Sandra Hüller im Kinofilm "Zwei zu Eins"
Das Chaos ist aufgebraucht, es war die beste Zeit !
Alles war möglich im Sommer 1990. Und wenn man dann noch plötzlich einen ganzen Untertage-Schacht voller altem DDR-Geld findet, offiziell eigentlich zum Verrotten eingelagert – ja dann, explodierten in den Ossies 1990 die Ideen. Und Träume wurden wahr, aus dem Komplex-Lager in Halberstadt wurde eine Groteske in Alberstadt.
Wertlose Scheinchen zu „Gold“ machen:
Regisseurin Natja Brunckhorst hat mit ihrer „durch die Bank“ einfach nur großartigen deutschen Schauspieler-Auswahl eine wunderbar anarchische Geschichte entwickelt, die den Wahnsinn der deutschen Wiedervereinigung widerspiegelt, mit all ihren Irrungen und Wirrungen: Menschen wachsen über sich hinaus. Biedere Nachbarn werden zu einfallsreichen Komplizen. Und finden Möglichkeiten, aus den eigentlich ja wertlosen Scheinen möglichst unauffällig doch noch „Gold“ zu machen, Wessies übers Ohr zu hauen. Und die vergehenden Scheinchen z.B. in Waren einzutauschen. Und die wiederum gegen Westmark zu verscheuern: statt kapitalistischem Ware-Geld-Ware nun Geld-Ware-Geld, Marx reziprok sozusagen. („Karl, was ist aus der Sache mit dem Sozialismus eigentlich geworden?“)
Star-Parade:
Ein Fest für alle, bei Anfrage schnell zusagenden Schauspieler, allen voran Sandra Hüller als eine „Maren“, die sich einfach seit Kindertagen nicht zwischen ihrem Robert (Max Riemelt) und ihrem Volker (Ronald Zehrfeld) entscheiden kann. Oder will. Das gilt auch umgekehrt. Die drei sitzen plötzlich in einem riesigen Haufen „Kohle“ und so etwas erlebt man nur einmal im Leben - Geld macht eben doch erstmal glücklich, selbst „DDR-Moark“. Herrlich absurde Szenen ergeben sich, wenn der Irrsinn erst einmal von allen Besitz ergriffen hat. Die grandiose Ursula Werner als Nachbarin, die ihre besonderen Fähigkeiten der klassisch-sozialistischen Haushaltsführung nun im Wort-Sinne als Geldwäscherin und Geld-Wächterin gleichermassen ausleben kann. Peter Kurth, als Onkel „Marke“ ist eigentlich in jeder Theater- wie Kamera-Rolle ein Gewinn. So wie Sandra Hüller, die in Bochum im Schauspielhaus live eher auf die großen tragischen Rollen á la „Hamlet“ oder (dort auch noch im Programm: ihr „Würgeengel“) abonniert ist. Sie zaubert fast angelegentlich - und für deutsches Schauspiel ungewohnt leicht - eine Charakterstudie ihrer Rolle Maren, die niemand so schnell vergessen kann. Gleich zu Beginn, im übervollen Flur des Arbeitsamtes, legt sie - als ihre Nummer aufgerufen wird - gänzlich unbemerkt von den wartenden Flur-Sitzern, einen von hinten gesehen umwerfend leichten, betörenden Marilyn-Monroe-Abgang hin, ein klitzekleiner goldener Hüftschwung-Ausblick in die Zukunft.
Queen of Cannes and Hollywood:
Nach einer für die Thüringerin unglaublichen Film-Saison 2023/24 mit gleichzeitig zwei Welterfolgs-Filmen: „Zone of Interest“ (Regie: Jonathan Glazer) und „Anatomie eines Falles“ (Regie: Justine Triet) war Hüller eigentlich für alle internationalen Preise von der Goldenen Palme bis zum Oscar nomiert. Für „Anatomie eines Falles“ wurde sie mit dem höchsten französischen Filmpreis „César“ als beste Schauspielerin ausgezeichnet, eine Deutsche! Und konnte dafür (und damit schon zum zweiten Mal nach „Toni Erdmann“) auch den Europäischen Filmpreis abräumen!
Und vielleicht war es für „La Hüller“ nach soviel internationalem Ruhm und Ehre ein willkommener Ausgleich mal eine „Dramödie“ (Mischung aus Drama und Komödie) über die alte Heimat zu drehen. Und das auch noch mit fast dem besten Aufgebot, was Deutschland an tollen Kollegen zu bieten hat! Zur NRW Premiere in die Essener Lichtburg konnte auch sie leider nicht persönlich kommen: die für Flüchtlinge Engagierte taufte ein gespendetes Seenot-Rettungsschiff im Mittelmeer. Was ihr bei all dem beruflichen Erfolg hoch anzurechnen ist.
