Herbert Grönemeyer: „Zeit, dass sich was dreht“

Herbert Grönemeyer besuchte klammheimlich am vergangenen Samstag die Premiere des Musicals "Step up for Life" im Jugendzentrum Essen-Werden.
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Herbert Grönemeyer (fast) inkognito im Jugendzentrum Werden

ESSEN-WERDEN. Die stille Nebenstraße Wesselswerth in Werden am letzten Samstag-Nachmittag – plötzlich ertönt lauter Gesang: ein paar Anwohner und Passanten stutzen, trauen ihren Augen kaum: Der Mann, der da lauthals mit den Kindern fröhlich singt, diese unverkennbare Stimme, das ist doch, wieso, das gibt´s doch nicht? Herbie?

Stimmt, es war Herbert Grönemeyer, live und (fast) „undercover“, der hier mit seinen Schützlingen für uns den Hit von 2006 anstimmt, mitten in Werden vor dem Jugendzentrum. Der Text jetzt auf die Flüchtlings-Situation gemünzt: „Zeit, dass sich was dreht !“. Wir sprachen exklusiv mit dem Star – und den Kindern, wozu das Ganze dient. Und sein 10 Jahre alter Titel bekam einen aktuellen, politischen Sinn.

Die singenden Kinder aus meist fremden Landen waren Teil einer ganz besonderen „Sommerakademie“. Die in den letzten drei Wochen wie anderswo in Deutschland auch hier in der Jugendherberge auf dem Pastoratsberg 31 Schülerinnen und Schüler zusammenbrachte. Und Samstag hatten sie dann Generalprobe und Uraufführung ihres selbst erarbeiteten Musicals „Step up for Life“, vor ihrem berühmten Schirmherrn im Publikum. Der Tage vorher auf dem Berg mit ihnen und den Machern eine Pressekonferenz gegeben hatte. Bei der aber fast alle Reporter nur was zu „Herbie“ fragten. Und deswegen kam er nun ganz heimlich am Samstag und unangekündigt zur Premiere.

Der internationale Star aus London, der auf Tour ganze Stadien füllt und Papparazzi hasst, fast inkognito in Werden? „Ich wollt den Kindern nicht die Schau stehlen!“, sagt er glaubwürdig bescheiden.

„Deine Stärken, Deine Zukunft“ heißt das Motto der Sommerakademie. Alle 31 jungen Teilnehmer haben Rechnen gepaukt, ihre Lesefähigkeit gestärkt, Sport getrieben, viel über sich und ihr Leben nachgedacht. Aber eben auch gemeinsam in der Musical-Gruppe Spaß gehabt. Und fast nebenbei lernten sie Bewerbungsschreiben aufsetzen und wie man bei Bewerbungsgesprächen punkten kann.

Ganz nach dem Motto: „Deine Stärken, Deine Zukunft.“

Dass ein Herbert Grönemeyer als langjähriger Bühnen-Vollprofi, ausgebildeter Schauspieler („Das Boot“) und erfahren im Erzeugen gefühlvoller Momente, „emotional nicht leicht zu knacken“ ist, scheint auf der Hand zu liegen. Aber: hier, wenige Meter vom Essener Jugendknast entfernt, dessen Schild er gleich entdeckt, hier am Nebeneingang vom Bürger- und Jugendzentrum Wesselswerth 10, angesichts dieser begeisterten Kids aus vieler Herren Länder, die da mit einer unglaublich positiven Power seinem alten Lied „Es wird Zeit, dass sich was dreht“ schmetternd mit ihm zusammen neuen Drive geben: Da, genau da, mitten auf der Straße, hat es auch den musikalischen Spiritus Rector des Ganzen “voll erwischt“. Wie er uns gerne zugab. Und nicht nur ihn: Diese Kids haben wie für ihr Leben gesungen, getanzt und gespielt. Manche hatten vorher noch nie im Chor gesungen, geschweige denn die Jungs in Kostümen getanzt oder geschauspielert. Einige sind aus Kulturen zu uns gekommen, die ihnen all das sogar verbieten!

Was drei Wochen - weg von ihrem Alltag (der einer Flüchtlingswohngruppe oder vom komplizierten Elternhaus) - bewirken können, war am letzten Juli-Samstag eindrucksvoll zu erleben. Sängerin Joanne Bell (bekannt durch ihren unglaublichen Alten-Chor „Heaven can wait“ auf youtube) und Choreografin Saskia Kiselow haben aus den verunsicherten, ungelenken Jugendlichen eine beeindruckende Show-Truppe geschmiedet. Die im Moment wohl alles anpacken kann - und will. Riesen-Applaus im vollbesetzten Saal schon beim ersten Durchlauf. Und dann: Lob vom Meister!

