Kommunalwahl Essen - Wahlrechtsnachlese - Undemokratische Auswirkungen der Nichtexistenz einer Prozenthürde

Zur letzten Kommunalwahl mussten die Essener Grünen für ihre 10 gewonnen Ratssitze jeweils um die 500 Wählerstimmen mehr aufbieten als z.B. Pro NRW für die beiden Damen ihrer Ratgruppe.
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  • Zur letzten Kommunalwahl mussten die Essener Grünen für ihre 10 gewonnen Ratssitze jeweils um die 500 Wählerstimmen mehr aufbieten als z.B. Pro NRW für die beiden Damen ihrer Ratgruppe.
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Derzeit ist unserer Kommunalwahlrecht in NRW so merkwürdig verschachelt, dass künftig eine niedrige Prozenthürde - z.B. 1,5 - 2% tatsächlich für gerechtere Wahlergebnisse in den Stadt- und Gemeinderäten sorgen würde, die den WählerInnenwillen dann genauer und gerechter repräsentieren kann. Die Essener Grünen haben zur möglichen Wiedereinführung einer Mindestsperrklausel einige Hintergründe und Zahlen zusammengefasst, nach denen eine solche Wahlgesetzänderung keine Ausgrenzung bedeutet, sondern demokratisch geboten erscheint .


Kommunale Fünf-Prozent-Sperrklausel bis 1999 gültig


Bis 1999 galt in NRW für Kommunalwahlen eine 5%-Sperrklausel, die alle Stimmen für Parteien oder örtliche Wählergemeinschaften wegfallen ließ, die diese Hürde nicht überspringen konnten. Die jeweiligen Rats- oder Bezirksvertretungssitze, die diesen kleinen Gruppierungen unter 5% eigentlich per Wählervotum zugestanden hätten, wurden dann im Proporz zwischen den größeren Parteien aufgeteilt, die ein Wahlergebnis von mindestens 5% erreichen konnten. In wesentlichen Teilen war diese Klausel in den vergangenen Jahrzehnten damit ein zusätzliches Machtsicherungsmittel, das hauptsächlich SPD und CDU zugute kam. Diese undemokratisch hohe Sperrklausel wurde von den Grünen, wie auch anderen Gruppen in den 90er Jahren immer scharf kritisiert.


Nichtstun führt zur Nulllösung


Das NRW-Verfassungsgericht fällte nach Klagen schließlich ein Urteil, nachdem diese Hürde hinfällig sei. Die damalige SPD-Landesregierung unternahm allerdings keinerlei Gesetzesinitiativen in dieser Richtung, so dass schließlich per Gerichtsbeschluss jedwede Prozenthürde für diese 99-Wahlen unzulässig wurde. Die zuvor befürchtete Arbeitsbehinderung oder Entschlussunfähigkeit durch zu viele Gruppierungen in den Stadträten war in den ersten Wahlen ohne Prozenthürde jedoch noch nicht eingetreten. Die Wahl fand auch relativ zeitnah zum Urteil statt, so dass auch die Vorbereitungszeit für neue Listen fehlte. Angesichts einer an den letzten Wahlterminen stetig gesunkenen Wahlbeteiligung, oft großräumig deutlich unter 40%, haben in diesem Jahr immer mehr obskure, oft rechte Kleingruppen die Chance genutzt, zumindest ein einzelnes Mandat im Stadtrat zu erobern. So hat sich der Gesamtzahl der ihr Wahlrecht tatsächlich nutzenden EssenerInnen von 229.662 im Jahr 2004, auf 217.254 im Jahr 2009, auf 207.112 im Mai 2014 verringert. Wahlberechtigt wären aber 457.477 Essenerinnen gewesen.


