Die Gedanken sind frei
Wie ein syrisch-deutscher Konzertabend dem Schrecken des Krieges mit schierer Überlebensfreude trotzt
„Es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.“ Eines der wichtigsten deutschen Volkslieder, interpretiert von einem syrischen Pianisten und Sänger.
„Die Gedanken sind frei“ hat Aeham Ahmad bereits mit Joachim Gauck gesungen: „Ein großer Präsident. Nicht so wie unserer.“ Ein Statement für Demokratie, Menschenrechte und Frieden. Selten hat man einen Appell an die Menschlichkeit derart entspannt, swingend und groovend vernommen. Die Pianisten hauen mächtig in die Tasten, Bass und Schlagzeug treiben sie weiter nach vorn. Buchhändler Thomas Schmitz lernte Ahmad auf der Buchmesse kennen und lud ihn zu sich nach Werden ein. Und wirklich, im Abteistädtchen ist nun Auftakt der Deutschlandtournee, im Gepäck die CD „Keys to friendship“. Der Titel ihres ersten gemeinsamen Albums ist ein Wortspiel mit Schlüsseln / Tasten zur Freundschaft, bietet neun Stücke, die auf deutschen und syrischen Liedern basieren.
„Pianist aus den Trümmern“
Aus diesem Werk spielen das Edgar Knecht Trio und sein syrischer Freund im Forum des Mariengymnasiums. Aeham Ahmad wuchs im Damaszener Stadtteil Muḫayyam al-Yarmūk auf, eigentlich ein riesiges palästinensisches Flüchtlingslager. Als die Truppen Assads und der Islamische Staat um al-Yarmūk kämpften, stellte sich der Pianist auf seine Art dem Terror. Zog sein Klavier auf einem Karren durch die zerbombten Straßen und spielte für die wenigen noch Gebliebenen, vor allem für Kinder. Videos dieser Auftritte wurden weltweit in sozialen Netzwerken geteilt. Über die vom Krieg zerstörte Heimat erzählt sein im Fischer-Verlag erschienenes Buch „Und die Vögel werden singen“. Mit Musik trotzte Ahmad dem Krieg, bis der IS ihn 2015 aufspürte und sein Klavier verbrannte. Er musste fliehen, über die Balkanroute. Fand mit seiner Frau und den zwei Söhnen in Deutschland ein neues Zuhause. Als „Pianist aus den Trümmern“ ist er inzwischen berühmt geworden, ein gefragter Musiker. Die Begegnung mit Edgar Knecht wirbelte sein Leben endgültig durcheinander. Pianist Knecht ist bekannt für jazzige Interpretationen deutscher Volkslieder: „Hier haben sich die Erfahrungen der Menschen gesammelt. Das ist ein Schatz an Emotionen.“ Ein Beispiel das nachdenkliche und anrührende „Es ist ein Schnitter, der heißt Tod“ aus dem 30-jährigen Krieg. Ahmad brachte die Lieder seiner kriegsumtosten Heimat mit. Völlig verschiedene Kulturkreise mit sehr eigenen musikalischen Wurzeln. Warum soll das nicht passen? So entstand eine befruchtende Symbiose, die in ein spannendes Projekt mündete.
Frage-Antwort-Spiel
Grundlage der Ballade „Tiefe Wasser“ etwa war „Es waren zwei Königskinder“, der Text wurde auf Arabisch übersetzt. Im „Song with no name” singt sich Ahmad die Seele aus dem Leib. Das Konzert bietet einen Spannungsbogen mit ruhigen Passagen, die sich in impulsiven Eruptionen auflösen. Oft hat es einen Latino-Einschlag, besonders mitreißend die Passagen, in denen Knecht und Ahmad sich ein geradezu clowneskes Frage-Antwort-Spiel ihrer Pianos liefern. Es folgt ein Solo mit energischem Anschlag, perlenden Läufen und verspielten Trillern. Ergreifend. Woher nur holt dieser Mensch angesichts des Horrors so positive Lieder her? Ahmad widmet das Lied „Yarmouk misses you“ den Kindern von Ost-Ghouta. Er hält sich die Hand vor den Mund, der Gesang erstickt. „Fog en nachel“ ist ein richtiges Brett. Tobias Schulte flippt am Schlagzeug völlig aus. Verabschiedet wird das restlos begeisterte Publikum mit einem Gutenachtlied. Die Melodie von „Schlaf, Kindlein, schlaf“ hat schon die Mutter in Syrien gesungen. Aeham Ahmad setzt sich zu Edgar Knecht, umarmt den Freund. Der Saal ist gerührt.
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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