Gewagte Geschichte: 1000 Jahre Frillendorf
Willi Vogt ist ein echtes Frillendorfer Urgestein. Der 84-Jährige hat den viel zitierten Strukturwandel des Ruhrgebietes am Beispiel seines Stadtteils begleitet und mit Hilfe von Fotografien und Zeichnungen stets festgehalten. Die Geschichte des „Dorfes der Freien“ zeichnet Vogt nun in seinem Band „1000 Jahre Frillendorf“ nach.
Die Geschichte seines Stadtteils hat ihn schon immer in den Bann gezogen. Als Inhaber eines Elektrobetriebes an der Ernestinenstraße, den er 31 Jahre lang führte, betreute Willi Vogt ehemalige Bauernhöfe und Zechenanlagen. Gebäude und Bauwerke, die Nachbarn höchstens noch von Fotos her kennen, inspizierte er aus nächster Nähe. Seine Kunden wussten darüber hinaus Spannendes aus der Historie Frillendorfs zu berichten - wertvolle Informationen, die zusammengetragen den Blick auf ein großes Ganzes freilegen. Im Ruhestand dann intensivierte er seine Recherchen: „Es juckte mich, dass noch niemand die Geschichte von Frillendorf niedergeschrieben hatte“, bekennt Willi Vogt. In Archiven fahndete er nach Dokumenten, Frillendorfer aus dem Bekanntenkreis ließen ihm alte Postkarten und Stadtansichten zukommen.
Nach und nach hatte er eine Überblicksgeschichte verfasst - eine Veröffentlichung hatte der Kolpingbruder allerdings nicht im Sinn. „Meine vier Töchter waren aber der Meinung, ich könne das nicht für mich alleine behalten.“ Die Familie unterstützte ihn schließlich bei der Suche nach einem geeigneten Verlag.
Das Ergebnis ist ein 96-seitiger Band mit dem Titel „1000 Jahre Frillendorf. Vrylingthorpe - Dorf der Freien.“ Die Überschrift mag ein wenig verwundern, stammt die früheste urkundliche Erwähnung Frillendorf alias Vrylingthorpe doch aus dem Jahr 1220. „1000 Jahre Frillendorf klingen natürlich besser als 791 Jahre“, gibt Schwiegersohn Josef Burek, der sich mit um die „Vermarktung“ des Buches kümmert, zu. Doch der Titel ist kein bloßer Marketingkniff: 1220 bestand die Ortschaft aus sieben Bauernhöfen, da diese vermutlich nicht von einem Tag auf den anderen errichtet wurden, kommt Willi Vogt zu dem Schluss, dass das Dorf der Freien älter sein muss: „Der Nünninghof gehörte den Äbtissinnen. Sie waren bestimmt nicht nur an den landwirtschaftlichen Erzeugnissen interessiert - sie besaßen hoheitliche Ansprüche.“ Eine These, die gewagt, aber nicht abwegig ist. Bestätigung fand der Stadtteilhistoriker im Stadtarchiv. „Dort wurde mir gesagt, dass dies eine zulässige Schlussfolgerung ist“, berichtet er. Einzig der Beleg fehlt - möglich, dass er dem Großbrand in Essen 946, wie viele andere Dokumente auch, zum Opfer gefallen ist.
Dokumentiert ist dagegen die Entwicklung Frillendorfs von einer ländlichen Gegend zu einem industriellen Standort: Lebten 90 Menschen um 1800 in der Bauernschaft, wurden ein Jahrhundert später 4.000 Einwohner gezählt. Zu dieser Zeit gehörte Frillendorf zur Bürgermeisterei Stoppenberg, die Zeche Königin Elisabeth war da schon 50 Jahre im Betrieb. Das Wachstum setzte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fort, eine entscheidende Prägung erhielt das Stadtteilbild mit den Bauten des Architekten Edmund Körner: Die Kirche des Heiligen Schutzengels und der Wasserturm an der Ernestinenstraße sind klassische Beispiele des Backsteinexpressionismus und stehen heute unter Denkmalschutz.
Mit dem Zechensterben ging es auch mit Frillendorf bergab. Auch wenn Willi Vogt gerne in der einstigen „Gartenstadt“ lebt, spricht er die Verfehlungen der letzten Jahre offen an. So muss der Stadtteil bis heute ohne Ortskern auskommen. „In den 60er Jahren gab es Pläne, einen zentralen Platz neben dem Friedhof zu schaffen. Aber die Politik ließ die Chance verstreichen.“ Der Bau der A40 hat das Dorf der Freien dann entzweit - die geplante Verlegung der Anschlussstelle Frillendorf birgt zumindest die Hoffnung auf eine Verkehrsberuhigung. „Es ist nicht der schönste Stadtteil Essens“, resümiert Schwiegersohn Burek. Der Autor Willi Vogt schweigt. So hart geht er mit seiner Heimat dann doch nicht ins Gericht. Fotos: Gohl
Ab sofort erhältlich:
„1000 Jahre Frillendorf“ von Willi Vogt ist in der „Damals Reihe“ des Verlages Europäische Bibliothek erschienen. Der Band umfasst 96 Seiten, dabei verzichtet der Autor weitestgehend auf Fotos. Stattdessen veröffentlicht er eine Vielzahl von Zeichnungen, die Vogt in seiner Freizeit selbst anfertigt. Illustratorischer Höhepunkt ist ein Panorama des alten Frillendorfs, das mit Hilfe alter Fotografien entstanden ist. Das Buch ist ab sofort in ausgewählten Geschäften in Frillendorf oder aber bei Willi Vogt selbst (Informationen unter der Rufnummer 210213) erhältlich. Gerade erst hat der 84-Jährige eine zweite Auflage geordert.
Autor:Patrick Torma aus Essen-Nord |
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