Am Sonntag 4. August widmet sich das Gartenhaus Dingerkus dem Phänomen der Glanzbilder
Trivialästhetik in historischem Ambiente
Die Motivauswahl lässt tief blicken: oft ist es ein verklärender Blick. Da wimmeln Engel, Mädchen in pastellfarbenen Kleidern, gerne mit einem üppigen Blumenbouquet im Arm.
Blumen in allen Farbtönen, zumeist Rosen. Oft religiöse Themen, aber auch liebliche Tiermotive: Schmetterlinge, Pferde und lustige Frösche. Später kamen noch Automobile und Filmstars dazu. Das alles mit und ohne Glitzer. Herrlich kitschige Glanzbilder klebte man sich damals ins Poesiealbum. Auch „Vielliebchen“ genannt, der Essener sagt verballhornend „Philippchen“. Glanzbilder sind bunt, ihr Markenzeichen ist der Prägedruck, der Perspektive und Lebendigkeit ins Zweidimensionale bringt. Ihre Wurzeln haben diese Bildchen im Neuruppiner Bilderbogen. Dessen über 20.000 Motive erfreuten Jung und Alt. Die im Steindruck hergestellten und kolorierten Blätter berichteten von wichtigen Ereignissen, erzählten von Liebesfreud und -leid und ließen die Kinder lernen, basteln und spielen.
Der Freundeskreis kümmert sich
Als nostalgische Sammelobjekte erfreuen sich Glanzbilder noch heute großer Beliebtheit. Womit der Bogen geschlagen wäre zum „Ausstellungsort“. Vor den Stadttoren Werdens ließ um 1790 der abteiliche Kanzleidirektor Johann Everhard Dingerkus ein Gartenhaus errichten. Das fast bis zur Ruhr reichende Grundstück diente mit seinen 4.000 Quadratmetern als Obst-, Gemüse- und Blumengarten. Heute ist nur noch ein kleiner Teil erhalten. Haus und Garten stehen seit 1994 unter Denkmalschutz, der Freundeskreis Gartenhaus Dingerkus kümmert sich seit 2010 um dieses für das Ruhrgebiet einzigartige Ensemble. Am ersten Sonntag im Monat wird dem Publikum geöffnet. Am 4. August lädt der Sommergarten von 14 bis 18 Uhr ein an die Brandstorstraße. Dort gibt es im Garten Kaffee, Tee, selbstgebackenen Kuchen, dazu ein nostalgisches Highlight. Freundeskreis-Vorsitzender Peter Bankmann kann es jedenfalls kaum erwarten: „Wir haben da eine ganz besondere Ausstellung mit der pfiffigen Idee einer Tauschbörse.“
Künstlerische Verfremdung
Die Kettwiger Künstlerin Kristin Loehr hat einen ganz speziellen Bezug zu Glanzbildern. Anlässlich ihrer 2. Staatsprüfung fürs Lehramt startete sie in einem vierten Schuljahr eine Unterrichtsreihe: „Trivialästhetische Objekte und ihr Verhältnis zur Realität - aufgezeigt an dem Phänomen Glanzbilder und Poesiealben.“ Das war im August 1978. Ihre Schüler lernten ein kritisches Hinterfragen von Gesellschaft, von Werbung, vom Menschenbild, welches in solchen Glanzbildern transportiert wurde. Im Akt künstlerischer Verfremdung wurden den lieblichen Bildern Fotos einer bösen Realität an die Seite gestellt. Im August 2019 wird Kristin Loehr den Interessierten ihr künstlerisches Konzept umreißen: jeweils zur vollen Stunde um 15, 16 und 17 Uhr. Es darf in den Alben gestöbert werden und in alten Beständen. Barbara Schröder hat selbst gesammelt: „Glanzbilder waren in Nachkriegszeiten eine Traumwelt für Kinder.“ Ihre Augen blitzen: „Jeder kann sich am Sonntag seine Lieblings-Philippchen gegen eine Spende für das Dingerkus-Haus mitnehmen. Es darf auch getauscht werden.“
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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