Protest am Zeltdorf: Karnaper Flüchtlinge demonstrieren vor Stinnes-Stadion
Erst vor wenigen Tagen war das Zeltdorf im Karnaper Mathias-Stinnes-Stadion in den Schlagzeilen, weil einer der Bewohner drohte, sich aus Protest über sein Schicksal selbst anzuzünden, am Mittwoch kam es nun zu einer Demo vor der Einrichtung. Protestiert wurde gegen das schleppende Asylverfahren und die fehlende Beschulung der Kinder. Die Stadt Essen kennt die Problematik: Mehr als die Hälfte aller Anträge sind bisher noch nicht einmal in Bearbeitung.
Alles dann eigentlich doch weniger schlimm, als es sich anhört: Mit Plakaten und Kindern bestückt trafen sich am Mittwoch, 6. Januar, knapp 50 Flüchtlinge für einige Stunden vor dem Eingang des Zeltdorfs, Ecke Beisenkampsfurth/Arenbergstraße, um dem Ärger über ihre aktuelle Situation Luft zu machen. Zwar gab es eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, aber „sonst war alles friedlich“, vermeldet die Polizei Essen.
BMAS, BAMF und BÜMA
„Hauptthema ist, dass die fehlenden Verfahren da sind“, erklärt Peter Renzel, Sozialdezernent der Stadt Essen, die Protestaktion. „Darüber hinaus sind aber auch viele mit sehr unrealistischen Erwartungen angekommen, die ihnen von den Schleuserbanden erzählt wurden: Schnelle Asylgenehmigung, schneller Arbeitsplatz, eine schöne Wohnung und ein schneller Familiennachzug“, weiß der Sozialdezernent. „Die jetzige Situation für viel hunderttausende Flüchtlinge ist aber eine andere Realität.“ Kamen sie mit großen Hoffnungen auf Beruf und Zukunftsperspektive nach Deutschland, stehen in Wirklichkeit erst einmal Wochen oder Monate des Wartens in der Notunterkunft auf dem Programm. Das Asylverfahren selbst regelt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Nach erkennungsdienstlicher Erfassung und Registrierung erhalten die Anwärter eine Bescheinigung (BÜMA), die in der Regel einen Aufenthalt von vorerst drei Monaten garantiert. Die tatsächliche Bearbeitung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht danach nur schleppend voran, lediglich zwölf Asylbewerber werden pro Tag vorstellig – ursprünglich geplant waren 65 bis 80. Von aktuell rund 4.000 Essener Anträgen seien deshalb gut 60 Prozent – insgesamt 2.410 – noch nicht einmal begonnen, berichtet Renzel: „Das Bundesamt ist nach wie vor katastrophal aufgestellt und nicht in der Lage, schnell und effektiv die Asylverfahren hier vor Ort einzuleiten bzw. zu bearbeiten. Dass die Menschen, besonders in den Flüchtlingsdörfern, frustiert und unzufrieden sind – ich kann es ihnen nicht verdenken!“
Zweite große Enttäuschung der Flüchtlinge ist, dass einige der Kinder bisher noch keinen Unterricht erhalten. Von den derzeit knapp 113 im Zeltdorf beheimateten Minderjährigen sollen noch 20 auf eine Grundschule, 28 auf weiterführende Institutionen: „Die werden alle einen Schulplatz erhalten“, beruhigt Renzel. Innerhalb von 20 Arbeitstagen muss Kindern und Jugendlichen eigentlich ein Platz zugewiesen werden, weil die Belegung in Karnap aber erst im November begonnen hat, zieht sich das Prozedere. So wurden anfangs bis zu 40 Flüchtlinge pro Tag aufgenommen, hinterher läuft die Meldung im Einwohnermeldeamt. Die Vermittlung kann erst erfolgen, wenn die Meldung durch ist.
Zumindest hier konnte der Runde Tisch Karnap spontan ein zusätzliches Angebot schaffen, ab kommenden Montag findet in den Räumen der Evangelischen Kirche täglich ein Sprachkurs für alle Kinder und Jugendliche von drei bis 18 Jahren statt. Die Universität Duisburg-Essen hat für das Angebot vier Studenten zur Verfügung gestellt. Für die Aktion müssten Evangelische Kirche, Runder Tisch und Uni zwar jährlich rund 20.000 Euro Spenden akquirieren, trotzdem soll der Unterricht vorerst stattfinden.
Nachteulen
Doch nicht nur auf Seiten der Flüchtlinge weicht die anfängliche Euphorie: „Es gibt auch skeptische Bürger, die müssen wir ernst nehmen!“, betont Michael Schwamborn aus dem Moderatorenteam des Runden Tisch Karnap. Erst am Dienstag tagte der Tisch, dabei wurden mehrere Beschwerden von Anwohnern vorgetragen. So fänden sich in den Vorgärten des angrenzenden Beisenkampsfurth vermehrt weiße Becher, eben solche werden als Trinkgefäße im Zeltdorf genutzt. „Wir als Runder Tisch kümmern uns darum“, winkt Schwamborn ab. Die Verantwortlichen haben mit den Zeltdorfbetreibern abgesprochen, dass gemeinsam mit einigen Flüchtlingen zeitnah eine Reinigungsaktion gestartet wird.
Nächster Aufreger sind die spätabendlichen Unternehmungen der Asylbewerber. Dabei sei beobachtet worden, dass einige Nachteulen regelmäßig einen Abstecher zum nahe gelegenen Kiosk machen. Nicht verboten, nur etwas umständlich, weil die Dorfbewohner die Einrichtung sowieso jederzeit verlassen dürfen – wenn auch mit vorheriger Abmeldung beim Wachpersonal.
Letzte Auffälligkeit war, dass entgegen der Ansage, dass im Zeltdorf zu Silvester keine Feuerwerkskörper gezündet werden dürfen, vor dem Gelände geknallt wurde. Tatsächlich sei es zwar in der Einrichtung nicht erlaubt gewesen, direkt davor hätten die Verantwortlichen aber keine Handhabe. Aus dem Ruder gelaufen sei die Silversterfete sowieso nicht.
Gesprächsbedarf
Neben den bestehenden Angeboten plant der Runde Tisch in naher Zukunft sowohl ein Willkommenfest für Bürger und Flüchtlinge sowie eine Bürgerversammlung, um den Anwohnern Ängste und Sorgen zu nehmen. Auf der Versammlung werden neben den Mitgliedern des Runden Tisches auch die Betreiber der Einrichtung am Start sein. Gleichzeitig laden die Verantwortlichen die Anwohner dazu ein, ihre Probleme im Zusammenleben direkt dem Moderatorenteam zu melden: „Es muss enttabuisiert werden!“, fordert Schwamborn. Der Runde Tisch trifft sich regelmäßig an jedem ersten Dienstag des Monats, das nächste Treffen ist am 2. Februar, um 20 Uhr, in der Evangelischen Kirche an der Hattramstraße. Direkten Kontakt gibt’s per E-Mail an refugium.karnap@outlook.de.
Autor:Alexander Müller aus Essen-Borbeck |
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