westen und Süden der Stadt erstrecke. Ob der für Werden und Heidhausen abgeschätzte Bedarf nicht schon durch andere Neubaumaßnahmen und rund 700 in den nächsten zehn Jahren auf den Markt strömende „Altbestände“ gedeckt seien, bleibt weiter strittig. Zwar könnten viele ältere Eigentümer sich demnächst von ihrer zu groß dimensionierten, nicht seniorengerechten Immobilie trennen, doch würden diese ja oft gegen andere Objekte getauscht oder auch vererbt. Im Punkt „Bedarf an Einfamilienhäusern“ konnte offensichtlich keine Einigung erzielt werden. Hier drohte ein Rückzug der „verfeindeten“ Lager auf ihren Standpunkt.

Win-Win-Lösung?

Doch der Abend nahm Fahrt auf, als Moderator Happe die bisherigen Runden zusammenfasste und viele gemeinsame Ansätze fand. Der Stadtplaner zählte auf:
Die grüne Harfe sei eines von vielen Projekten mit insgesamt 380 Einheiten, die Stadt gehe für die nächsten zehn Jahre von etwa 600 Einheiten Bedarf im Bezirk aus. Ökologisch bedeutsam seien nur die beiden Quellbereiche, das Landschaftsbild und der Faktor „Naherholung“. Bei einer niedrigen Bauhöhe und geringem Versiegelungsgrad seien keine klimatischen Beeinträchtigungen zu erwarten. Der Verkehr in Werden ist am Ende, hier gäbe es dringenden Handlungsbedarf, die Immissionen an der Brückstraße erreichen nicht nur die EU-Richtwerte, überschreiten sie sogar! Ziel müsse es sein, den Verkehr in Werden zu verringern und auch zu verflüssigen, da gerade Stopp and go für erhöhten Schadstoffausstoß sorge. Die Ausweitung der Umweltzone aufs gesamte Ruhrgebiet könne auch für 8 bis 15 Prozent Entlastung sorgen.
In angenehm sachbezogenen Diskussionen gab es ein erstaunlich hohes Maß an Einvernehmen, Dissens sah Happe letztlich nur in der Frage des Bedarfes und des zeitlichen Ablaufes, die Bürgerinitiative wünscht sich ein Vorgehen Zug um Zug, während Stadt und Eigentümer parallel an Bebauungsplan und Lösung des Verkehrsproblems arbeiten möchten. In begleitenden Einzelgesprächen habe er Möglichkeiten ausgelotet, auf beiden Seiten Kompromisswillen und –fähigkeit vorgefunden. Der Interessenausgleich, den sich der Rat der Stadt erhofft hat, frage natürlich auch nach der jeweiligen Schmerzgrenze. Hier gäbe es Bewegung, die eine Lösung näher bringe. So legte Michael Happe sein umfangreiches Papier vor: „Die Empfehlungen streben auf der Basis der Erörterungen eine win-win-Lösung für die Beteiligten an – in aller Kenntnis, dass eine vollständige Zielerreichung für alle Seiten sich als nicht möglich erwiesen hat.“

Umfangreiche Empfehlungen

Auf der acht Hektar großen Ackerfläche soll nur im Rahmen eines nachhaltig tragfähigen Gesamtkonzeptes gebaut werden dürfen. Voraussetzung seien ein aufgelockertes, „grünes“ Wohngebiet und erfolgreiche Maßnahmen zur Lösung der Verkehrsproblematik: „Wenn der Bebauungsplan in Kraft tritt, sollten Verkehrsentlastung und Immissionsschutz bereits greifen!“ Rund ein Viertel der Belastung müsse weg, durch Maßnahmen wie etwa Umweltzone, Pförtnerampeln, Lärmminderung, Optimierung des öffentlichen Personennahverkehrs, einen Bürgerbus: „Es wird kurzfristig ein Verkehrskonzept zum Werdener Ortskern erstellt und mit der Bürgerschaft diskutiert, um geeignete Maßnahmen umzusetzen, das
Straßennetz im Ortskern zu optimieren – nicht im Sinne von mehr, sondern von
stadtverträglichem Verkehr.“ Hier seien das Gremium zur B224 und die Verwaltung gefragt. Zeitliches Ziel ist es, die Einleitung des Bauleitplanverfahrens sowie die Planung und Umsetzung erster Maßnahmen für eine stadtverträgliche Verkehrslösung möglichst kurzfristig in Angriff zu nehmen. Mit dem Ende der Kanalbauarbeiten in Werden sollen sukzessive die weiteren Maßnahmen der Ortskernentlastung umgesetzt werden. Bis zur Rechtskraft des Bebauungsplans sollen auch die Maßnahmen der Umweltzone und des Nahverkehrsplans greifen, ferner sollten dann auch Bürgerbusse fahren. Bis 2013 müssten Ergebnisse her, sonst solle man das gesamte Paket neu bewerten.
Die Bebauung dürfe 30 Prozent Versiegelung nicht überschreiten, mindestens 40 Prozent als zusammenhängende Grünfläche erhalten bleiben. Die beiden Quellen sollen bleiben, höchstens 100 Wohneinheiten in aufgelockerter Bauweise könnten so entstehen, davon 70 bis 80 Einfamilienhäuser und maximal fünf so genannte „Stadtvillen“ mit jeweils fünf Wohnungen.

So geht´s weiter

Die Bürgerinitiative legte eine schriftliche Stellungnahme vor und erläuterte: „Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Wir möchten den Kompromiss wagen. Doch wir brauchen Sicherheit, aus „sollte“ und „müsste“ muss ein „soll“ und „muss“ werden!“
Johannes P. Bergmann als Prokurist bei Thyssen-Krupp Real Estate betonte, dass er und seine Arbeitgeber dem Moderations-Verfahren zunächst sehr skeptisch gegenüber standen und nun angenehm überrascht wurden durch dessen Sachlichkeit, die gewünschten 70 Wohneinheiten seien aber wirtschaftlich nicht vertretbar. Auch forderte er die Stadt auf, in Sachen „Unterhaltungslasten“ Thyssen-Krupp entgegen zu kommen und Augenmaß zu bewahren.
Stadtdirektor Dr. Hans-Jürgen Best bringt nun Empfehlungen und Stellungnahme in den Rat ein, auch die anderen politischen Gremien werden sich beratschlagen. Die Bürgerinitiative befragt ihre Nachbarn, ob der Kompromiss tragfähig ist und Herr Bergmann unterbreitet seinen Chefs von Thyssen-Krupp die Ergebnisse der Moderation. Alle Beteiligten zollten Michael Happe für seine Leistungen kräftigen Beifall, lobten seine ausgleichende Art und den großen persönlichen Einsatz. Das nächste Treffen ist am Donnerstag, 14. April, um 18 Uhr im kleinen Saal von Haus Fuhr.

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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