Jahreshauptversammlung bei RWE: Angriff auf die Großen
Der Abschied aus Ruinen ist besiegelt, die neue Saison steht unter dem Motto „Alte Heimat - neue Bude“. Die entscheidende Frage auf der Jahreshauptversammlung am Sonntag im Cinemaxx: Werden es Verein und Fans gemeinsam schaffen, den Mythos Hafenstraße zu transferieren? Damit die Eingewöhnung im neuen Stadion nicht allzu schwer fällt, half Losfee Viola Odenbrecht nach: Die Gegner im DFB-Pokal bleiben die alten.
Am Samstag dürften viele RWE-Fans aufgestöhnt haben: Wie schon in der ersten Hauptrunde der vergangenen Pokalsaison müssen die Bergeborbecker 2012/13 erneut gegen Zweitligist Union Berlin ran. Kein Premiumlos für das erste Pflichtspiel im neuen Stadion. Für Michael Welling ist das kein Beinbruch: „Union? Können wir!“ Ohnehin verbreitete der RWE-Vorstandschef während der fast fünfstündigen Sitzung eine Menge Optimismus.
Kein Wunder: Der Verein hat die Talsohle Insolvenz erfolgreich durchschritten. Wir haben einen Gewinnüberschuss von 16,85 Millionen Euro erzielt: ein Rekordergebnis!“, schmunzelt Welling angesichts des immensen Schuldenerlasses. Tatsächlich steht nach der abgelaufenen Spielzeit ein Überschuss von 382.000 Euro zu Buche. RWE schreibt wieder schwarze Zahlen.
Und das soll auch so bleiben, entgegen allen Unkenrufen, die neue Investitionen einfordern. „Nicht mehr Geld ausgeben, als man erwirtschaftet“, lautet das Credo. Der Lizenzantrag ist „konservativ“ ausgefüllt, die Özil-Gelder liegen als Sicherheit für die Gläubiger auf einem Treu-Hand-Konto.
Und doch leitet RWE das „Projekt 3“ ein. Hinter diesem Arbeitstitel verbirgt sich das ehrgeizige Ziel, sich zur dritten Fußballkraft aufzuschwingen, hinter Dortmund und Schalke. Sportlich ist das natürlich, Stand heute, utopisch, auch wenn die RWE-Junioren aller Altersklassen inzwischen wieder in den höchsten Ligen spielen. Die ersten Mannschaften von Bochum und Duisburg sind den Essenern jedoch zwei Klassen voraus. In Sachen verkaufte Dauerkarten, Mitgliederzahlen und Facebook-Freunde liegen die beiden Revierklubs allerdings in Schlagdistanz. „Langfristig ist dieser Verein nicht aufzuhalten“, ist Welling sicher. Fotos: Gohl
So verlief die Jahreshauptversammlung:
Ehrungen:
Zu Beginn der Versammlung ehrt der Ehrenratsvorsitzende Walther Müggenburg langjährige Vereinsmitglieder.
Für 65 Jahre RWE geehrt werden Hans Georg Wehner und Walter Schädlich. Rolf Weimann und Jahrhundertelf-Torhüter Fritz Herkenrath sind 60 Jahre im Verein. Der 82-jährige Herkenrath kann die Ehrung aber nicht persönlich entgegen nehmen: Er feiert diamantene Hochzeit. 55 Jahre ist Lothar Selzner im Verein, das halbe Jahrhundert voll machen Karl-Heinz Bruchhage, Jürgen Grundheber und Erwin Petereit. 15 Mitglieder werden für ihre 40-jährige Mitgliedschaft geehrt, darunter ein weiterer Jahrhundertspieler: Dirk Helmig. André Fabritz, der jahrelang Videoaufzeichnung für die Trainingsanalyse anfertigt und Zusammenfassungen der aktuellen RWE-Spiele auf YouTube zur Verfügung stellt, wird – wie einige andere auch – nun im Club der 25-Jährigen aufgenommen.