Agata und Charleen aus der 10 Klasse sind noch richtig aufgewühlt vom Applaus: Morgen werden sie schon von ihren neuen Freunden Abschied nehmen und wieder nach Hause fahren. Aber sie werden Kontakt halten, auch zu ihren Mentoren. Und beide Mädchen haben durch die Berufskunde hier vielleicht erreichbare Job-Ziele für sich entwickelt. Sie möchten beide eine Kinderkrankenpflege-Ausbildung machen. Und wenn möglich anschließend Hebamme werden. Zeit, dass sich was dreht.

Wie sie zur Sommerakademie gekommen sind?

In ihrer Düsseldorfer Schule hatte man dafür geworben. Und ihre Lehrer haben die Beiden darin bestärkt, es zu versuchen. Ihr Fazit: „Es war anstrengend und zum Teil auch hart, aber wir haben viel gelernt. Und wir werden weiter lernen. Weil wir nur dann etwas Gutes aus unserem Leben machen können.“ Hamza aus Syrien, der zu Herbert Grönemeyers Verblüffung in fünf Monaten so gut Deutsch gelernt hat, dass er schon Gedichte (und Liedtexte !) schreibt, weiß auch schon, was er werden will: aufklärerischer Journalist.

So unbeschwert gesungen und getanzt hat Hamza zuletzt in Syrien, aber das – „war vor dem Krieg“. Herbert Grönemeyer konnte er da gar nicht kennen. Das gemeinsame Lied berührt ihn tief und Hamza singt es mit erschütternder Inbrunst. Dass Schüler sich bei ihren Lehrern bedanken, ist ja noch nicht ganz aus der Mode gekommen: „Doch was hier zurückkommt, das ist schon was ganz Besonderes.“ , sagt schnell Maren Voßhagen-Zehnder anstelle des kurz mal sprachlosen Pop-Stars. Als Projektleiterin der Akademie wird sie Kontakt halten zu ihren Schützlingen.

Entwickelt wurde all das von Prof. Dr. Kurt Czerwenka (72), selbst einst „Flüchtlingskind aus Böhmen“. Auch er hat erlebt, wie schlimme Vorurteile das eigene Selbstwertgefühl beschädigen können. Früher, schon als Hauptschullehrer hat er sich darüber geärgert, wenn sich die Kleinen gegenseitig als „Sonderschüler“ beschimpft haben. Und die Sonderschüler wiederum sich viel schlimmere Beschimpfungen an den Kopf geworfen haben. Czerwenka hat einst die erste Ganztagsschule im bayrischen (!) Franken geleitet, in einem der ersten „offiziellen sozialen Brennpunkte“ überhaupt. Und so manches ärgert den emeritierten Prof der Uni Lüneburg bis heute.

Seine Erfahrung aus Jahrzehnten Praxis:

„Gegenseitiger Respekt, klare Strukturen, eine Erziehung und Wissensvermittlung, die individuelle Stärken der Schüler fördert, nur das führt zum Erfolg.“. Als Therapeut waren ihm auch immer die Ursachen für schulische Fehlentwicklungen wichtig, dass auch die Eltern einbezogen wurden.

Dieser ganzheitliche Ansatz hat Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesanstalten für Arbeit und Migration überzeugt. Schon seit dem Entstehungsjahr von Herbies Drehzeit-Song 2006 erhalten die Czerwenka-Akademien Förderung von dort. Weise hat auch schon persönlich teilgenommen und selbst Bewerbungsgespräche mit Jugendlichen geführt. Jetzt am Samstag in Werden beim Singen mit Herbie, da hat er was verpasst.

Der auch im Unruhestand engagierte Prof. Czerwenka berät und begleitet „seine Sommerakademien“ weiter, zu Recht stolz auf die Ergebnisse. Und weil gezielte Förderung mit diesen ausgewählten, besonders geeigneten Mentoren nicht ohne zusätzliche Finanzierung möglich ist, kümmert sich der Professor auch darum. Nicht alle können wie Grönemyer aus purem Engagement tätig sein. Für das Projekt hier in Werden mit den 31 Youngsters aus Düsseldorf konnte die Stiftung eines Telefon-Anbieters dort als Sponsor gewonnen werden.

Eine weitere Sommer-Akademie, die mit Kindern aus Essen, lief zeitgleich im Teutoburger Wald, andere in Oberbayern und anderswo. Aber: Ohne Herbert Grönemeyer, den hatten nur wir exklusiv in Essen-Werden. Er ist froh, dass er den Schirmherr gegeben hat und ein wenig motivieren konnte, sagt er. Ein wenig? Das klang aber ganz anders beim Singen mit den Kindern auf der Straße vor dem Jugendknast; Herbie. Ja, Zeit, dass sich mehr als ein wenig dreht. (cd)

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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