Kettwiger und Werdener Künstler öffneten ihre Ateliers
Kunst tritt aus dem Schatten

Roger Löcherbach und eine seiner jüngsten Holzarbeiten.
Foto: Henschke
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Wer möchte hinter die Kulissen freikünstlerischer Gestaltung blicken? Die 22. Essener „Kunstspur“ stellte nicht nur diese eine Frage. Es brennt unter den Fingernägeln: Wie präsentiert sich Kunst in Pandemie-Zeiten?

Zu viele Ausstellungen mussten abgesagt werden, viel zu oft versank Kunst im Schatten. Doch nun ist in Kettwig und Werden ein buntes Spektrum künstlerischer Arbeiten zu entdecken: Fotografie, Malerei, Bildhauerei, Druckgrafik und vieles mehr. Etliche Künstler haben spontan beschlossen, ihre Ateliers doch nicht zu öffnen. Andere dagegen sind heilfroh, endlich wieder eine Möglichkeit zu haben, ihr Schaffen zu präsentieren. Soweit möglich, wurden Werke und Begleitprogramm nach draußen in Garten oder Hof verlegt.

Kunst in der Krise?

Zu entdecken so manches künstlerische Statement zur aktuellen Covid19-Krise. Connie Blüm hat an der Kettwiger Meisenburgstraße einen vergoldeten Container platziert. Er steht für ein Nomadentum vieler Künstler. Für die Unsichtbarkeit von Kunst in schweren Zeiten. Am anderen Ende Kettwigs, kurz vor der Stadtgrenze zu Heiligenhaus: Anette und Lukas Lenzing haben in ihre Bildhauerwerkstatt „Freischlag“ geladen. Im Garten spielt Sänger Jerry K. Reed den Blues. Die Gastgeberin beschäftigt sich mit dem Virus. Gelungen ihre künstlerische Stellungnahme zur Pandemie. Spielerisch leicht kommt „Servus“ aus Draht und Klopapier daher. Draußen steht die Installation „Turm der Elfen“. Ein Kommentar zum fragilen Status von Kunst in Krisenzeiten? Die Lenzings haben für sich positive Energien gefunden: „Wir sind gut besucht und unsere Kurse ebenfalls.“ Und der Enkelsohn macht auf sich aufmerksam. Der wohl mit Abstand jüngste Teilnehmer der Kunstspur darf seine Werke präsentieren. Balu Lenzing tätigt sogar einen Verkauf: Sein „Opus weiß“ aus Speckstein wechselt den Besitzer.

Kettensägen-Kunst

Mitten im allerfriedlichsten Fischlaken rückt Roger Löcherbach mit Kettensäge, Beitel und Schlägel einem monumentalen Holzkopf zu Leibe. Eine Auftragsarbeit? Nein, schmunzelt der Künstler, wer wolle sich schon mit offenem Mund und zusammen gekniffenen Augen porträtieren lassen? Löcherbach beschäftigt sich mit aktuellen und politischen Szenarien, lässt eine Gruppe von Virologen entstehen oder einen auf Krawall gebürsteten Trump. Eine Werkgruppe widmet sich der Jalta-Konferenz kurz vor Kriegsende: Churchill, Roosevelt, Stalin. Eine andere dem Dadaisten Kurt Schwitters, die drei je rund 300 Kilogramm schweren Holzköpfe werden demnächst in Hannover aufgestellt. Haltung und Gestik seiner Figuren entwickeln sich zwar aus der Imagination, werden aber auch stark beeinflusst von der Wuchsform der verwendeten Stämme. Schnell entspinnt sich ein Gespräch über verschiedene Hölzer und ihre ganz speziellen Eigenschaften. Der Künstler verwendet heimische Bäume wie die Eiche. Einige kleinere Arbeiten sind jedoch aus Bongossi, einem tropischen sehr widerstandsfähigen Hartholz. Aber auch das stammt sozusagen aus der Gegend, wurde nämlich im Bergbau eingesetzt als Spurlatten für die Förderkörbe. Was da noch an Schätzen schlummern mag Unter Tage? Roger Löcherbach würde es gerne wissen.

Kontemplative Kunst

Dorle Ossen lädt ein in ihre Ikebana-Schule an der Werdener Heckstraße. Ikebana bedeutet „lebende Blumen“ und war früher nur Männern vorbehalten. Eine eigenständige Kunstform, neben Teezeremonie, Kalligraphie, Dichtkunst und Musik. Blumen in ihrer schönsten Form zur Geltung zu bringen, ist gleichzeitig Ziel und Weg des Ikebana. Dorle Ossen beschreitet seit über 30 Jahren diesen Weg. Nach Studium und Fortbildungen bei japanischen Meistern an der Ikenobô-Akademie in Kyoto und in Deutschland brachte sie diese faszinierende Kunst nach Werden und gibt nun Kurse, Seminare und Privatunterricht. Bei ihr lernt man, mit lebendigen Materialien konzentriert zu arbeiten und dabei sich selbst zu entschleunigen. Es ist eine kontemplative Kunst: So ein Blumengesteck benötigt durchaus mehrere Stunden, um den strengen Regeln der ältesten Form „Ikenobô“ zu entsprechen.

Kunst lebt

Ein paar Meter weiter nutzt Friedhelm Neubauer den momentanen Leerstand eines Ladenlokals, um ausgiebig seine Arbeiten präsentieren zu können: „So schnell bekomme ich diese Chance nicht wieder.“ Die Räumlichkeiten sollen demnächst umgebaut werden, damit das DRK dort einen Anlaufpunkt für Senioren im Stadtbezirk IX einrichten kann. Die Neubauerschen Fotoarbeiten sind oft am Computer mithilfe von Photoshop-Technik verfremdet worden. Diese Techniken und vieles mehr würde Neubauer gerne als Kursus anbieten, wenn das „Zentrum 60 plus“ Ende des Jahres an den Start gehen wird. Von der Heckstraße aus nur zu erahnen, findet sich eine1873 erbaute spätklassizistische Villa mit angeschlossener Remise. Kachelofenbau-Meisterin Gudrun Quincke lädt dort regelmäßig Künstler ein in ihre keramische Werkstatt: Die Kunstspur ist für sie eine schöne Möglichkeit, die Räume zu teilen mit tollen Menschen. Im Wintergarten sind Radierungen und Aquarelle zu erwerben, der Erlös geht an die Hilfsorganisation „Cap Anamur“.
Die Frage ist beantwortet: Kunst zeigt sich. Kunst lebt. Am Wochenende 26. und 27. September können die Ateliers der nördlichen Stadtteile besucht werden.

Roger Löcherbach und eine seiner jüngsten Holzarbeiten.
Foto: Henschke
Anette und Lukas Lenzing von der Bildhauerwerkstatt „Freischlag“. 
Foto: Henschke
Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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