„Hier wird Gemeinschaft gelebt“

Jo Magrean und Mariko Saito stellen bei kunstwerden ihre Fragmente / Mutationen aus. 
Foto: Bangert
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Der Kunstverein in den Werdener Toren lässt es zum Zehnjährigen amtlich krachen

Kunstwerden erfindet sich stets neu, entdeckt immer andere Aspekte von Kultur: Bildende Kunst, Theater, Musik, die Liste ist unendlich. Kunstwerden feiert Zehnjähriges, feiert sich selbst. Der Verein in den Werdener Toren tut das stilsicher mit einer spannenden Ausstellung.

Auch der Kulturdezernent der Stadt ist zur Eröffnung mit Vernissage und aussagekräftiger Performance eingeladen. Andreas Bomheuer hat zwar einen eng gestrickten Terminkalender, als nächstes steht ein Event auf Zollverein an. Doch bevor er im Essener Norden die große Bühne aufsucht, nimmt sich Bomheuer bewusst die Zeit für einen Abstecher in den Süden: „Ich bekomme unzählige Einladungen, aber diese wollte ich unbedingt wahrnehmen. Solche Orte sind genauso wichtig für das kulturelle Leben der Stadt wie Theater oder Philharmonie. Hier ist ein Hort der Kreativität, ein ganz erfreulicher Impuls. Diese Initiativen sind das Salz in der Suppe.“

Muskuläres und Monetäres
Kultur im Vorort. Der Dezernent sieht hier die Keimzellen des „Kulturschaffens“. Andreas Bomheuer hat sich selbst mit Kunst produktiv beschäftigt, weiß daher aus eigener Erfahrung, wie eminent wichtig solche Treffpunkte sind, um Netzwerke zu spinnen und zu pflegen: „Diese Begegnungen vor Ort sind enorm wertvoll, aber mit Geld nicht zu bezahlen. Hier wird Gemeinschaft gelebt.“ Kunstwerden sei weitgehend ohne öffentliche Förderung entstanden, mache sich nicht von Großsponsoren abhängig. Vereinsvorsitzender Frank R. Brügma: „Das Muskuläre steht bei uns im Vordergrund, weniger das Monetäre. Alles entstand ohne nennenswerte auswärtige Hilfe. Wir wollten diesen Status unbedingt behalten und unabhängig bleiben. Wir sind zwar erst zehn Jahre alt, bewegen uns aber auf erwachsenem Niveau. Toll, dass Sie unsere bescheidenen Räume besuchen. Das klopft uns schon irgendwie auf die Schulter.“

Fragmente / Mutationen
Petra Steinhardt stellt die Idee hinter der Doppelausstellung Fragmente / Mutationen vor: „Sie passt zu unserem Jubiläum. Über Karl Walter Sprungala lernten wir Jo Magrean kennen, der Wunsch einer Exposition drängte sich förmlich auf. Aber Jo mochte nicht alleine, sondern etwas mit Mariko Saito entwickeln. Wir sehen: Es geht gut zusammen. Die Klammern sind, wie schon im Titel benannt, die Mutationen und Fragmente, die die in Paris und Aachen lebenden Künstler hier vorstellen. Was passiert, wenn Fotografien massiven materiellen Interventionen ausgesetzt werden? Wenn sie so zum Ausgangspunkt für neue Bildwerke werden? Zwei mögliche und erfrischend unterschiedliche Antworten finden Saito und Magrean in dieser packenden Doppelschau. Zwei Standpunkte. Der eine fotografischer und der andere eher freier künstlerischer Art. Beide Positionen sehr konträr zu unserer Vorstellung von strukturieren Bildinhalten.“

Zerfressene Bilder
Jo Magrean hat die Großen vor der Kamera gehabt: Depardieu, Chabrol, Gaultier, die Bardot. Natürlich präsentiert er auch mit der Serie „Liquid Ends“ sorgfältige fotografische Abzüge. Doch hier kommen die Chemikalien ins Spiel, die ursprünglich zur Entwicklung der jeweiligen Fotografie dienten. Sie haben regelrecht die Emulsion der Filmenden „zerfressen“ und bis zur teilweisen Auflösung und Überlagerung des Bildes geführt. Jo Magrean zeigt so eben nicht nur sein beachtliches Können, sondern auch einen intensiven einfühlsamen Blick. Die fragmentierten Fotos sind Unikate, auf Polapan-Film geprintet von Michel Granon, in dessen Pariser Laboratoire im 14.ten. Ein köstliches Detail die Adresse in der Rue Daguerre.

Eigene Bilderwelten
Mariko Saito verließ mit 22 Jahren ihre japanische Heimat. Sie zeichnet, seit sie klein ist, schafft eigene Bilderwelten. Ihre Bilder haben einen einzigartigen Stil, skizzenhaft unbekümmert, auch die Technik ist außergewöhnlich. Bei „Layers of Reminiscence“ sind es alte Portraits, auch Hochzeitsfotos, bearbeitet mit Übermalungen, Collagen, Tuschezeichnungen. Die so zerrissenen und neu geschichteten Bestandteile entwickeln ein Eigenleben, hier werden Augen zu Bäuchen, Haare zu Nasen, Wangen zu Beinen. Bei aller Ernsthaftigkeit kommen Humor und Augenzwinkern nicht zu kurz. Mit einer Performance erobert sich Mariko Saito die noch jungfräuliche weiße Leinwand. Magrean hat die filmische Basis gelegt, Wort- und Musikfetzen, dazu liest Karl Walter Sprungala. Bis zum 23. Juni ist die Ausstellung „Fragmente / Mutationen“ an der Ruhrtalstraße zu sehen.

Freche Texte und rauer Charme
Brügma und seine engagierten Mitstreiter enden aber nicht mit diesem interessanten Nachmittag. Zunächst spielt Songwriter Clemens Moldenhauer mit der Gitarre auf, bietet Bekanntes und Neues. Die Stimmung steigt, ein wenig verspätet entern „Die Planeten“ die kunstwerden.bühne und drehen den Lautstärkeregler voll auf. Der Bass wummert, übrigens Velvet Underground-like von Damenhand gezupft, die Gitarren klirren, das Schlagzeug treibt nach vorne. Die Essener Band lässt es so richtig amtlich krachen. Das sind rotzige Liebeslieder wie „Bring mich um“ und „Limoncello“, mit frechen Texten und rauem Charme. Das erinnert an Annette Humpe und ihr Ideal, dazu ein Spritzer Nina Hagen, es gibt auch beinharten Punk oder ein brillantes Cover von „Heatwave“. Hier heißt es „Feuer und Flamme“ und animiert zum Mitsingen. Als Zugabe etwas von Kraftwerk: „Er ist ein Model und sieht gut aus…“ Wow. Bei der Aftershow-Party legt DJ Marque Beutel auf. Es wird spät, eine mehr als gelungene Fête. Frank R. Brügma hatte es genau so angekündigt: „Zehnjähriges. Ein schöner Anlass, mal etwas geballt auf den Punkt zu bringen und auch zu feiern.“

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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