Stadionneubau:
Das neue Stadion an der Hafenstraße wird die „dominierende Übergröße“ der kommenden Spielzeit. Man müsse sich der Stadt gegenüber dankbar zeigen, konstatiert Michael Welling. Schließlich sei der Neubau für die weitere „wirtschaftliche Gesundung und die künftige Wettbewerbsfähigkeit“ grundlegend. Vieles verändere sich, bei einem ist sich der RWE-Boss allerdings sicher: „Der Mythos Hafenstraße wird durch die Fans ins neue Stadion transferiert, da wird mir gar nicht bange.“
Der Vorstandsvorsitzende baut auf den Nachfragesog: So rechnet er mit neuen Gästen bzw. Rückkehrern. „Und wir werden wohl eine neue Gästestruktur erfahren“, glaubt Welling im Hinblick auf die „schönsten Frauentoiletten Essens.“ Generell dürften Fans eine neue „Dienstleistungsqualität“ erwarten, darunter ein neues Bezahlsystem, das aber wohl erst für die Saison 2013/14 installiert wird. Der Umzug der Geschäftsstelle ist für September/Oktober angedacht.
Wie bekannt ist, geht die neue Arena zunächst mit drei Tribünen an den Start – „damit die Eingewöhnung nicht allzu schwer fällt“, wie Welling scherzt. Die Tribünen werden vorerst nach August Gottschalk (West), Helmut Rahn (Nord) und Willi „Ente“ Lippens benannt. Zur Saison 2013/14 spielt RWE erstmals wieder vor vier heimischen Rängen. Die Osttribüne wird zur „Alten Westkurve“.
Der Stadionname wird durch die GVE (Grundstücksverwaltung Essen) vermarktet. Da Michael Welling Einbußen bei den Werbeeinnahmen durch die Premiumsponsoren angekündigt, liegt der Verdacht nahe, dass tatsächlich die RWE AG als Namensgeber im Gespräch ist.
Ansonsten besitzt RWE als Ankermieter das vollumfängliche Vermarktungsrecht. Nach intensiven Gesprächen mit der GVE, in denen man sich auch „angefetzt“ habe, ist klar: RWE zahlt einen variablen Pachtzins, der sich in etwa bei 10 Prozent der Bezugsumsatzgröße einpendelt. „Geht es uns gut, zahlen wir mehr. Geht es uns schlecht, dann eben weniger“, erläutert Welling. Einnahmen, die im Jugendbereich (durch Sponsoring) oder durch Spenden erzielt werden, bleiben unangetastet.
Erhalt von Flutlicht/der Haupttribüne/der Vereinsgaststätte:
Laut Michael Welling prüfe die GVE die Möglichkeit des Erhalts eines Flutlichtmastes. „Das Ergebnis lässt nicht vorhersagen. Aktuell würde ich mich nicht darauf verlassen.“ Die Initiative für den Erhalt der Haupttribüne muss dagegen einen herben Rückschlag einstecken. Auch wenn sich der Denkmalschutz noch nicht offiziell geäußert habe, berichtet Initiativen-Sprecher Jörg Lawrenz, so gebe es doch deutliche Anzeichen, dass die Behörde zu einem negativen Urteil komme. Ähnlich äußert sich Michael Welling zu einem möglichen Standort einer Vereinsgaststätte: „Stand heute gibt es auf dem Stadiongelände keinen Platz für eine Vereinsgaststätte. Und ich sehe keine Möglichkeit vom Himmel fallen.“
Stadioneröffnung:
Michael Welling versucht die Wogen, die im Rahmen der Planungen aufbrandeten, zu glätten. Die RWE-Jugend (sofern es der Spielplan erlaubt, die U19 mit ihrem ersten Bundesligaspiel) wird das erste Spiel bestreiten, zum Einlauf der Mannschaften wird als erstes „Adiolé“ erklingen. „Wir werden das Ding entern“, kündigt Welling an.
Forscher gibt sich der ehemalige Stadtdirektor und RWE-Aufsichtsratsvorsitzende, Christian Hülsmann: „Bei aller Dankbarkeit für die 28 Millionen, die die Stadt aufwendet - wir müssen nicht im Büßergewand durch die Straßen ziehen.“ Er erinnert an die vielen Ausgaben, die in der Kultur oder im Breitensport getätigt wurden. „Diese tollen Fans haben sich diese Investition verdient, sie waren endlich mal an der Reihe.“
Und weiter: „Das Gerede vom Stadion für Essen ist eine überzogene Rechtfertigungsfloskel, die meiner Meinung nach gar nicht nötig ist. Ein Verein mit durchschnittlich fast 7000 Zuschauern ist nun mal nicht irgendwer.“ Aber einen Boykott der Eröffnungsveranstaltung halte er falsch: „Die Fans sollen stattdessen zeigen, wer der Herr im Haus ist.“ Hülsmann verrät zudem, dass die SG Schönebeck aus Solidarität in Erwägung gezogen habe, den FFC Frankfurt („den FC Bayern des Frauenfußballs“) wieder auszuladen.
