Nach Kleinhirninfarkt: Johannes Beese kämpft sich zurück ins Leben
Johannes Beese steht mitten im Leben, als ihn der Schlag trifft: Die Karriere als Architekt ist eingeschlagen, in seiner Freizeit ist der 33-Jährige ein leidenschaftlicher Globetrotter und Bergsteiger. Ein Kleinhirninfarkt ändert alles. „In meinem Leben wurde die Reset-Taste gedrückt“, resümiert Beese, der selbst elementarste Bewegungsabläufe neu erlernen musste. Eine bemerkenswerte Ausstellung erzählt von seinem Kampf zurück in die Selbstständigkeit.
Neun Jahre ist es jetzt her, dass sich Johannes Beese wie „im falschen Film“ wähnte. Er ist auf dem Weg zur Arbeit, da verengt sich plötzlich sein Sichtfeld, er verliert das Gleichgewicht, übergibt sich und klappt einfach zusammen. Eine Basilaristhrombose verursacht einen Kleinhirninfarkt – was Beese erst erfährt, nachdem er aus einem mehrwöchigen künstlichen Koma erwacht. Dass er überhaupt wieder erwacht, bezeichnet er als „Schweineglück“. Die Sterblichkeitsrate bei derartigen Schicksalsschlägen ist hoch, entscheidend ist eine schnelle Hilfe. Bei Beese ist die Zeit knapp. Passanten glauben zunächst, der junge Mann habe einfach nur einen über den Durst getrunken. Gerade rechtzeitig entdecken die Ärzte den wahren Grund für seinen Zusammenbruch.
Der heute 42-Jährige muss sein Leben von vorne beginnen. Sprechen. Laufen. Überhaupt die Motorik: Der Weg zurück ist beschwerlich. Eine Reha jagt die nächste. Mittlerweile hat Johannes Beese ein Stück Selbstständigkeit wiedererlangt. Die Fortbewegung ist zwar mühsam – und auch das Interview erfordert vollste Konzentration. Aber mit Beharrlichkeit meistert er seinen Alltag. Johannes Beese wohnt sogar in seiner eigenen, barrierefreien Wohnung in Altenessen. „Ein Psychologe hatte meiner Mutter bereits geraten, einen Heimplatz zu organisieren“, berichtet er mit einer gewissen Genugtuung.
Kraft geben Freunde und Familie - und die Kunst
Dass Beese soweit angekommen ist, führt der Lebenskünstler auf die äußeren Umstände zurück: „Es hat alles gepasst.“ Familie und Freunde, der Trainer, der Beese einst „triezte und sich heute triezen lassen muss“, ja selbst das Gesundheitssystem, das der Rekonvaleszent als das beste der Welt bezeichnet – sie alle sorgten dafür, das Beese nie „seinen Biss und seinen Humor“ verlor. Auch sein guter Fitnesszustand vor dem Infarkt, den der 42-Jährige rückblickend nur „das Ereignis“ nennt, erleichterte die Rehabilitation. Was ihm aber besonders viel Kraft gibt, ist die Kunst.
Als Architekt besaß Johannes Beese schon immer ein Auge fürs Ästhetische. Auf seinen vielen Reisen, die ihn auch nach Amerika und Asien führten („Ich bin gebürtiger Ossi, ich habe meine Reisefreiheit voll ausgekostet!“), nahm er sich viel Zeit, hielt inne und fertigte Zeichnungen von Gebäuden und Naturlandschaften an. Als Beweis präsentiert Beese zwei Skizzenbücher, seine „persönlichen Fotoalben“. Dadurch, dass er die Sehenswürdigkeiten nicht einfach ablichtete, sondern Detail für Detail zu Papier brachte, brannten sie sich ins Gedächtnis ein – diese Erinnerungen konnte ihm der Hirninfarkt nicht nehmen.
Die Liebe zur Architektur ist das, was die zwei Leben des Johannes Beese verbindet. In seinen Beruf wird er wohl nicht mehr zurückkehren. Stattdessen machte er die Kunst, die früher nur „bloßes Beiwerk“ war, zu seinem Lebensinhalt. Sie ist Entspannung und Therapie zugleich.
Die ersten Skizzen nach dem folgenschweren Notfall erinnern eher an Kinder-Krakeleien. Doch mittlerweile besitzen seine Werke etwas wahrlich Künstlerisches. Sind seine Zeichnungen aus früheren Tagen von einer klaren Formalität geprägt, wirken seine aktuellen Bilder deutlich verspielter. Freilich ist das den Störungen in der Bewegungskoordination geschuldet. Aber der Künstler sagt selbst: „Meine Ataxie macht meine Bilder harmonischer.“
Inzwischen zieren die Beese-Bilder Kalenderblätter und Ausstellungen. Eine Auswahl ist bis Mitte April in der Gemeinschaftspraxis Huppertz/Wrubel/Römer/Breitwieser an der Altenessener Straße 442 zu sehen.
Beese blickt ohne Verbitterung auf die Zäsur in seinem Leben
Die Schau trägt den passenden Namen „Zwei Leben und eine kleine Weltreise“ und bietet einen Vorher-Nachher-Vergleich. Hier das Rathaus in Wernigerode, Beeses Geburtsstadt, aus der Zeit vor dem Ereignis, dort das Werdener Rathaus. Hier das Fridericianum in Kassel, Schauplatz der bedeutenden documenta-Kunstausstellung, dort das Brandenburger Tor in Berlin. Doch die Ausstellung zeigt nicht nur Bilder, sie erzählt eine Geschichte, die Mut macht.
Denn Johannes Beese blickt ohne Verbitterung auf die jähe Zäsur vor neun Jahren zurück. „Diese Erfahrung wünsche ich niemandem“, betont der Lebenskünstler zwar. Doch er räumt auch ein: „Dieses Ereignis ermöglichte mir eine Sichtweise, für die ich dankbar bin. Früher hatte ich ein Brett vor dem Kopf. Heute lebe ich mein Leben viel bewusster, ich habe ein Gespür für die wirklich wichtigen Dinge entwickelt.“
Man nimmt Johannes Beese wirklich ab, dass er sich mit seinem Schicksal nicht nur arrangiert hat. Er erntet das Glück, für das er bis heute kämpft. Er nimmt am gesellschaftlichen Leben teil, ist bei Wind und Wetter auf Achse. Geholfen hat ihm ganz sicher der Umzug aus dem hügeligen Werden ins ebenerdige Altenessen. „Hier fühle ich mich gut aufgehoben“, lobt Beese seine neue Heimat. Vor allem der Menschenschlag hat es ihm angetan. „In Altenessen braucht man nur schief gucken, da wird einem geholfen“, schmunzelt Beese. Im Gegenzug revanchiert sich der 42-Jährige mit einem amüsanten Plausch oder einer spannenden Anekdote. Ein bisschen Geduld muss man schon mitbringen, will man sich darauf einlassen. Aber es lohnt sich.
Autor:Patrick Torma aus Essen-Nord |
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