„Großes Kino“ im größten Kino Deutschlands:
Drehbuchautorin und Regisseurin Natja Brunckhorst - terminiert ins Sommerloch von ihrem urlaubenden Ensemble hier allein gelassen - hatte immerhin einen kleinen Video-Gruß von Ronald Zehrfeld dabei und machte den spürbaren Mangel an leibhaftigen Stars durch viele Komplimente an das Lichtburg-Publikum wett: „Ein volles Kino! Ein volles Kino!!!“. Wieder einmal hatte ein Verleih aus der Berliner Blase das Ruhrgebiet samt Publikum ebenso falsch eingeschätzt wie das Interesse hier an Thema und Stars und - prompt diesen wichtigen deutschen Film falsch ins Sommerloch (Devise: „eh egal“) termindisponiert.
Auch zu anderen Zeiten und auch anderswo ist heute ein volles Premieren-Kino - auch kleinere wie Berlins Zoopalast (West) oder International (Ost) - nicht mehr selbstverständlich. Und wenn es sich um eines der ältesten, schönsten und seit 1927 auch größten Kinos Deutschlands mit 1250 Sitzen handelt – korrigiert das einmal mehr den Eindruck des angeblich provinziellen Reviers.
Brunckhorst wurde bei der Premiere in Essen nicht müde, ihr Ensemble zu Recht zu loben und ihre Dankbarkeit für das Engagement jedes einzelnen Beteiligten hervorzuheben.
Doch auch ihre, durch das Endergebnis ihres Kinofilms sichtbaren Fähigkeiten als Regisseurin und ihr feines Inszenierungs-Gespür für urkomische Mikro-Reaktionen der gelernten DDRler zueinander in den Nahaufnahmen sind gut erkennbar. Auch das im eigenen Drehbuch gestrickte Einfangen immer absurder werdender Verwicklungen beim Verteilen und Umrubeln der ehemals volkseigenen Scheinchen, gelingt ihr wirklich außergewöhnlich gut. Die bis in den fertigen Film dreieinhalb Jahrzehnte danach bei aller Spielfreude immer auch mitschwingende Melancholie der damals oft ja grade erst geborenen Mitwirkenden über die verpassten Chancen auf allen Ebenen der Wiedervereinigung erdet aber alles auch auf besondere Weise: So kann z.B. der großartige Komiker Martin Brambach wirklich zutiefst erschüttern, als er erkennen muss, wie sehr die angeblich sozialistische DDR-Regierung gerade ihre naiv „system-treuesten“ Arbeiter verarscht hat.
Die sensible Casterin Susanne Ritter hat wirkmächtige Besetzungs-Perlen ermöglicht:
So wie Olli Dittrich als Haustür-Verkäufer für Westwaren, der noch bis zum Ende der offiziellen Umtauschfrist in drei Tagen das alte Ostgeld nimmt. Allerdings nicht zum politisch gewährten Kohl-Umtauschwert von „Zwei zu Eins“ sondern zum längst realen von „Sieben zu Eins“. Was die Umrubel-Sache erst richtig ins Rollen bringt!
Brunckhorst hat für ihr Drehbuch eine reale Geschichte aufgegriffen:
Und sie in den Details aufs Liebevollste weitergesponnen. Das alte DDR-Geld hat sie mit offizieller Erlaubnis komplett im Umfang von 1,3 Millionen in allen Schein-Varianten - wie´s scheint leicht verkleinert - als Filmgeld neu drucken lassen. Und da bei X-Films kein Förder-Euro verschwendet wird, werden die Scheinchen nun als Werbemittel auch bei der NRW-Premiere wieder unters Kinovolk gewirbelt... gemäß der Devise der regionalen NRW-Filmstiftung: “Cash is back“.
Natjas schlichte Bitte zum Abspann:
„Wenn Euch der Film gefallen hat, dann sagt es weiter.“ Was hiermit geschehen soll, gern bevor er nach deutscher Förderlogik einst „ins Fernsehen“ kommt. Und dank der - ebenso gern von documenta über Theater bis Film dilettierenden - Kultur-Staatssekretärin Roth wird es für die verdient Filmpreis-Verdächtigen unter diesen Schauspielern kein Preisgeld mehr geben – nicht mal welches von der Bank der Tätärä.
Vielleicht kann ich trösten: Ich hab mir vom Boden der Lichtburg ein paar Tausender in die Handtasche geschaufelt, Kurs heute: Null zu Eins. Tja, SED – so sieht´s aus. (PS: Die Chaos-Überschrift ist übrigens ein Zitat von Bertolt Brecht). cd
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.