RWE bleibt wer! Rückschau auf 40 Jahre RWE und Nord Anzeiger
Rot-Weiss Essen in der ersten Liga? Lang ist‘s her. Nord Anzeiger-Redakteure der ersten Stunde könnten sich an jene Zeiten noch erinnern. Als die Premierenausgabe die Druckerpresse verließ, da akklimatisierte sich der Deutsche Meister von 1955 gerade im Fußball-Oberhaus.
Dieser Rückblick erscheint in der Jubiläumsausgabe 40 Jahre Nord Anzeiger!
Mit 4:12 Punkten war der Traditionsklub in die Aufstiegssaison 1973/74 gestartet. Die Tage von Trainer Horst Witzler waren gezählt. Unter Diethelm Ferner gelang die Trendwende: RWE blieb drin, und das für drei weitere Spielzeiten. Es sind bis heute die letzten geblieben.
Die Geschichte der vergangenen 40 Jahre ist geprägt von Licht und Schatten. Wobei die Schatten in der jüngeren Vergangenheit immer länger wurden. Fragt man Fans, dann sehen sie einen Verein, der vom Potenzial her in der 2. Bundesliga spielen müsste. Bestätigung gibt es von außerhalb: Alte Weggefährten, Gästetrainer und andere Experten sind sich nach Stippvisiten an der Hafenstraße einig: „Rot-Weiss Essen hat in den Fußballniederungen nichts zu suchen.“ Die Größe der Stadt Essen, das Umfeld mit potenziellen Geldgebern aus der Wirtschaft, der Zuschauerzuspruch, der Mythos Hafenstraße – das Faustpfand ist groß. Nur: Solange dieses Pfand nicht eingelöst wird, steht man mit leeren Händen da. Anspruch und Wirklichkeit klafften an der Hafenstraße oft weit auseinander.
Fakt ist: Ein Jahr nach der besten Bundesliga-Platzierung (Rang acht) rutschte RWE in die Zweitklassigkeit ab. 16 Jahre zweite Liga sind in vier Dekaden Nord Anzeiger verbürgt. Zweimal war die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Beletage zum Greifen nah: 1978 scheiterte RWE in den Entscheidungsspielen knapp am 1. FC Nürnberg (0:1 und 2:2), zwei Jahre später am Karlsruher SC.
Das Rückspiel gegen die Badener war für viele RWE-Fans eine Initialzündung. Wer damals noch kein glühender Anhänger war, der war es spätestens nach jenen 90 Minuten – obwohl das Happy End ausblieb. Die Karlsruher hatten vor heimischem Publikum ein 5:1 hingelegt. Der Sack war eigentlich zu. Doch die Rot-Weißen schöpften ausgerechnet aus badischem Wein neuen Mut. Nach einem Abstecher auf dem Weinfest in Steinbach lugte Trainer Rolf Schafstall aus dem fest verschnürten Sack hervor: „Wir haben den Ärger ganz schön herunter gespült, und heute Morgen gegen halb vier hatten wir das Rückspiel mit 6:1 gewonnen“, tönte der Trainerfuchs im Aktuellen Sportstudio.
Wer hinter dieser Aussage Rolf Schafstalls Restalkohol vermutete, muss sich am 13. Juni 1980 reichlich verkatert vorgekommen sein: Angestachelt von der Kulisse im Georg-Melches-Stadion raubten die Essener den KSC-
Kickern die Luft zum Atmen. Bereits nach einer Minute lag RWE in Front. 18 Minuten vor Schluss führte das Team um Frank Mill und Willi Lippens mit 3:0. Ein Tor, und das 5:1 wäre egalisiert gewesen. Aller drückenden Überlegenheit zum Trotz wollte der vierte Treffer nicht fallen. Zumindest nicht auf der richtigen Seite.
3:1 gegen Karlsruhe
ist ein Schlüsselerlebnis
Das 3:1 gegen den KSC ist Bestandteil des Mythos Hafenstraße. Und gleichzeitig wohl der Katalysator der rot-weißen Leidensfähigkeit. Von diesem Moment an gehörten Nehmerqualitäten zum Grundstock eines jeden Fans. Denn Rot-Weiss schaffte es nicht mehr, an der Pforte zum Oberhaus anzuklopfen und driftete in den Folgejahren in die unteren Tabellenregionen, zwischenzeitlich sogar in die Oberliga Nordrhein, ab.
Sportlich war der Klub aber nicht kleinzukriegen. Nachdem Wiederaufstieg hielt sich RWE fünf weitere Jahre in der zweiten Liga. Zweimal knapp, aber immerhin: Erst der Lizenzentzug 1991 zwang den Verein in die Knie. RWE stand wieder auf: Zunächst mit der Amateurmeisterschaft 1992, ein Jahr später mit dem Wiederaufstieg in Liga zwei. Ein Gewaltakt, der nicht mit rechten Dingen zu erklären war. Der DFB warf den Rot-Weiss-Verantwortlichen eine „hinterlistige Täuschung“ im Lizenzverfahren vor und zeigte erneut den Daumen nach unten.
Der Verein blickte aber noch einmal nach oben: Unvergessen ist die DFB-Pokalfahrt nach Berlin 1994. Die Fans feierten die 1:3-Finalniederlage gegen Bremen wie einen Sieg. Ein Rausch in schwerer Stunde, ganz nach dem Leitspruch: „RWE war wer! RWE ist wer! RWE bleibt wer!“
Dieses Selbstbewusstsein wurde seitdem auf eine harte Probe gestellt. Der Klub spielte nur noch zweimal in der zweiten Bundesliga. Über 20 Spielzeiten in der Dritt- bis Fünftklassigkeit kratzen massiv am Image des schlummernden Riesen.
Tiefschläge wie der Durchmarsch in die Oberliga, die verpasste Qualifikation zur eingleisigen dritten Liga, die Insolvenz 2011 seien an dieser Stelle nur kurz angerissen. Der Verein spielt heute Regionalliga-Fußball – und das in einem beinahe für nicht mehr möglich gehaltenen, neuen Stadion. Weshalb die Messlatte wieder ein Stückchen höher liegt.
Eine Hafenstraße ohne Ansprüche ist eben undenkbar. Mit der Vereinsführung um Michael Welling verfügt RWE aber über Menschen, die selbst ein gesundes Anspruchsdenken mitbringen. Nur diesmal sollen die Ziele mit ehrlicher und harter Arbeit erreicht werden. Und nicht mit Hilfe eines dubiosen Finanz-Dopings.
Das Chaos ist nicht
mehr selbstgemacht
RWE ist auf einem guten Weg, insbesondere was die Außendarstellung betrifft. Der Verein bemüht sich um das erdige Image eines Malocherklubs mit sozialer Verantwortung in der Stadt. Das Chaos lässt die Roten zwar nicht los: Für Rohrbrüche und Aussetzer vermeintlicher Fans kann die Vereinsführung herzlich wenig.
Es besteht die leise Hoffnung, dass die Rückschau in zehn Jahren mit einem umjubelteren Fazit endet.
Autor:Patrick Torma aus Essen-Nord |
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