Jetzt Integration? SPD-Ratsherr Reil fordert klare Linie

Kennt die Sorgen der Karnaper Bürger: SPD-Ratsherr Guido Reil. Foto: Müller
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Bis in die bundesweiten Medien schafften SPD-Ratsherr Guido Reil und der Karnaper Ortsverein es auf dem Gipfel der Flüchtlingsdebatte Anfang des Jahres. Ihre These: Der Essener Norden kann so viel Integration nicht leisten. Im Interview mit dem Nord Anzeiger erklärt Reil jetzt, warum Deutschland den Schnitt braucht und wie die Integration funktionieren kann.

Nord Anzeiger: Noch vor zwei Monaten hat die Politik sich zwischen Standorten und Nord-Süd-Debatte zerrieben. Wo stehen wir in der Flüchtlingsfrage?
Guido Reil: Der Kernsatz bleibt „Wir schaffen das!“ Was wollen wir denn da schaffen? Wollen wir die integrieren, wollen wir die wieder zurückschicken? In der Neujahrsansprache hat Kanzlerin Angela Merkel noch gesagt, die Flüchtlinge seien unsere Zukunftsressource. Da hat es sich so angehört, als holen wir alle auf Dauer hierher. Ein paar Wochen später – und nach den Übergriffen in Köln – sagt sie: Wenn der Fluchtgrund behoben ist, sollen sie natürlich zurück! Es gibt dazu eine Aussage von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, die mir sehr gefällt: Lasst alle drin – auch die nicht Anerkannten –, aber macht einen klaren Schnitt! Diese Asylbewerber integrieren wir dann, denen geben wir eine Perspektive. Flüchtlinge mit einer Bleibe-Perspektive verhalten sich viel kooperativer als Flüchtlinge ohne. Die sollen hier zwar nicht alle in Lederhosen rumrennen, aber sie müssen die „Grundlagen unserer Wertegesellschaft“ akzeptieren – so sagt man das ja heute.

Wie kann die Integration denn funktionieren? Welche Voraussetzungen brauchen wir?
Das Thema ist extrem schwierig, aber für mich sind der entscheidende Faktor Arbeitsplätze. Die Probleme aus der Vergangenheit haben wir gewuppt gekriegt, weil die Arbeitsplätze da waren. Diese Strukturen sind heute weggebrochen, diese ganzen Arbeitsplätze sind heute weggebrochen: Was wir heute in Deutschland brauchen, sind Hochqualifizierte. Die Bildungsabschlüsse der Flüchtlinge sind aber nicht gleichwertig und dann kommen extrem viele junge Männer: Die können die gar nicht haben! Oder haben die alle mit 16 fertigstudiert? Eine hohe Arbeitslosenquote ist eine schlechte Sache für die Integration, weil die Leute dann Frust haben und unter sich bleiben.

„Wahnsinn des Königssteiner Schlüssels“

Wie läuft in ihren Augen die Integration der Flüchtlinge hier in Essen bisher?
Die Menschen vom Runden Tisch sind extrem wichtig, weil es ohne sie keine Tagesstruktur gebe. Von der Stadt kommt kaum etwas: Essen, Trinken, Bett, Punkt. Die Deutschkurse werden nicht angenommen, weil sie über den ganzen Tag gehen und die Flüchtlinge dafür durch ganz Essen fahren müssen.

Trotzdem bleibt ihre These, dass die Stadt und der Essener Norden überfordert sind.
Die Stadtverwaltung und die Ehrenamtler gehen auf dem Zahnfleisch, sind völlig am Limit. Die meisten haben nicht die Idee gehabt: Wir machen das jetzt jahrelang so. Der nächste Schritt muss kommen, aber in den Zeltdörfern wird Integration nicht funktionieren. Wir müssen eine richtige Perspektive bieten: Da ist deine Wohnung, da ist dein Sprachkurs und da ist dein Ausbildungsplatz. Nur: Das haben wir hier alles überhaupt nicht! Der Wahnsinn des Königssteiner Schlüssels schickt Flüchtlinge in Städte, die keine Wohnungen für sie haben! Das Ruhrgebiet kann das meiner Meinung nach nicht schaffen.

Kritik an der geringen Beteiligung von Bund und Land gibt es seit Beginn der Flüchtlingskrise. Finden denn Gespräche statt, werden Maßnahmen ergriffen?
Wir versuchen schon die ganze Zeit, kommunal Druck aufzubauen. In der letzten Ratssitzung gab's eine Resolution, die alle Forderungen noch einmal aufgezählt hat, unter anderem Begrenzung des Flüchtlingszuzugs, Beschleunigung der Asylverfahren oder Finanzierung der Einrichtungen durch den Bund. Man kann auch offiziell bei der Bezirksregierung eine Überlastungsanzeige stellen. Ganz viele Städte haben das schon gemacht. Das dauert 48 Stunden, dann kommt die Antwort: Ist uns egal! Essen ist da gerade in Gesprächen.

Ist der Wohnungsmarkt überhaupt in einer so schlechten Verfassung, wie die Stadt es diagnostiziert, oder sind die Standards für die Unterbringung einfach zu hoch?
Das ist schwer zu sagen: Die Anmietung hat hier in der Vergangenheit sehr, sehr schlecht funktioniert. Die Wohnungen waren ja vorher da, ich habe ständig von den vielen Leerständen gehört. Jetzt kommen die Flüchtlinge und plötzlich gibt es keine mehr. Dann wird mir wieder von Besitzern erzählt, die Stadt hat da rumzukacken, da rumzukacken, da rumzukacken: Das wollen sie alles nicht.

Polizeieinsätze und Randale

Und das Karnaper Mathias-Stinnes-Stadion? Sehen Sie den Standort als Beispiel gescheiterter Integration in den Zeltdörfern?
Das Problem in Karnap ist ein ganz spezielles: Wir haben hier nicht die optimale Infrastruktur, 7.900 Einwohner und sollten 800 Flüchtlinge bekommen. Das war ein Schock! Als die ersten ankamen, ist allen ein Stein vom Herzen gefallen: Das waren ruhige und nette Menschen, die haben gelächelt und kamen mit der Nachbarschaft klar – alles total schön! Dann wurde die Einrichtung immer voller, voller, voller und zwischen Weihnachten und Neujahr ging der Ärger los. Es kamen wohl Gruppen, die nicht harmoniert haben. Nach drei, vier Tagen gab es Ausschreitungen untereinander. Es wurde immer voller und es gab immer mehr Polizeieinsätze und Randale – allerdings nur drinnen.

Jetzt hat der Rat im Februar beschlossen, das Zeltdorf in Karnap zu einer festen Unterkunft mit maximal 400 Plätzen zu erweitern. Eine Entscheidung, die sie trotzdem mittragen können?
Da stehe ich voll hinter! Niemand hier in Karnap will sich aus der Solidarität ziehen. So entsteht eine Einrichtung, in der die Infrastruktur da ist: es gibt eine planierte Fläche, da sind die ganzen Leitungen, da ist alles da! Außerdem ist die soziale Struktur in den festen Unterkünften noch einmal eine völlig andere. Es gibt eine andere Verantwortung, weil jeder seinen eigenen Bereich hat. Im Moment sitzen da sechs junge Männer in einem Kabuff.

Autor:

Alexander Müller aus Essen-Borbeck

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