Das war der Norden 2010!
Das Jahr 2010 ist nun (fast) Geschichte. Grund für uns, einmal auf die großen Themen zurückzublicken, über die im Norden geredet wurde.
Kultur für Jedermann
2010, das ist - ganz klar - in erster Linie das Kulturhauptstadtjahr. Die wichtigste Frage im Vorfeld: Und was hat der Bürger von der Chose? In der Tat gibt es die eine oder andere krude Veranstaltung, die schnell noch unter den Deckmantel von Ruhr.2010 schlüpfen darf.
Doch all die Sorgen sind unbegründet. Schneeschippen auf Zollverein (Auftakt und Ausklang), Stau auf der A 40 (Still-Leben), Singen im Stadion (Day of Song) - damit kann sich selbst der letzte Kulturbanause identifizieren. Die Großereignisse sind gut für die Außendarstellung, die Bilder gehen um die Welt. Noch sympathischer sind jedoch die Aktionen vor Ort in den Stadtteilen. Ob SchachtZeichen, Kleingartenfest oder Ruhrpott Revue: Bürger, Vereine, Geschäftsleute und Politik; sie alle ziehen an einem Strang. Hans-Willi Zwiehoff, Bürgermeister im Bezirk V, macht ein „gesteigertes Wir-Gefühl“ im Norden aus. Das kann man getrost so unterschreiben.
Müll und andere Alltäglichkeiten
Hiervon bleibt der Norden auch 2010 nicht verschont: Für Aufsehen sorgt ein TV-Bericht über die Geschäftspraktiken der in Karnap ansässigen Dela GmbH. Die ist eigentlich auf die Verwertung von quecksilberhaltigen Leuchtstoffröhren spezialisiert, zwischenzeitlich lagert aber auch radioaktives Material an der Alten Landstraße. „Alles in Ordnung“, heißt es von Seiten der Bundesbehörden, da es sich hierbei - na, klar - um Überreste natürlich vorkommender Strahlung handelt.
Nur ein paar Meter weiter plant die Deutsche Annington den Bau neuer Familienhäuser - in direkter Nähe zum Schlammfeld, das als hochgradig kontaminiert gilt. Aber auch hier verkommt der Sturm der Entrüstung schnell zu einem lauen Lüftchen.
Der Vogel wird definitiv an der Schurenbach abgeschossen: Hier werden viele Tonnen Erdaushub illegal entsorgt, ein RVR-Mitarbeiter ist eingeweiht. Der Schaden ist jedoch so groß, dass seine Behebung Unsummen verschlingen würde. Also bleibt der Boden - der immerhin zu 90 Prozent unbelastet ist - an Ort und Stelle. Heißt ja schließlich Schurenbach-HALDE...
Dr. Rot und Mr. Weiss
Der Traditionsverein offenbart zwei Gesichter: In der ersten Jahreshälfte machen die Rot-Weissen dort weiter, wo sie 2009 aufgehört hatten. Sportlich kann das Trainerdoppel Aussem/Erkenbrecher den Verein zwar in ruhigere Fahrwasser schiffen. Hinter den Kulissen geht es jedoch hoch her. „Die Lizenz für die kommende Saison ist gesichert“, heißt es, doch mittlerweile ist klar, der Verein hat Dreck in Höhe von 18 Millionen Euro am Stecken.
Der rot-weisse Patient scheint klinisch tot, Neuanfang und Derbys gegen die Ballfreunde Bergeborbeck nicht ausgeschlossen. Doch dann übernimmt Insolvenzverwalter Frank Kebekus die Behandlung, seine finanzielle Mund-zu-Mund-Beatmung und das von Trainer Waldemar Wrobel wiederentdeckte Elixier der Jugend päppeln den Verein wieder auf. Die Fans freut‘s und plötzlich werden sogar die längst verschollen geglaubten Stadionpläne auf den Tisch geholt. Da frohlockt selbst der Oberbürgermeister...
Altenessener Angst-Räume
Der Skandalfilm des Jahres? Ein blutiger Folterstreifen? Der Nachlass von Oswalt Kolle? Nein, eine Dokumentation der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die einen vermeintlichen Ausriss aus dem Schulalltag an der mittlerweile geschlossenen Hauptschule Karnap zeigt. Der Film suggeriert: Gewalt gehört zur Tagesordnung, die Kluft zwischen muslimischen und christlichen Schülern ist unüberwindbar. Im Frühsommer kommt es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen libanesischen Familien am Altenessener Bahnhof, die Teilnehmerzahl schwankt zwischen drei und hundert Personen. Und plötzlich ist ganz Altenessen - befeuert durch entsprechende Artikel in der Presse - ein einziger Angst-Raum. Dass es Probleme gibt, ist zwar unbestritten. Doch während die Politik noch in einer Grundsatzdiskussion steckt, verrät der Blick in andere Großstädte: In Sachen Integration besitzt Essen sogar Vorbildcharakter.