Projekt 3:
„Wir werden den Weg, den wir eingeschlagen haben, weiter gehen. Wir wollen aber auch neue Perspektiven aufzeigen“, kündigt Welling an. Die Jugenden befänden sich da, wo man sie haben wollte – in den höchsten Spielklassen nämlich. Projekt 3, das heißt: Mittelfristig soll RWE in die dritte Liga, darüber hinaus aber auch – man höre und staune – zur dritten Fußballkraft im Ruhrgebiet aufsteigen, hinter Dortmund und Schalke. Vorerst ist dieser Kraftakt auf die Bereiche Dauerkarten, Mitgliederzahlen und Facebook-Freunde bezogen. „Das können wir schaffen“, meint Michael Welling und präsentiert einige Zahlen. Beispielsweise die Mitgliederzahl des VfL Bochum. Der Reviernachbar zählt derzeit rund 4.500 Mitglieder, Rot-Weiss Essen steht aktuell bei 3.584 Mitgliedern – und die Aktion „Willi will wetten“, die bislang für einen 15-prozentigen Anstieg der Mitgliederzahl gesorgt hat, ist noch nicht ausgelaufen. Das Potenzial, das im Essener Umfeld schlummere, sei ein „richtiges Pfund, mit dem man bei Sponsoren punkten“, könne.
Bei allen Ambitionen: Das Mantra bei Rot-Weiss Essen lautet weiterhin: „Der wirtschaftliche Rahmen bestimmt die sportliche Zielsetzung.“ Ein Rückfall in alte Zeiten, in denen Wunschträume entsprechende Investitionen nach sich zogen, die sollen an der Hafenstraße weiter der Vergangenheit angehören.
Finanzen:
Das Geschäftsjahr 2011 erstreckte sich über zwei Spielzeiten. In der Saison 2010/11 steckte der Verein noch in der Insolvenz, die Saison 2011/12 wurde mit einem Gewinnüberschuss von 16.872.000 zu Ende gebracht – was dem gewaltigen Schuldenerlass durch die Gläubiger geschuldet ist. Der tatsächliche Überschuss – dank zweier DFB-Pokalrunden - betrug 382.000 Euro.
Zum 31.12.2011 besaß Rot-Weiss Essen ein Kapital von 672.000 Euro, das Bankguthaben betrug 1.185.000 Euro
Für das laufende Geschäftsjahr rechnet Michael Welling weiter mit schwarzen Zahlen, er stimmt aber auch auf niedrigere Gewinne ein. So rechnet er mit sinkenden TV-Einnahmen durch die Regionalliga-Reform (ab 2012/13 übernehmen die Regionalverbände die Regionalligen vom DFB). Auch spricht Welling das „unsichere Ausgabenniveau“ an: „Wir können die Kosten für den Spielbetrieb noch nicht hundertprozentig einschätzen.“ Durch den Umzug der Geschäftsstelle und des Fanshops fallen „Einmalinvestitionen“ an, die es ebenfalls noch genau zu beziffern gilt.
Dem eingereichten Lizenzantrag liegt ein Schnitt von 6.000 Kaufkarten pro Spiel zugrunde (Welling: „Ich persönlich glaube, dass das mehr sein werden“), und das bei einem gleichbleibenden Preisniveau der Tickets. Die Werbeeinahmen werde der Verein „in etwa halten können“. Leichte Einbußen bei den Top 5-Sponsoren (siehe Namensrechte) würden durch Verträge mit kleineren Partnern aufgefangen. Positiv festhalten zu ist: 2008 betrug der Anteil der kleinen Partner am Werbeetat nur 30 Prozent, 2012 liegt er bei 52 Prozent. Die Abhängigkeit von großen Geldgebern wurde verringert.
Die Grundgehälter der ersten Mannschaften wurden „leicht erhöht“. Auch das erweiterte Trainerteam, bestehend aus Co-Trainer Robin Krüger (U17), Torwarttrainer Gregor Pogorzelczyk (zuletzt AS Eupen, Belgien) und Konditionstrainer Marcus Wedau, schlägt hier zu Buche. Im Lizenzantrag sind Prämien für 55 Punkte eingeplant. Zur Erinnerung: In der abgelaufenen Saison holten die Essener 52 Zähler. „Wir zahlen gerne mehr“, kokettiert der RWE-Geschäftsführer. Insgesamt rechnet RWE mit Kosten für den Spielbetrieb in Höhe von rund einer Million Euro.
