Nach der Befragung: Patentlösung oder doch nur graue Theorie?
Die eine Diskussion ist kaum ausgefochten, da kündigt sich schon eine weitere an: Können die Handlungsempfehlung der AWO-Befragung und die von der Stadt eingeleiteten Sofortmaßnahmen neue Impulse für Altenessen herbeiwirken? Der Nord Anzeiger stellt Theorie und Praxis gegenüber.
Empfehlung Nr. 1: Das Jugendhilfe-Netzwerk empfiehlt in seinem 68 Seiten dicken Bericht, einen „Stadtteilmanager“ einzustellen, der den Dialog zwischen Bürger, Institution und Interessenvertretern intensivieren und notfalls als Mittler einschreiten kann. Anscheinend arbeiteten die vielen verschiedenen Akteure im Stadtteil zu lange nebenher, was nicht nur Bezirksvertreter Dieter Stodiek vom „Freien Essener Norden“ verwundert: „Ich hatte angenommen, dass der Austausch schon passiert...“
Einen Stadtteilmanager, stellte Kulturdezernent Andreas Bomheuer bereits fest, wird es jedoch nicht geben: „Personell ist das derzeit nicht möglich.“
Empfehlung Nr. 2: Im Hinblick auf den von den Befragten mehrfach geäußerten Wunsch nach mehr Polizeipräsenz, wird im Bericht für eine stärkere Absprache mit der Polizei plädiert. Als Sofortmaßnahme wurde bereits im September die Präsenz der Doppelstreifen von Polizei und Ordnungsamt in Altenessen verdreifacht. „Bislang musste die Streife nur einen Platzverweis aussprechen“, betont Bomheuer. Das heißt allerdings nicht, dass seitdem keine Straftaten registriert wurden. Thomas Spilker (FDP) weist auf einen weiteren Knackpunkt hin: „Die Einsatzzeit der Doppelstreife endet um 21.30 Uhr.“
Empfehlung Nr. 3: Der Einbezug der „Migrantenselbstorganisationen“. Thomas Rüth vom Jugendhilfe fasst das Dilemma zusammen: „Die Deutschen sagen immer: ‚Mit den Ausländern kann man nicht reden‘. Die Ausländer sagen: ‚Wir wollen mal mit Deutschen reden.‘“ So wie die libanesisch geprägte Familienunion, die sich seit längerer Zeit schon um einen intensiven Dialog bemüht. Diesen Bemühungen will die Stadt fortan mehr Aufmerksamkeit schenken.
Empfehlung Nr. 4: Eine verstärkte Jugendarbeit. Zwei „Scouts“ könnten, so schlägt es der Bericht vor, aufsuchende Sozialarbeit verrichten und gezielt auf Jugendliche zu gehen. Da zusätzliches Personal für die Stadt nicht in Frage kommt, will sie dieser Empfehlung durch Umstrukturierungen in den einzelnen Fachämtern nachgehen.
Empfehlung Nr. 5: Fortschreibung des „integrierten Handlungskonzepts der Integration“, entwickelt von Prof. Dr. Horst Bossong für die Arbeit mit Menschen libanesischer Herkunft. „Man muss das Rad nicht immer neu erfinden“, betont Rüth. Städte wie Bremen und Berlin seien sehr an dem Essener Konzept interessiert. Der Fachbereich Jugend und Bildung unter Dezernent Peter Renzel will nun „die Arbeitskapazitäten im Integrationsmanagement in Altenessen“ erhöhen - zu Lasten anderer Stadtteile, versteht sich.
Empfehlung Nr. 6: Bildungs-angebote, insbesondere auch für Eltern, verstärken. Viele soziale Akteure, darunter Familienzentren, Kirchengemeinden und Migrantenverbände, sind in diesem Sektor bereits aktiv. Wie überall auch, gilt hier: Derartige Angebote kosten Geld. Demnach werden die einzelnen Organisationen ihre Kräfte bündeln müssen.
Empfehlung Nr. 7: Die aufenthaltsrechtliche Situation der libanesischen Gemeinschaft verbessern. Ahmad Omeirat von der Familienunion wies schon auf der Sondersitzung des Integrationsbeirates auf dieses Problem hin: „Libanesische Jugendliche dürfen beispielsweise keinen Führerschein machen, sind sozial ausgegrenzt.“ Andreas Bomheuer verspricht, mit der Ausländerbehörde zu sprechen, um Handlungsspielräume auszuloten. Ulrich Engelen vom Jugendamt weist jedoch auf eine Grundsatzdiskussion hin: „Muss jemand Integrationswillen zeigen, um in den Genuss spezieller Förderung zu kommen, oder bieten wir jemandem die Förderung an, in der Hoffnung, dass er Integrationswillen zeigt? Das ist wie mit dem Huhn und dem Ei.“
Empfehlung Nr. 8 und 9: Regelmäßiger Dialog und Quartierskonferenzen. Vorbild ist die Katernberg-Konferenz, in der regelmäßig Bürger, Politiker, Geschäftsleute sowie Stadtplaner zusammen kommen, um über die Zukunft des Stadtteils zu beraten. Insbesondere für den Bereich rund um den Altenessen Bf sei ein regelmäßiger Austausch empfehlenswert.
Bezirksvertreter wie Michael Schwamborn vom EBB nehmen an dieser Stelle die Stadt in der Pflicht: „Sofortmaßnahmen sind schon und gut. Aber was ist mit der städtebaulichen Struktur rund um den Bahnhof? Hier offenbaren sich riesige Versäumnisse.“ Während Bomheuer darauf hinweist, dass die Stadt „nicht die Besitzerin der Grundstücke sei“, ist Thomas Spilker überzeugt: „Die Belebung des Schweinemarktes, der Abbau des Widerlagers, das alles ließe sich relativ schnell bewerkstelligen.“
Empfehlung Nr. 10: Die schnelle Umsetzung der Empfehlungen. „Es muss sich was tun, die Leute haben den Kaffee auf“, berichtet Thomas Rüth. Rund 16 Prozent der Befragten haben ihren Alltag neu ausgerichtet, meiden verschiedene Plätze oder gehen zu bestimmten Tages- bzw. Nachtzeiten nicht mehr allein vor die Tür. „Eine schnelle Umsetzung wäre ein Zeichen für die Altenessener“, so der Sozialarbeiter weiter. In einer Bürgerversammlung am 29. März in der Zeche Carl sollen diese erstmals mit ins Boot genommen werden - bis dahin hat die Stadt Zeit, ihre - zum Teil - vage formulierten Sofortmaßnahmen zu konkretisieren.
Autor:Patrick Torma aus Essen-Nord |
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