Elferrat ist keine gute Lösung für kommunale Problemfälle


Unter diesen Umständen zeigt die Nichtexistenz einer Prozenthürde seit dem Wegfall der hohen 5%-Hürde bei den NRW-Kommunalwahl in Essen deutliche Auswirkungen: Erstmals sind 11 Parteien im Rat vertreten, so viele wie noch nie. Das bedeutet u.a. auch den explodierenden Anstieg der Gremienkosten für jetzt 7 Fraktionsgeschäftsstellen und 2 Ratsgruppen, die je nach Größe Ansprüche auf Sachmittel- und Personalkosten geltend machen können. Die 2 verbliebenen Einzelvertreter sind da zwar billiger, haben in der alltäglichen Ratsarbeit aber kaum Möglichkeiten, qualifiziert mitzuarbeiten. Für das einzelne Ratsmitglied ist nach Gemeindeordnung nur das Recht verbrieft, in einem der 14 Ratsausschüsse, als beratendes Mitglied ohne Stimmrecht aktiv zu sein.
Für alle diese Minigruppen ist jetzt oft nicht die Anzahl der Wählerstimmen das wichtigste Kriterium, sondern welches der komplizierten mathematischen Systeme der Sitzzuteilung für die nicht direkt in den Stadtrat gewählten Ratsmitglieder gerade gilt: z.B „Hare-Niemeyer“ oder „D`hondt“ oder „Sainte-Laguè“


Sainte Laguè kann nicht alle Sitzzuteilungen heiligen


Beim im Mai 2014 aktuellen Sitzzuteilungsverfahren „Sainte Laguè“ zeigt sich eine deutliche Ungleichheit bei der Verteilung der Sitze, denn die kleinen Parteien brauchen pro Sitz viel weniger Stimmen als die größeren. So bekommt beispielsweise die NPD mit 1.231 Stimmen einen Sitz, die CDU dagegen hat für jeden ihrer 28 Sitze 2.303 Stimmen bekommen. Bei der SPD waren es für 31 Sitze jeweils 2243,7 Wahlstimmen, während die Linke für 5 Sitze nur je 2183,4 Stimmen und , das Essener Bürgerbündnis EBB für 4 Ratsmandate je 2223,5 Wahlstimmen benötigte. Die FDP musste für 3 Ratssitze jeweils 2250 Stimmen zusammenbringen, während die ebenfalls auf 3 Ratssitze kommende rechte AfD dafür 2564,7 WählerInnen benötigte. Die beiden Piraten im Stadtrat wiederum stützen sich jeweils auf 1927,5 WählerInnen und der leicht satirische PARTEI-Ratsherr schafte es noch mit 1545 Stimmen in den Stadtrat. Wenn wir jetzt das Stimmgewicht des braunen politischen Leichtmatrosen der NPD mit der CDU-Ratsfraktion vergleichen, ergibt das rechnerisch den gravierenden Unterschied von 1071,9 Stimmen pro Ratsmandat. Etwas vereinfacht darf man also sagen, der NPD`ler hat sein Mandat schon für etwa die Hälfte der Stimmen bekommen, die die CDU-Ratskollegen in dieser Wahl vorweisen mussten.
Auch die GRÜNEN zählen dabei eher zu den Verlierern: Sie haben mit 2290 Stimmen die dritthöchste Stimmenanzahl pro Sitz, das sind z.B. gut 500 Stimmen mehr als Pro NRW für ihre Sitze gebraucht hat.
Dertige Unterschiede werden auch in Zukunft nicht gänzlich aufzuheben sein, die aktuelle Spannbreite ist aber schwer erträglich.
Dieser Sitzzuteilungsmodus ist nur bedingt demokratisch und schwächt die Maßgabe, das bei einer Wahl jede Stimme gleich zählt, deutlich ab. Außerdem gibt es im Essener Stadtrat zehn Überhangmandate und insgesamt erstmals 91 statt der 81 im Normalfall vorgesehenen Ratsmitglieder, auch ein Kostenfaktor!

Kleinstparteien werden also im derzeitigen Wahlsystem ohne Prozenthürde überdeutlich bevorzugt und die Mehrheitsfindung durch die Vielzahl der Parteien stark erschwert. Aus diesen Gründen halten es die GRÜNEN für richtig, die Wiedereinführung einer niedrigen Prozenthürde von ca. 2% anzustreben. Denn diese Verzerrungen gibt es angesichts des Fehlens jeglicher Sperrklausel in allen Stadt- und Gemeinderäten und insbesondere in den Großstädten NRWs. (mg., ww.,jod.)

Zur letzten Kommunalwahl mussten die Essener Grünen für ihre 10 gewonnen Ratssitze jeweils um die 500 Wählerstimmen mehr aufbieten als z.B. Pro NRW für die beiden Damen ihrer Ratgruppe.
Geheime Einzelabstimmungen im Essener Stadtrat - hier gilt für die Ratsherren und Ratsfrauen tatsächlich "one man/woman one vote" . Die Zusammensetzung des Stadtrats nach der Kommunalwahl ist da erheblich komplizierter zustande gekommen.
Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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