Letzte Messe am Neuhof
Ein bitterer Gang für die Beisener: Zu Jahresbeginn findet im Neuhof der letzte Gottesdienst statt, in der Kirche gehen die Lichter aus. Bis zuletzt protestieren Anwohner und Gemeindemitglieder - vergebens. Die Sparzwänge in der Evangelischen Kirche sind zu groß. Immerhin: Die Gemeinderäume bleiben - wenn auch in einem verkleinerten Umfang - erhalten. Nach einer Sanierung konnten sie kürzlich an die Beisener übergeben werden.
Lennon stirbt...schon wieder
Ein mehrere Meter hohes Wandbild an der Rückseite des Malakowturmes, das John Lennon und andere Persönlichkeiten zeigt, eingeweiht mit einem Konzert mit Bands wie Kreator und das mitten im Kulturhauptstadtjahr - in der Theorie klingt das recht ansprechend. Rechtliche Bedenken bremsen den Enthusiasmus in der Künstlergruppe um Oliver Jordan, dann scheint die Finanzierung auf wackeligen Beinen zu stehen. Zwischenzeitlich werden Anteilsscheine angeboten. Doch um John Lennon zurück ins Leben zu holen, bedarf es doch ein bisschen mehr.
Essens neue Grüne Mitte
Mit dem neuen Uni-Viertel wächst zusammen, was zusammen gehört. Der neue Park soll den Brückenschlag zwischen Innenstadt und Nordviertel ermöglichen. Die Wirtschaftsförderung freut sich schon auf die ersten Nachfolgeinvestition aus der Privatwirtschaft, erst recht nachdem der geplante Bibliothekenturm der Universität einstürzt bevor er überhaupt gebaut geworden ist. Die Bürger erfreuen sich dagegen an dem neuen Fleckchen Grün.Viele schauen es sich von außen an - aus den Blechlawinen auf der Segeroth- und der Gladbecker Straße heraus.
Porno-Kuli aus der Schultüte
Peinlich berührt sind 2010 die Mitglieder der DKP. Zum Schulanfang erfreuen sie die I-Dötzchen mit Schultüten. Darin enthalten: Ein Kugelschreiber mit Taschenlampenfunktion, die sich als Diaprojektion „einer Dame in eindeutig erotischer Darstellung“ entpuppt. Eltern und Pädagogen sind empört, Politiker anderer Lager sorgen für den Spott. Eine Frage geht dabei allerdings unter: Ist es in Ordnung, dass eine politische Partei vor Grundschulen aktiv wird ?
Keine Chance für Prisonland
Die Firma Prison gehört ja normalerweise zur Grundausstattung unseres Jahresrückblickes. Dieses Jahr wurde es etwas ruhig um das ehemalige Olsberggelände - was mitunter daran liegen könnte, dass einige der Protagonisten auf Anordnung der Judikative derzeit verhindert sind. Fest steht nur: Leichte Mädchen und Glücksspiel bleiben der Emscherstraße fern - so wie Krematorien, Ölraffinerien und Vergnüngsparks. Zu diesem Ergebnis kommt die Verwaltung. Dabei hatten wir uns schon auf die Eröffnung von Prisonland gefreut. Adrenalinjunkies wagen eine Achterbahnfahrt durch die Schrottpresse, Familien erleben im Recyclingpark den Weg von der Altware zur Antiquität nach...
Phantom auf Zollverein
Und es gibt ihn doch: Den Scheich Yamani, der im großen Stil auf Zollverein investieren möchte. Die Verträge sind unter Dach und Fach, wie die hiesige Stiftung berichtet, die Designstadt soll in den nächsten Jahren - mit Folkwang-Uni, Hotels und Raum für die Kreativwirtschaft - Form annehmen. Auf dem Gelände nebenan ist man da schon etwas weiter: An der Kokerei entsteht derzeit der neue Firmensitz der RAG Montan Immobilien.
Der Norden feiert
Nächte im Norden sind lang...Die Stadtteilfeiern in Stoppenberg und Altenessen sind Publikumsmagneten, das Zechenfest auf Zollverein ist ebenfalls eine feste Größe. Ob das in absehbarer Zeit auch für das Marktfest in Schonnbeck gilt, das in diesem Jahr Premiere feiert, wird sich zeigen. Mit verschiedenen Mottos lockt auch der Karlsplatz. Ob Weinfest, Ballermann-Party, Western-Spektakel - Altenessen geht hin. Als gut gemeint, aber etwas überambitioniert offenbart sich das Stadtteilfest in Karnap. Drei Tage Festprogramm erscheinen (noch) ein wenig viel. Man muss aber ehrlicherweise sagen: Die deutsche Nationalmannschaft kann nicht anders als die selbsterfüllende Prophezeihung von Orakel Paul hinzunehmen und versaut damit nicht nur den Karnapern die ganz große Sause.
Autor:Patrick Torma aus Essen-Nord |
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