Durch Tauben zum Wohlstand - der Traum des Ruhrgebiets
Zugegeben, die goldenen Zeiten des Taubensports sind schon einige Jahre her. Doch wer sich näher mit den kleinen Athleten beschäftigt stößt auf ein faszinierendes Hobby, das besonders im Ruhrgebiet nicht mehr wegzudenken ist.
Joachim Skrzypczak ist familiär vorbelastet: Sein Vater, ein erfolgreicher Taubenzüchter aus Wattenscheid, nahm mit seinen Schützlingen regelmäßig an Wettkämpfen in der Region teil. Dabei scheute er auch nicht, tief in die Tasche zu greifen, um hohe Startgelder zu zahlen. Doch zum Erstaunen der Familie brachte er regelmäßig auch ebenso hohe Gewinne wieder nach Hause. Als Joachim Skrzypczak dann selbst den Taubenschlag seines Vaters einmal genauer unter die Lupe nahm, hieß es nur: „Kinder gehören nicht in diesen Stall.“
In Sun City lockt das große Geld
Doch die Leidenschaft für die kleinen Tiere war geweckt. Deshalb durfte er schließlich doch in einem früheren Kaninchenstall seine ersten Tauben versorgen. Später legte er sich schon früh einen eigenen Taubenschlag zu. Dabei ist es jedoch nicht geblieben: Mehr als 100 Tauben bevölkern inzwischen eine Anlage, die er in seinem Garten baute. Außerdem ist er Vorsitzender des Stoppenberger Brieftaubenvereins Eilbote. Dort trifft man sich regelmäßig und tauscht sich über die Erfahrungen in der Zucht aus. „Jeder hat sein eigenes System in der Zucht“, eröffnet er und berichtet, dass heutzutage viele Tauben in einer sogenannten Witwerschaft streng nach Geschlechtern getrennt leben. Dadurch sollen Brutphasen verhindert werden – denn diese stören den Sportbetrieb.
Vergangenes Jahr konnte dabei zwei Mitglieder des Eilboten, Werner Loos und Peter Haas, in Südafrika einen großen Erfolg erzielen. Denn auch Essener Taubenzüchter konnten einen ihrer jungen Schützlinge ans andere Ende der Welt schicken. Die noch flugunfähigen Tauben durften dabei nicht älter als vier Wochen sein, damit sie vor Ort trainiert werden konnten. In Sun City, oft das Las Vegas Afrikas genannt, schaffte es Werner Loos' Taube Schalke 04, den zweiten Platz zu erkämpfen. Mit einer Gewinnsumme von 120.000 Dollar war auch die hohe Startgebühr schnell vergessen.
Der Taubensport entstand als Ausgleich zum Bergmannsleben
Doch warum gibt es ausgerechnet im Ruhrgebiet so viele Anhänger dieses Sports? „Er entstand als Ausgleich zum Bergmannsleben“, berichtet Joachim Skrzypczak und öffnet die Tür zum Taubenschlag, an der ein hölzernes Schild angebracht ist. „Durch Tauben zum Wohlstand“, kann man in alter Schrift lesen. Ein weiterer Grund für die Popularität des Taubensports sei die Nähe zu Belgien, dem Geburtsland dieser Sportart. Mit Blick auf die Zukunft, sagt er und schaut prüfend in den wolkenlosen Himmel, bereite ihm jedoch weniger der fehlende Nachwuchs, sondern die immer häufigeren Attacken von Raubvögeln Grund zur Sorge.
Doch das Taubenzüchten ist auch ohne diese ständige Gefahr aufwendig: Wer eine Taube trainieren möchte, sollte sie zunächst in etwa fünf Kilometer Entfernung frei lassen. Nur wer sie davor gut versorgt habe, könne damit rechnen, sie im heimischen Taubenschlag wieder begrüßen zu dürfen. „Dann steigert man die Entfernung langsam auf 20 und 40 Kilometer“, so Joachim Skrzypczak. Wenn man bei 200 Kilometern angelangt sei, könne man mit ihr um Preisgelder kämpfen. Auch beim Futter der kleinen Athleten wird nichts dem Zufall überlassen: „Jeder Taubenzüchter hat seine eigene Mischung“, berichtet er und erklärt, dass die Körnermischung die richtig Fett- und Proteinmenge haben müsse.
Außerdem steht auch hier die Gesundheit und Sicherheit an oberster Stelle. Zweimal im Jahr sollte man die Tauben impfen lassen. Bei schlechtem Wetter sollte der Flug besser gleich abgesagt werden, sagt Joachim Skrzypczak. Wenn die äußeren Umstände stimmen, könne man zusammen mit dem regionalen Verband der „Reisevereinigung Gelsenkirchen“, die Tauben mit einem speziellen Lastwagen, dem Kabinenexpress, wegfahren lassen und am Heimatschlag auf die Rückkehr warten. Dabei gehe es jedoch heutzutage nicht mehr um das große Geld, sondern vor allem um die Ehre, berichtet er. „Nicht der Siegesgedanke, sondern der Spaß steht im Vordergrund.“
"Ich kann die Hälfte meiner Tiere unterscheiden"
Dabei ist die Konkurrenz groß. Selbst in seiner eigen Familie liefert sich Joachim Skrzypczak mit seinem Enkel, Leon Graw, Wettkämpfe mit den Tauben. Nachdem dieser schon zur Einschulung seinen ersten Taubenschlag erhielt, besitzt er mittlerweile auch einen zweiten mit fast 20 Tauben. Er hat sich auf weiße Tauben spezialisiert. Zum Startpunkt des Trainings eigne sich der Halloberg, der unweit des Welterbes Zollverein gelegen ist.
Doch eine Frage bleibt: Ist es überhaupt möglich die Tauben auseinanderzuhalten? „Ich kann die Hälfte meiner Tiere unterscheiden“, berichtet Joachim Skrzypczak lachend. Neben kleinen Unterschieden am Schnabel könne man das Tier oft auch an seinen individuellen Bewegungen erkennen. Im Zweifel helfe natürlich aber auch ein Blick auf den kleinen Ring, den jede Taube am Fuß trägt.
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Fotos: Gohl
Autor:Johannes Gläser aus Essen-Nord |
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