Der Etat für die Jugend wurde dagegen stark erhöht (von 400.000 auf 575.000 Euro), nicht zuletzt der Aufstieg der U19 verursacht höhere Kosten. Welling stellt zudem weitere personelle und infrastruktuelle Investitionen in Aussicht. Mittelfristiges Ziel ist der Aufbau eines Jugendleistungszentrums, das Bundesligaansprüchen genügt. Denn aktuell gebe es keine Handhabe, B-Jugendliche vertraglich an den Verein zu binden. „Im A-Junioren Spiel zwischen Schalke und Gladbach standen sechs Spieler auf dem Platz, die ihre Ausbildung an der Hafenstraße genossen haben“, erinnert Welling.
Ehrenrat:
Mannschaftsarzt Dr. Rudolf Eiling wird für den verstorbenen Johannes Wittka in den Ehrenrat berufen, Dr. Bernd Schmalhausen nach seiner Berufung 2011 nochmals formell bestätigt. Der Bericht des Ehrenrats, der für die Streitschlichtung unter Mitgliedern zuständig ist, fällt kurz aus. Vorsitzender Walther Müggenburg: „Es gab keine Probleme. Alle Mitglieder haben pünktlich gezahlt.“
Mitgliedsbeiträge:
Michael Welling beantragt eine Anpassung der Mitgliedsbeiträge, die so von den Mitgliedern abgesegnet wird. Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren zahlen ab 2013 nur noch 5 Euro pro Jahr (statt 18 Euro), Kinder im Alter von 6 bis 13 15 Euro (statt 18 Euro). Jugendliche und junge Erwachsene sparen immerhin 3 Euro (30 statt 33 Euro). Die volle Mitgliedschaft kostet 75 Euro (statt 66 Euro). Studenten, Auszubildende und Sozialhilfeempfänger zahlen den Satz für die 14- bis 25-Jährigen. Ein Rabatt wird Exilmitgliedern gewährt: RWE-Fans außerhalb NRWs zahlen 19,07 Prozent, Anhänger außerhalb Deutschlands sogar 50 Prozent weniger. Die Aufnahmegebühr von 6 Euro entfällt künftig. Neumitglieder, die sich im Zuge der Aktion „Willi will wetten“ angemeldet haben, aber nicht mit der Beitragsanpassung einverstanden sind, dürfen ohne die übliche Mindestmitgliedschaft von zwei Jahren wieder austreten.
Welling betont: „Ziel ist nicht die Erhöhung des Beitragsaufkommens.“ Vielmehr wolle man die Altersstruktur der Mitglieder verjüngen. „Also macht Kinder und meldet sie bei RWE an!“
Ehrenmitglieder:
„Mit Blick auf die Ehrenmitglieder werde ich traurig“, gesteht Welling. Bislang in die RWE-„Hall of Fame“ aufgenommen wurden: Der ehemalige Bürgermeister Wilhelm Nieswandt, Manfred Sander, Paul Nikelski und Pelé. Ehrenvorsitzende sind Heinrich und Georg Melches sowie Ernst Ruhkamp. Ohne Einwände werden die Pokalmannschaft von 1953 und die Meisterelf von 1955 aufgenommen. Zusätzlich Willi Vordenbäumen, stellvertretend für die Spieler, die in jenen Jahren zwar im Kader standen, aber in den Finalspielen nicht aufliefen. Vordenbäumen musste in beiden Partien verletzungsbedingt passen. Auf Initiative eines Mitgliedes ernennt das Plenum auch den ehemaligen Präsidenten Kurt Roetger zum Ehrenmitglied.
Fan- und Förderabteilung:
Wie auf der vergangenen Mitgliederversammlung beschlossen, hat eine Arbeitsgruppe das Gerüst für eine Fan- und Förderabteilung erarbeitet, welches nun in der Vereinssatzung verankert wird. Diese Abteilung soll als wichtiges Bindeglied zwischen Verein und Anhängerschaft fungieren. Nachdem die Formalitäten erledigt sind, müssen die Fans dieses Gerüst mit Leben füllen.
Autor:Patrick Torma aus Essen-Nord |
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